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Existenz statt Leben

Neue Studie: "informelle" Beschäftigung boomt. 70 bis 90 Prozent derer, die zu Hungerlöhnen und ohne soziale Sicherung für Global Player jobben, sind Frauen

Von Jana Frielinghaus *

In Blättern wie Welt, Financial Times Deutschland oder Frankfurter Allgemeine wird die kapitalistische Globalisierung regelmäßig als Wohlstandsmotor und Segen für die Menschheit gefeiert. Verwiesen wird auf steigende Bruttoinlandsprodukte. Frauen werden dabei immer wieder als »Globalisierungsgewinnerinnen« dargestellt. Und tatsächlich: Die Produktionsstätten transnationaler Konzerne in den Freihandelszonen der Entwicklungsländer haben vor allem ihnen Jobs und damit manchen die Möglichkeit gegeben, sich männlicher Willkür in patriarchal geprägten Gesellschaften zu entziehen.

Daß der Preis dafür denkbar unwürdige und krankmachende Arbeitsbedingungen sind, wird in der Mainstreampresse nicht einmal erwähnt. Einen Einblick in die Lebensbedingungen der »Frauen im Schatten« der Globalisierung bietet eine vom Siegburger Südwind-Institut und der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) erarbeitete Studie über »informelle Wirtschaft und freie Exportzonen«, die am Dienstag in München vorgestellt wurde.

Darin wertete die Verfasserin Ingeborg Wick Daten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) aus und zeigte anhand von kurzen Porträts betroffener Frauen die konkreten Folgen, die Lohndumping und Rechtlosigkeit in den Freihandelszonen haben. Da ist zum Beispiel Maria Torero Avalos in Peru, die in Heimarbeit Blusen mit Perlen und Pailletten bestickt. Pro Kleidungsstück verdient die 48jährige umgerechnet zwischen fünf Cent und einem Euro und kommt damit nur auf einen Bruchteil des staatlichen Mindestlohns von 120 Dollar monatlich. Wenn sie krank wird, hat sie keine Einkünfte. Für wen sie wirklich arbeitet, weiß sie nicht. Der Zwischenhändler, von dem sie ihr Material bezieht, kommt von einer größeren Werkstatt, die wiederum Zulieferer für eine andere Firma ist. Wick macht klar: Die Verlagerung der Arbeit auf Frauen in den Entwicklungsländern findet vor allem deshalb statt, weil Mütter, die ihre Kinder oftmals allein ernähren müssen, eher bereit bzw. gezwungen sind, die miserablen Bedingungen zu akzeptieren.

Die Zahl ungeschützter Beschäftigungsverhältnisse ist in den vergangenen Jahren dramatisch angestiegen. Laut OECD arbeiten fast zwei Drittel aller Erwerbstätigen weltweit in der »informellen Wirtschaft« - die meisten in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Im Süden zählen zu ihnen Straßenhändlerinnen, Kleinproduzentinnen, Hausangestellte und Heimarbeiterinnen, im Norden geringfügig Beschäftigte, Zeitarbeiterinnen, Teilzeit- und befristet Beschäftigte sowie Kleinunternehmerinnen und -unternehmer. Weltweit gelten zwei Drittel von ihnen als arm.

Die auch »Freie Exportzonen« (FEZ) genannten Freihandelsregionen haben maßgeblich zur Ausbreitung ungeschützter Arbeit geführt. Daß immer mehr Menschen auf solche Jobs angewiesen sind, ist wiederum eine Folge der Zerstörung lokaler Produktionsstrukturen durch den Export hochsubventionierter Güter aus den Industrieländern. In den mittlerweile rund 3500 FEZ - das sind viermal so viele wie noch vor zehn Jahren - arbeiten heute 66 Millionen Menschen, 70 bis 90 Prozent sind Frauen. Wesentliche Rechte werden ihnen vorenthalten.

Dabei gibt es weder für die Arbeiterinnen noch für die Länder, die für die Global Player gegen geringe Entgelte rechtsfreie Räume schaffen, jene berühmten Wohlstandseffekte. Lediglich in vier der 130 Staaten mit FEZ hat es überhaupt ein damit zusammenhängendes Wirtschaftswachstum gegeben. Die großen Profite machen die westlichen Unternehmen mit der Produktion: Allein im Jahr 2006 flossen Hunderte Milliarden US-Dollar aus Entwicklungs- in Industrieländer ab.

Neben den 66 Millionen Beschäftigten in den FEZ-Fabriken gibt es laut ILO weitere 150 bis 300 Millionen Menschen, die ihre Arbeit zu Hause verrichten und die Produkte an Zwischenhändler liefern. Sie sind diejenigen, die wirklich im »Schatten« sind - vereinzelt und meist ohne jede gewerkschaftliche Vertretung.

Die Studie ist als Download auf der der Internetseite des Südwind-Instituts verfügbar: www.suedwind-institut.de. Als Broschüre kann sie zum Preis von 7,50 Euro (inkl. Versandkosten) bei Südwind, Lindenstr. 58-60, 53721 Siegburg bestellt werden - oder per Fax (02241/51308) bzw. E-Mail: buero@suedwind-institut.de

* Aus: junge Welt, 6. November 2009


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