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Recht auf Unversehrtheit

Internationaler Tag gegen Genitalverstümmelung: Parlamentsinitiative für besonderen Straftatbestand in Deutschland. Weltweit jährlich drei Millionen Opfer des Rituals

Von Jana Frielinghaus *

Nichtregierungs- und Menschenrechtsorganisationen haben diese Woche auch in Deutschland politisches Handeln gegen die in vielen Ländern der Erde weiter praktizierte weibliche Genitalverstümmelung verlangt. Anlaß war der Internationale Tag gegen Genitalverstümmelung am 6. Februar. Am Donnerstag war die auch als Female Genital Mutilation (FGM) bezeichnete Praxis Thema im Bundestag, der über einen Gesetzesvorschlag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen beriet. Der Entwurf, der vorsieht, FGM unter dem Straftatbestand der schweren Körperverletzung ausdrücklich ins Strafgesetzbuch aufzunehmen – auch dann, wenn sie im Ausland verübt wurde, kann offenbar mit breiter Zustimmung rechnen. So prangerte am Montag auch Bayerns Frauenministerin Christine Haderthauer (CSU) das Initiationsritual als »eine der brutalsten Menschenrechtsverletzungen überhaupt« an und forderte ebenfalls einen eigenen Straftatbestand. Bislang fällt die Praxis in Deutschland lediglich unter den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung.

Nach Schätzung der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes (TdF), die die Grünen-Initiative vehement unterstützt, leben derzeit in Deutschland rund 20000 Frauen und Mädchen, die von FGM betroffen sind, rund 5000 Mädchen sind demnach in Gefahr, heimlich hierzulande oder in den Ferien im Herkunftsland der Praxis unterworfen zu werden. Sie zieht oft lebenslang gesundheitliche Beeinträchtigungen, Folgeerkrankungen und psychische Leiden nach sich. Neben der Klitoris werden dabei meist auch Teile der Schamlippen abgeschnitten, häufig unter unhygienischen Bedingungen.

TdF machte aus gegebenem Anlaß auch auf die Situation in Ägypten aufmerksam. Dort seien mehr als 90 Prozent der Mädchen und Frauen von FGM betroffen. Nach öffentlichen Protesten nach dem Tod zweier Mädchen infolge des Eingriffs verabschiedete das Parlament in Kairo 2008 zwar ein Gesetz, welches die Praxis verbietet. Allerdings ist sie laut TdF weiterhin straffrei, wenn ärztlich bescheinigt wird, daß sie »medizinisch notwendig« gewesen sei. Drei Viertel dieser Verstümmelungen werden nach Angaben der Organisation in dem nordafrikanischen Land von medizinischem Personal durchgeführt – und damit mit staatlichem Einverständnis. Die Weltgesundheitsorganisation verurteilt die Beteiligung von Ärzten, da die langfristigen Folgen bestehen bleiben: eingeschränktes sexuelles Empfinden, chronische Schmerzen sowie Probleme bei Schwangerschaft und Geburt oder Unfruchtbarkeit bis hin zu Todesfällen. FGM wird in Ägypten sowohl von koptischen Christen als auch von der muslimischen Bevölkerungsmehrheit praktiziert.

Weltweit leben nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef derzeit mehr als 150 Millionen Mädchen und Frauen, die an ihren Geschlechtsorganen verstümmelt wurden. Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) schätzt, daß jedes Jahr weitere drei Millionen Mädchen das grausame Ritual durchleben müssen.

Integra, ein Netzwerk von 24 Organisationen zur Überwindung der Praxis, hat Ende vergangener Woche einen »Nationalen Aktionsplan« in Deutschland zum Schutz gefährdeter Mädchen verlangt. Neben gesetzlichen Regelungen sei vor allem aktive Aufklärungs- und Präventionsarbeit mit Migrantinnen nötig, betonte Integra-Sprecherin Barbara Schirmel. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, aus deren Koordinierung sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZE) 2010 zurückgezogen habe, müsse dringend wieder ihre Arbeit aufnehmen, so Schirmel. Eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Vertreterinnen von Migrantinnenorganisationen erscheint umso wichtiger, als viele Frauen das Ritual als wichtigen Teil ihrer Identität sehen.

* Aus: junge Welt, 10. Februar 2012


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