Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Flaggen und Schnupperkurse

Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen: Gedenken, Aktionen, Forderungen

Von Regina Stötzel *

Obwohl gestern (25. Nov.) zum 12. Mal der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen begangen wurde, sind hierzulande nicht einmal die Frauenhäuser finanziell abgesichert. In aller Welt harren viele Forderungen ihrer Verwirklichung.

»Für ein Zuhause ohne Gewalt« steht in Berlin auf Regenschirmen und Schlüsselanhängern, Aufkleber mit Bildergeschichten in der U-Bahn von Frankfurt am Main weisen darauf hin, dass Gewalt gegen Frauen auch Auswirkungen auf deren Kinder hat. Hunderttausende Brötchentüten mit der Aufschrift »Gewalt kommt nicht in die Tüte« kursieren in der Republik.

Der gestrige Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen (25. Nov.) war auch Anlass für zahlreiche Informationsstände, künstlerische und politische Veranstaltungen an vielen Orten. Der Weisse Ring und der Deutsche Olympische Sportbund starteten die Aktion »Gewalt gegen Frauen – nicht mit uns«, im Rahmen derer Schnupperkurse in Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen angeboten werden.

Knapp 6000 Fahnen mit dem Slogan »Nein zu Gewalt an Frauen – Frei leben ohne Gewalt« sind an Rathäusern und anderen öffentlichen Gebäuden in Deutschland und anderen Staaten im Rahmen einer Aktion von Terre des Femmes gehisst worden. Die Flagge am Willy-Brandt-Haus in Berlin setzte u.a. Andrea Nahles, die sich erst voriges Jahr für die Verschärfung des ohnehin schon stark eingeschränkten Abtreibungsrechts in Deutschland stark gemacht hatte.

Der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen ist auch der Tag, an dem sich Politiker aller Parteien zu dem Thema äußern und fordern, die Situation zu verbessern. Derzeit wird nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums jede vierte Frau in Deutschland irgendwann in ihrem Leben von ihrem Partner misshandelt.

Nach einem Jahrzehnt solcher Aktionstage kritisierte der Verein Frauenhauskoordinierung den nach wie vor fehlenden Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind. Jedes Jahr suchten rund 40 000 von ihnen Zuflucht in Frauenhäusern. Deren Aufnahmekapazitäten gingen jedoch zurück; in Schleswig-Holstein und anderen Bundesländern seien die Häuser sogar von der Schließung bedroht. Der Verein forderte eine einheitliche und zuverlässige Finanzierung der Einrichtungen. Auch Christine Bergmann, die unabhängige Beauftragte der Bundesregierung zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, bemängelte, es fehle den meisten Frauenhäusern aus finanziellen Gründen an Personal, das sich um traumatisierte Kinder kümmern könne.

Derweil macht Amnesty International etwa auf die Situation von Frauen in Jemen aufmerksam, die unter den Gesetzen der Scharia leiden. Sexualisierte Gewalt in kenianischen Slums, die erschreckend hohe und durch Benachteiligungen entstehende Müttersterblichkeit in Peru und anderswo, die systematische Gewalt gegen Frauen in Irak und eine steigende Zahl von Vergewaltigungen in Kambodscha sind weitere aktuelle Themen der Menschenrechtsorganisation.

Die Chefin des UNO-Entwicklungsfonds für Frauen, Michelle Bachelet, sagte, 70 Prozent der Frauen in aller Welt seien mindestens einmal in ihrem Leben von körperlicher oder sexueller Gewalt betroffen. Gemeinsam mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon erinnerte die frühere chilenische Präsidentin an das Ziel der UNO, den Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt spätestens 2015 mit jährlich 100 Millionen Dollar (74,1 Millionen Euro) zu unterstützen. Sie forderten die internationale Gemeinschaft zu Spenden auf, da für das laufende Jahr bislang erst 23 Millionen Dollar (17 Millionen Euro) zusammenkamen.

* Aus: Neues Deutschland, 26. November 2010


Rücken stärken

Von Antje Stiebitz **

Blöde Anmachen, frauenfeindliche Sprüche sind die »harmlosen« Varianten. Häusliche Gewalt, Zwangsprostitution und Massenvergewaltigungen sind die vernichtenden Formen: Mädchen und Frauen machen überall auf der Welt – unabhängig von Alter und sozialer Schicht – Erfahrungen mit männlichem Dominanzverhalten. Sie werden zurückgedrängt, mundtot gemacht und im schlimmsten Fall wird ihnen Gewalt angetan. Angesichts männlicher Aggression fühlen sich Frauen oft unterlegen und wehren sich nicht.

Frauen muss der Rücken gestärkt werden. Das hat die UNO mit ihrer bis 2015 angelegten Kampagne »Vereint zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen« erkannt. Und daran arbeiten zahlreiche Hilfsorganisationen mit Frauenhäusern, Hotlines und Selbstverteidigungskursen. Die Or- ganisation LARA beispielsweise kämpft in Bosnien-Herzegowina gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution. Immer die Vision von gebildeten, finanziell unabhängigen und vor Gewalt geschützten Frauen vor Augen.

Doch LARA und andere Hilfsorganisationen kämpfen noch an einer zweiten Front. Ihnen werden die Mittel gekürzt. Die Geschäftsführerin der bundesweiten Frauenhauskoordinierung etwa beklagt Personalmangel aufgrund fehlender Finanzierung. Eine Aufstockung der Mittel, obwohl nötig, wird meist abgelehnt. Völlig unverständlich – gerade hier wäre doch jeder Euro gut investiert: Ohne Frauen geht es schließlich nicht.

** Aus: Neues Deutschland, 26. November 2010 (Kommentar)


Zurück zur Frauen-Seite

Zur Gewalt-Seite

Zurück zur Homepage