EU gibt sich gnädig
Quotensystem für Verteilung von Flüchtlingen beschlossen. Schwerpunkt liegt aber bei militärischer "Abschreckung"
Von Knut Mellenthin *
Es ist höchstens ein Tröpfchen auf den heißen Stein. Aber die rassistischen »Patrioten« von der Pegida bis zur NPD haben ein neues Thema zum Jammern und Zetern: Deutschland soll im Rahmen eines Quotensystems, das am Mittwoch von der EU-Kommission in Brüssel vorgestellt wurde, rund 13.000 Flüchtlinge zusätzlich aufnehmen. Ob es überhaupt zur Verwirklichung dieses Plans kommt, ist allerdings ungewiss.
Weil die meisten Flüchtlinge – im vergangenen Jahr waren es nach EU-Angaben mehr als 170.000 – auf Booten und Schiffen über das Mittelmeer kommen, landen sie überwiegend in Italien und Griechenland. Nach dem 1990 von der EU eingeführten Dublin-System sind die Erstaufnahmeländer für ihre Unterbringung und Versorgung zuständig. Das ist vorteilhaft für ein Land wie Deutschland, das von Kriegs- und Armutsgebieten weit entfernt ist.
Die jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagene Regelung soll durch Umverteilung neu ankommender Flüchtlinge für mehr Gerechtigkeit unter den Mitgliedern der Union sorgen. Italien sollen 24.000 von ihnen »abgenommen« werden, Griechenland 16.000. Es soll sich ausschließlich um Menschen handeln, die von der Mehrheit der EU-Länder als legitime Asylsuchende betrachtet werden, insbesondere aus Syrien und Eritrea.
Der Verteilungsschlüssel berücksichtigt das Bruttosozialprodukt, die Arbeitslosenrate und die Bevölkerungsgröße der europäischen Staaten. Danach läge Deutschland mit 8.763 aufzunehmenden Flüchtlingen an erster, Frankreich mit 6.752 an zweiter Stelle.
Großbritannien, Irland und Dänemark wollen sich an diesem Vorgehen von vornherein nicht beteiligen. Auch von vielen anderen Ländern, besonders in Osteuropa, aber auch aus Frankreich kommt Widerspruch gegen die Regelung. Der Vorschlag der EU könnte jedoch nur angenommen werden, wenn ihm mindestens 55 Prozent der Mitgliedsstaaten zustimmen, in denen 65 Prozent der gesamten Bevölkerung der Union leben. Daran könnte die ganze Idee scheitern. Zumindest wird ihre Umsetzung sich vermutlich noch monatelang hinziehen.
Der Plan der EU-Kommission sieht außerdem vor, 20.000 Menschen aus syrischen Flüchtlingslagern auf Mitgliedsländer zu verteilen. Das ist eine vergleichsweise winzige Entschädigung für den Beitrag der EU-Staaten zur systematischen Destabilisierung und Zerstörung Syriens durch Bewaffnung und Unterstützung fundamentalistischer Bürgerkrieger. Auf Deutschland könnten demnach weitere 4.000 neu unterzubringende Flüchtlinge entfallen.
Der Schwerpunkt der EU-Strategie soll allerdings künftig noch stärker auf der Verminderung der Flüchtlingszahlen durch militärische »Abschreckung« liegen. Am 18. Mai hat der Ministerrat der Union grünes Licht für die unmittelbare Vorbereitung einer Seeoperation namens »EU Navfor Med« gegeben. Sie soll, wie es offiziell heißt, »das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler und -händler im Mittelmeer zerschlagen«.
Unter anderem soll sie potentielle Flüchtlingsboote aufspüren und zerstören, »bevor sie benutzt werden können«. Das würde Gewaltakte in den Hoheitsgewässern Libyens und auf libyschem Boden voraussetzen. Dafür benötigt die EU entweder ein Mandat des UN-Sicherheitsrats oder eine »Einladung« der international anerkannten, wenn auch nur beschränkt repräsentativen Regierung Libyens. Beides ist nicht in Sicht.
* Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. Mai 2015
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