Tödlicher Festungswall
Das neu installierte EU-Grenzüberwachungssystem EUROSUR vernetzt die Informationen nationaler Behörden. Die Ausstattung besorgt die Rüstungsindustrie. Ziel: Die lückenlose Abwehr »illegaler« Migration
Von Matthias Monroy *
Nach fünfjähriger Vorbereitungszeit hat die Europäische Union im Dezember 2013 ihr Grenzüberwachungssystem EUROSUR (European border surveillance system) in Betrieb genommen. In einem ersten Schritt wurden die »nationale Kontrollzentren« der 19 Teilnehmerstaaten untereinander vernetzt. Hierzu gehören alle Mittelmeeranrainer sowie jene Staaten mit einer östlichen Außengrenze. Auch Norwegen als im Schengener Abkommen assoziiertes Land ist dabei. In einem Jahr sollen dann alle übrigen EU-Mitglieder folgen, zuzüglich Island, der Schweiz und Liechtenstein. Deutscher Partner von EUROSUR ist das Bundespolizeipräsidium in Potsdam. Die eigentliche Arbeit wird aber von der Direktion Bad Bramstedt in Schleswig-Holstein geleistet, die hierfür ein maritimes Lagezentrum in Cuxhaven betreibt. Die Bundespolizei wird im Dezember 2014 endgültig an EUROSUR angeschlossen.
Eine notwendige Verordnung zum Start der Plattform hatte das EU-Parlament ohne größere Diskussion beschlossen. Die vergangenen Oktober vor Lampedusa Ertrunkenen mußten als Begründung für die neue Überwachung herhalten. Offiziell soll EUROSUR grenzüberschreitende Kriminalität aufdecken, darunter auch Drogenhandel oder Schmuggel. Priorität hat aber die Bekämpfung unerwünschter Migration: Werden Migranten möglichst früh aufgespürt, so das Kalkül, erreichen sie erst gar nicht internationale Gewässer oder Hoheitsgebiete von EU-Mitgliedstaaten, in denen Asyl beantragt werden kann.
Alle Informationen der »Nationalen Kontrollzentren« laufen bei der EU-Grenzagentur FRONTEX zusammen. Im Hauptquartier in Warschau werden Daten von Radarstationen, der Aufklärung aus der Luft sowie Positionsdaten aus Schiffsortungssystemen verarbeitet. Inzwischen hat die EU-Kommission technische Details zu den getauschten Informationen herausgerückt. Jeder Teilnehmer darf beispielsweise selbst entscheiden, welche seiner Daten verarbeitet werden: Möglich sind polizeiliche oder militärische Mitteilungen. Die Rede ist auch von »Intelligence reports«, also quasi-geheimdienstlichen Berichten. Um deren Weitergabe zu ermöglichen, können einzelne Länder Kooperationsabkommen schließen. So könnte Griechenland jederzeit detailliert im Bilde sein, was an spanischen Küsten vor sich geht oder ob Italien wieder mit Malta um die Rettung Schiffbrüchiger streitet. Laut der Mitteilung der EU-Kommission verfolgt EUROSUR einen »informationsbasierten Ansatz« (»intelligence-driven approach«). Gemeint ist, daß alle Informationen auch zu Statistiken verarbeitet werden, um dann als Basis für »Risikoanalysen« zu dienen. So will FRONTEX Flüchtlingsströme prognostizieren.
Satelliten und Drohnen
Bis 2020 fallen für die Einrichtung, Aufrüstung und Wartung der »Nationalen Kontrollzentren« sowie des zentralen Hauptquartiers von EUROSUR in Warschau nach Schätzungen der Kommission Kosten in Höhe von 338,7 Millionen Euro an. Der Betrag könnte sich aber leicht verdoppeln, wenn auch die Vorbereitungen und Forschungen zur technischen Umsetzung hinzugerechnet werden.
Als eine der wichtigsten Informationsquellen von EUROSUR dienen Bilder aus der Satellitenbeobachtung, die vom EU-Satellitenzentrum (EUSC) geliefert werden. Sie werden mit Hilfe optischer und radarbasierter Satelliten gewonnen. Optische Systeme sind zwar hochauflösend, können aber nur tagsüber und bei gutem Wetter genutzt werden. Radarsatelliten können hingegen wetter- und tageszeitunabhängig Abbilder bereitstellen, die allerdings computergestützt lesbar gemacht werden müssen. Die EU hat ein eigenes Satellitenprogramm gestartet, das früher der Beobachtung von »Umwelt und Sicherheit« dienen sollte und nun den Namen »Copernicus« trägt. Mindestens sechs Erdbeobachtungssatelliten werden hierfür ins All geschossen. Jedoch kauft FRONTEX auch Bilder kommerzieller Satellitenaufklärung hinzu, die von europäischen Rüstungskonzernen betrieben wird. Kurz gesagt verdient EADS also an jeder Risikoanalyse der EU-Grenzagentur FRONTEX, die auf Satelliten basiert.
Gleichzeitig finanziert die EU-Kommission zahlreiche Forschungsprogramme, um die Auswertung der Daten zu optimieren. FRONTEX will frühzeitig erkennen, wenn an der nordafrikanischen Küste Boote in Richtung EU ablegen. Hierbei sollen Programme helfen, die wie eine Art Bewegungsmelder funktionieren: Eine Software erkennt »verdächtige« Schiffsbewegungen, etwa eine geringe Größe, langsames Tempo oder ungewöhnliche Routen. An derartigen Forschungen sind viele Rüstungskonzerne oder Start-Up-Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten beteiligt. Gerngesehene Partner aus Deutschland sind Tochterfirmen des EADS-Konzerns (mittlerweile umbenannt in Airbus), aber auch Rheinmetall Defence oder ATLAS Electronics aus Bremen. Jedoch fungieren die – meist staatlichen – Luft- und Raumfahrtinstitute als Schnittstellen. So ist das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) an fast allen entsprechenden EU-Forschungen beteiligt und bringt die Erkenntnisse in nationale Programme ein. Einen besonderen Cluster bildet hier die Hansestadt Bremen, wo viele entsprechende Firmen, staatliche und private Institute sowie Forschungen der Universität angesiedelt sind.
Auch die deutschen Firmen European Space Imaging und GAF AG forschen zur Nutzung von Satellitenaufklärung gegen unerwünschte Migration. Zu gerngesehenen Partnern gehören aber auch die Rüstungskonzerne Lürssen, der Rüstungsdienstleister IABG oder Thales Deutschland. Die am Bodensee ansässige Firma Diehl und der Bremer Rheinmetall-Konzern stellen ihre militärischen Kenntnisse für die EU-Grenzüberwachung zur Verfügung. Optische Systeme werden häufig auch von Carl Zeiss Optronics beigesteuert. Die mittlerweile zu EADS gehörende Firma hatte die Federführung eines Projekts zur seeseitigen Überwachung übernommen. Das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik entwickelt ein Radar für bewegte Ziele, das auch für den Grenzschutz beworben wird. Das Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung ist mit ähnlichen Forschungen befaßt.
Gegenstand der Untersuchung ist die Anwendbarkeit von satellitengestützter Überwachung und der grenzpolizeiliche Gebrauch von unbewaffneten Langstreckendrohnen, wie sie bislang nur vom Militär eingesetzt werden. Unter deutscher Beteiligung wird hierzu in Spanien die Eignung der israelischen »Heron«-Drohne erprobt. In einem anderen Vorhaben fördert die EU Flugtests mit einer in den USA hergestellten »Predator«-Drohne über dem Mittelmeer. Federführend sind die spanische Küstenwache und das italienische Militär. Demnächst soll die »Predator« ihre Wirksamkeit bei realen Einsätzen von FRONTEX unter Beweis stellen. Ein weiteres EU-Forschungsprojekt hatte Hunderte andere Drohnen auf ihre Eignung zur Grenzüberwachung geprüft und ausgelotet, wo diese später zum Einsatz kommen könnten. Kleinere Drohnen könnten demnach von Küstenwachschiffen starten, Überwachungsflüge mit größeren Systemen hingegen auch außerhalb der Hoheitsgebiete europäischer Staaten stattfinden. Es geht dabei allerdings nicht um die Rettung Schiffbrüchiger: In Projektbeschreibungen ist lediglich von der Bekämpfung »illegaler Migration« und »Schmuggel« die Rede. Auch mögliche Einsatzgebiete wurden genannt: Demnach könnte die See zwischen Libyen, Tunesien und Lampedusa mit Drohnen überwacht werden, außerdem die Straße von Gibraltar und die Landgrenze zwischen Polen und der Ukraine.
Virtuelle Grenzen
Die Aufrüstung der See- und Landgrenzen mit EUROSUR ergänzt die bereits bestehenden Mechanismen zur Verhinderung unerwünschter Migration. In der neuen EU-Visumsdatenbank VIS sind die Fingerabdrücke aller Antragsteller gespeichert, jährlich wird mit rund 20 Millionen Datensätzen gerechnet. Die Fingerabdruckdatensammlung EURODAC wurde errichtet, um Mehrfachanträge auf Asyl aufzuspüren, sie verarbeitet rund 1,7 Millionen Einträge pro Jahr. Im Schengener Informationssystem SIS werden alle Migranten gespeichert, die wegen des Ablaufs ihrer Aufenthaltsberechtigungen ausreisepflichtig sind. Pro Jahr sind dies nach Angaben des Informationsdienstes EU Observer rund 900000 Personen.
Jetzt steht eine neue, virtuelle Grenze ins Haus: Auf Drängen der Niederlande, Großbritanniens und Deutschlands will die EU zukünftig von allen Reisenden Fingerabdrücke abnehmen und als Vorratsdaten speichern. Dieses »Entry-Exit-System« ist einer ähnlichen US-amerikanischen Datensammlung nachempfunden und soll erlauben, jederzeit die Anzahl ausreisepflichtiger Migranten zu bestimmen. Zwar wird ihre Ein- und Ausreise in den meisten Mitgliedstaaten schon protokolliert, die Systeme sind aber nicht vernetzt. Es kann also nicht festgestellt werden, ob eine visumpflichtige Person, die über Spanien einreiste, nicht längst über Polen wieder ausgereist ist. Jetzt sollen an allen Grenzübergängen Fingerabdruckscanner angeschafft werden – eine immense Investition, die sich vor allem für Hersteller biometrischer Systeme wie die Bundesdruckerei lohnen dürfte.
Formal gilt wenigstens innerhalb der EU die ungehinderte Freizügigkeit: Das 1995 von allen Mitgliedstaaten unterzeichnete Schengener Abkommen legt fest, daß die Binnengrenzen ohne Kontrolle überquert werden dürfen. Einzelheiten werden im Schengener Grenzkodex festgelegt. Die Herkunft der Reisenden darf beispielsweise keine Rolle spielen. Gleichwohl wurde das Schengen-Regelwerk mit einer Reihe von »Ausgleichsmaßnahmen« eingeschränkt. Die Grenzpolizei darf innerhalb eines Grenzradius von 30 Kilometern grundlose Kontrollen durchführen. Diese sollen Stichprobencharakter haben, statt dessen werden aber häufig Menschen mit dunkler Hautfarbe behelligt und die Maßnahmen bis weit ins Landesinnere ausgedehnt. Mehrmals jährlich finden Polizeioperationen statt, bei denen Tausende Beamte in der EU gleichzeitig an Verkehrsknotenpunkten Personen und Fahrzeuge kontrollieren.
Außen dicht, innen Schengen
Zum sogenannten Schengen-Besitzstand gehört, daß für die Kontrollen an den Außengrenzen ein »einheitlicher Überwachungsstandard« einzuhalten ist. Dieser ist für jedes Land, das perspektivisch EU-Mitglied werden will, verpflichtend. Ob die Kriterien erfüllt sind, entscheidet der Rat der Europäischen Union. Die neuen Mitgliedstaaten erhalten allerdings bereits viele Jahre vor dem EU-Beitritt Mittel zur Änderung der Gesetzgebung, zur Modernisierung polizeilicher Infrastrukturen und zur Ausstattung der Grenzüberwachung. Seit Sommer vergangenen Jahres gehört Kroatien zur Europäischen Union, ist aber noch kein Vollmitglied des Schengen-Raums. Die Kontrollen an den Binnengrenzen, also zu den umliegenden EU-Mitgliedstaaten, werden aufrechterhalten. Das gilt auch für Bulgarien und Rumänien, die mittlerweile einem harten Kontrollverfahren unterworfen wurden: In einem regelmäßigen Fortschrittsbericht stellt die EU-Kommission Forderungen auf, die beide Länder im darauf folgenden Jahr abarbeiten müssen.
Im Falle des Beitritts der Slowakei 2007 waren vergleichsweise wenig Anstrengungen nötig, um wenigstens die grenzpolizeilichen Anforderungen zu erfüllen: Ihre Außengrenze zur Ukraine mißt gerade einmal 98 Kilometer, die damals fünf Übergänge konnten mit 800 Beamten auf 58 Motorrädern, 74 geländegängigen Fahrzeugen und 17 Motorrollern gut überwacht werden. 250 stationäre und 160 mobile Kameras sorgen für die in einer Leitstelle benötigten Informationen, alle Vorfälle werden auf einer interaktiven Karte angezeigt. Im Januar hatte eine hochkarätige FRONTEX-Delegation die Grenze inspiziert und deren Sicherung eine hohe Professionalität bescheinigt. Mit dabei war auch der deutsche Vorsitzende des Verwaltungsrates, Ralf Göbel, der als die treibende Kraft der Agentur gilt.
Beträchtlich höhere Investitionen waren infolge des Beitritts Rumäniens erforderlich. Die Grenzlänge zum Nicht-EU-Ausland beträgt hier insgesamt 3147 Kilometer. Für eine Milliarde Euro kaufte die Regierung ein Grenzüberwachungssystem von EADS. In Rumänien dürfte man sich daran nur ungern erinnern: Zwar wird in jedem Fortschrittsbericht zum Schengen-Beitritt die Bekämpfung der Korruption angemahnt. Der Auftrag an EADS wurde aber ohne Ausschreibung vergeben, was im Inland sowie seitens der Europäischen Union heftige Kritik nach sich zog. Den Rüstungskonzern beeindruckte das wenig.
Auch der EU-Beitritt Bulgariens ließ die Kassen europäischer Rüstungskonzerne klingeln: Die in Bremen ansässige Firma ATLAS hatte der Regierung ein Überwachungssystem für die 350 Kilometer lange Küste verkauft. Zwölf fest installierte Plattformen kontrollieren nun die »blaue Grenze« am Schwarzen Meer und auf der Donau. Das zuständige Innenministerium verfügt über neue Patrouillenboote, ein Oberflächenradar, flächendeckende Videoüberwachung und die Einbindung von Schiffsortungssystemen. Zwei nahe gelegene Kontrollzentren verarbeiten die eingehenden Informationen, die mit dem nationalen Lagezentrum der Marine in der an der Schwarzmeerküste gelegenen Stadt Burgas verbunden sind. Das maritime Lagebild wird wiederum nach Sofia weitergeleitet. Dort laufen auch Daten aus der Überwachung der Landgrenzen zusammen, die mit Wärmebildkameras, Nachtsichtgeräten und geländegängigen Fahrzeugen ausgestattet wurden. Obwohl das Parlament dagegen stimmte, verstärkt Bulgarien die Landgrenze zur Türkei inzwischen mit einem rund 30 Kilometer langen Zaun.
Die Heranführung an EU-Standards erfolgt in sogenannten Twinning-Projekten, in denen ein anderer Mitgliedstaat als eine Art Entwicklungshelfer auftritt. Im Falle Bulgariens, aber auch Kroatiens und Rumäniens hatte das deutsche Innenministerium die Aufgabe, die Länder fit für Schengen zu machen. Zur Aufrüstung der »grünen« und »blauen« Grenzen in den neuen Mitgliedstaaten hat die EU das Programm PHARE aufgelegt. Zu dessen Zielen gehört die Beschaffung von Ausrüstung ebenso wie Ausbildungsmaßnahmen oder der Ausbau von Kooperationen mit Nachbarländern. Immer stehen die Verhinderung unerwünschter Migration und die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit im Mittelpunkt. Auch Serbien, die Republik Mazedonien und die Türkei werden als potentielle EU-Kandidaten schon jetzt über »Twinning«-Projekte gefördert. Zählt man neben PHARE andere, ähnliche EU-Programme hinzu, kommt eine stattliche Summe für die Aufrüstung der neuen EU-Mitgliedstaaten zusammen. Eine Aufstellung für Kroatien zeigt, daß auch die Errichtung und Verwaltung von Datenbanken und polizeilichen Ermittlungssystemen, die Anschaffung von Polizeihunden und Ausrüstung sowie Ausbildung mit mehreren Dutzend Millionen Euro gefördert werden. Selbst IT-Ausrüstungen oder die Beschaffung von IMSI-Catchern zum Lokalisieren von Mobiltelefonen werden bezahlt.
EADS hat auf der Webseite seiner Tochter Cassidian eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Kauf eines Grenzüberwachungssystems veröffentlicht. Regierungen werden aufgefordert, zunächst Bedürfnisse zu definieren, um dann ein maßgeschneidertes System zu kreieren. »Spezielle Fähigkeiten« können hinzugekauft werden, etwa die Überwachung mit Drohnen oder Hubschraubern. EADS bietet auch Kontrollzentren, Funksysteme oder die Einbindung von Satellitenaufklärung an. Dadurch vermarktet der Konzern seine ursprünglich mit EU-Mitteln aufgebauten Fähigkeiten zur Spionage aus dem All. 2008 konnte der Rüstungskonzern den bislang größten Auftrag der Branche einheimsen: Für geschätzte zwei Milliarden Euro errichtet der Konzern in Saudi-Arabien eine hochmoderne Überwachungsplattform, die auch deutsche Drohnen einbindet. Mehr als 100 ebenfalls beschaffte Patrouillenschiffe kommen aus Deutschland, die Rede ist von weiteren Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro.
EADS rät, schon zu Beginn der Modernisierung von Grenzanlagen die Kooperation mit benachbarten Ländern zu suchen, denn so könnten Kosten gesenkt werden. Auf diese Weise ließe sich laut EADS der beste Anbieter finden, der dann mit Subauftragnehmern verhandeln kann. Bulgarien grenzt unter anderem an Rumänien, das wie oben beschrieben einige Jahre zuvor mit dem Aufbau eines Überwachungssystems für See- und Landgrenzen begann. Vermutlich kam EADS mit dem dortigen Auftragnehmer ATLAS gut zurecht: Kurz vor Fertigstellung gab EADS die Fusion bekannt, beide Firmen treten seit 2011 unter dem Namen Signalis auf. Der neu entstandene Überwachungskonzern ist anscheinend beliebt: Signalis stattete die 6000 Kilometer lange Küste Frankreichs sowie die 2300 Kilometer lange Küste Deutschlands mit entsprechenden Systemen aus. Zu den weiteren Kunden gehören neben Spanien auch die neuen EU-Mitglieder Lettland und Litauen, aber auch China, Südkorea, Malaysia und Indien.
Noch mehr Tote zu erwarten
Auch Länder außerhalb der EU sollen bei EUROSUR mitmachen, den Anfang machte Libyen: Im Sommer 2012 richtete die Regierung eine offizielle Absichtserklärung an die EU. Von Interesse ist die Anbindung zweier in Tripolis und Benghasi eingerichteter Kontrollzentren an ein Netzwerk aller Anrainer des Mittelmeers. Diese Plattform mit dem niedlichen Namen »Seepferdchen Mittelmeer« wird derzeit von Spanien errichtet, die angeschlossene Infrastruktur ist auch Teil von EUROSUR. Die EU hat auch auf Tunesien, Ägypten und Algerien entsprechenden Druck ausgeübt – anscheinend erfolgreich. Nach Medienberichten will Tunesien ab 2014 an der gemeinsamen Überwachung des Mittelmeers teilnehmen. Während die Grenzanlagen Libyens vom italienischen SELEX-Konzern modernisiert werden, ist für Tunesien noch kein Auftrag erteilt worden.
Die EU-Außengrenzen werden in beispielloser Weise zur Migrationsabwehr hochgerüstet. Europäische Rüstungskonzerne verdienen daran prächtig. Zwischenfälle wie das qualvolle Ertrinken von Hunderten Migranten vor der italienischen Küste werden von den EU-Innenministern zur Einleitung neuer Maßnahmen genutzt. Vom zivil-militärischen Auswärtigen Dienst kam sogar der Vorschlag, zukünftig militärische Ausrüstung der Mitgliedstaaten der EU bzw. der NATO für die Migrationskontrolle auf dem Mittelmeer zu nutzen.
Die EU-Grenzpolitik wird aber nur zu weiteren Toten führen, denn die von Flüchtlingen gewählten Routen werden zusehends riskanter. Das hat auch die Grenzagentur FRONTEX erkannt, die nun prognostiziert, daß mehr Migranten den Landweg über die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla wählen. Diese sind immer noch mit einem Klingendraht gesichert, der vielfach tödliche Verletzungen verursachte. Wieder führt die Spur nach Deutschland: Der Hersteller der Grenzanlagen, die Firma European Security Fence, unterhält eine Niederlassung in Berlin, nur unweit des Büros der EU-Kommission am Pariser Platz.
* Matthias Monroy ist Mitarbeiter der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP und seit 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter des MdB Andrej Hunko.
Aus: junge Welt, Dienstag, 11. Februar 2014
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