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Tiefdruckgebiet über Brüssel

Kaum Aussicht auf Sonne und frischen Wind beim EU-Afrika-Gipfel

Von Christa Schaffmann, Brüssel *

Trotz der Jahreszeit ist beim Gipfel in Brüssel kein politischer Frühling für die Beziehungen zwischen der EU und Afrika zu erwarten. Es knirscht vernehmlich zwischen den ungleichen Partnern.

In Afrika ist er einer der einflussreichsten Politiker: Südafrikas Präsident Jacob Zuma. Zum EU-Afrika-Gipfel kommt er nicht: aus Protest gegen europäische Einmischungen in afrikanische Angelegenheiten wie die Zusammensetzung der afrikanischen Delegation. Der Frau des simbabwischen Langzeitherrschers Robert Mugabe wurde das Visum verweigert, Eritrea wegen Menschenrechtsverletzungen gar nicht erst eingeladen. Was aus europäischer Sicht verständlich ist, empfinden nicht wenige in Afrika als neokoloniale Bevormundung. Ob angesichts dieser atmosphärischen Störungen in Brüssel mehr als vollmundige Absichtserklärungen herauskommen, wie es sie schon bei den Vorgängergipfeln in Kairo, Lissabon und Tripolis gegeben hat, ist die zen- trale Frage der kommenden Tage.

Die Chancen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit sind einerseits gestiegen, wächst Afrikas Wirtschaft laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) doch jährlich um fünf Prozent, auch wenn solche Durchschnittswerte wenig über einzelne Länder aussagen und noch weniger darüber, wie viele Afrikaner davon tatsächlich profitieren. Andererseits lässt dieser Differenzierungsprozess die Interessen afrikanischer Staaten stärker voneinander abweichen und sie schwerer in übergreifende Handelsabkommen pressen. Was für Afrika gilt, gilt auf einer anderen Ebene auch für die 28 EU-Mitgliedstaaten: Die Entwicklung der Länder klafft auseinander, mit dem Giganten Deutschland und den südeuropäischen Krisenländern als Pole. Das macht eine gemeinsame Afrika-Strategie schwieriger. So hat Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) strikt französischen Forderungen widersprochen, militärische Aktionen aus dem europäischen Entwicklungsfonds zu finanzieren. »Das wäre ein Anschlag auf die Entwicklungspolitik Europas. Keine Entwicklungsgelder für militärische Einsätze, Waffen und Material aus dem europäischen Entwicklungsfonds«, sagte Müller gegenüber der »Leipziger Volkszeitung«.

Professor Robert Kappel vom GIGA (German Institute of Global and Area Studies) sieht eine gewisse Ermüdung auf beiden Seiten und schließt nicht aus, dass Gipfeltreffen wie dieses wegen der sehr unterschiedlichen Interessen und Entwicklungsgeschwindigkeiten wohl der Vergangenheit angehören. Hinzu kämen Differenzen innerhalb der beteiligten Staaten. In Deutschland verfolge das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) andere Ziele als das Wirtschaftsministerium; dessen Ziele unterschieden sich von dem des Verteidigungsministeriums. Dazu passt gut, dass das BMZ wenige Tage vor Gipfelbeginn und lange vor Fertigstellung einer neuen deutschen Afrikastrategie seine neue Afrikapolitik öffentlich gemacht hat.

»Deutschlands Afrikapolitik bietet ein Bild der Uneinigkeit und Inkohärenz«, meint Kappel. Nötig seien stattdessen eine klare Führung und die Bündelung der Mittel. Wichtige Entwicklungen in Afrika wie Krisen und Konflikte würden nicht umfassend debattiert; Konzepte, die seit Jahren nicht greifen, nicht ausreichend überprüft. Armut lasse sich nur beseitigen, wenn die Wirtschaften wachsen und sowohl afrikanische als auch ausländische Unternehmen Arbeitsplätze schaffen. Wenn Deutschland eine Gestaltungsmacht werden wolle, »dann muss Berlin auch wissen, was es eigentlich gestalten kann und will«, sagt Kappel. Mal sehen, wie sich das aus dem Munde von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel anhören wird.

Die deutsche Wirtschaft hatte jedenfalls Gelegenheit, ihr ihre Wünsche mit auf den Weg nach Brüssel zu geben. »Wenn Deutschland im Wettbewerb mit China, Frankreich und Norwegen bestehen will«, so der Hauptgeschäftsführer des deutschen Afrikavereins, Christoph Kannengießer, »braucht es Risikoabsicherung durch die Bundesregierung, Hermesbürgschaften und eine intensive Besuchsdiplomatie.« Die Bundesrepu-blik solle in die Entstehung afrikanischer Märkte investieren, statt immer wieder nur akute afrikanische Bedürfnisse zu befriedigen. »Nachhaltige Entwicklung entsteht nicht auf der Basis von Transfers.«

Der ehemalige Weltbankchef und Bundespräsident Horst Köhler geht noch weiter. Während der Afrika-Tage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in Berlin sagte Köhler im März, Europa bräuchte die Vision von einem Entwicklungsbegriff, der nicht länger zwischen entwickelten und Entwicklungsländern unterscheidet, sondern der deutlich macht, dass überall eine Transformation von Gesellschaften gebraucht wird. Ein erfolgreiches Gipfeltreffen würde auch verlangen, dass Europa Schluss macht mit der Heuchelei gegenüber afrikanischen Missständen, an deren Entstehung und Fortbestand die Europäer selbst beteiligt waren und sind – sei es beim Thema Menschenrechte oder beim Thema Korruption. »Korruption in Afrika trägt auch das Gesicht westlicher Konzernvertreter und die Nummern europäischer Banknoten«, sagte Köhler und fuhr fort: »Wir müssen also auch über den globalen Kleptokraten-Kapitalismus sprechen, der vor allem Afrika obszön gigantische Summen von Kapital entzieht, und zwar mehr als über Entwicklungshilfe in den Kontinent fließt.« Die Profiteure dieser Kapitalflucht seien nicht zuletzt europäische Banken, wo die Milliarden afrikanischer Despoten und steuervermeidender Konzerne gebunkert sind. Ob dies alles unter der Tagungsüberschrift »Investieren in Menschen, Wohlstand und Frieden« erörtert werden wird, ist fraglich.

Fraglich ist auch, inwieweit die Flüchtlingspolitik hinterfragt wird. Die Generalsekretärin von Amnesty International, Selmin Caliskan, hat die Kanzlerin aufgefordert, sich in Brüssel für ein grundsätzliches Umdenken in der Flüchtlingspolitik einzusetzen, die derzeit gegen Europa- und Völkerrecht verstoße. »Menschen, die Schutz in Europa suchen, müssen für ihr Asylverfahren europäischen Boden betreten können; und zwar ohne ihr Leben zu riskieren.«

Was dagegen neben den Chancen für die europäische Wirtschaft in Brüssel prominent disktutiert werden wird, sind die Krisen und Kriege – von Mali über die Zentralafrikanische Republik und Kongo – und ihre Bekämpfung mit mehr Waffen und Interventionen. Auch das eine Art der Einmischung, die Jacob Zuma nicht billigt.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. April 2014


Partnerschaft mit bitterem Beigeschmack

Bei den neuen Wirtschaftsabkommen verlangt die EU eine Öffnung afrikanischer Märkte im Austausch gegen fragwürdige Entwicklungshilfe **

Sie sind der Zankapfel zwischen Afrika und Europa: die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), mit denen die EU auf mehr Freihandel zwischen Ungleichen drängt.

Der Eklat wird in Brüssel wohl ausbleiben: Die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zwischen der EU und afrikanischen Staaten laufen seit über zehn Jahren und stocken, weil die afrikanischen Länder sich vor Übervorteilung fürchten. Evita Schmieg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hielt noch vor wenigen Monaten einen offenen Bruch beim EU-Afrika-Gipfel wegen genau dieser Abkommen für nicht ausgeschlossen.

Inzwischen haben die Unterhändler im Februar baldigen Vollzug für die EPA wenigstens zwischen der EU und den Staaten der Westafrikanischen Gemeinschaft ECOWAS gemeldet. Das EPA erlaubt den ECOWAS-Staaten freien Marktzugang in die EU außer für Reis und Zucker, während die EU-Staaten zu 75 Prozent zoll- und quotenfreien Zugang erhalten. Was sich für die afrikanischen Länder vorteilhaft anhört, beziffert die UN-Wirtschaftskommission für Afrika im Falle Ghanas als einen zu erwartenden Jahresverlust von 300 Millionen US-Dollar. Erkauft wurde die Zusage mit 6,5 Milliarden Euro Entwicklungshilfe. Angeblich steht auch die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) vor einem Vertragsabschluss.

Mit dem Versprechen von Entwicklungshilfe, die auch in den zurückliegenden Jahrzehnten geflossen ist und bekanntermaßen wenig zur wirtschaftlichen Stabilisierung und zur Beseitigung von Armut, Hunger und Bildungsdefiziten beigetragen hat, wurde der ursprünglich länderübergreifende Widerstand gegen die EU-Forderungen nach Abbau der Zollschranken und umfassender Liberalisierung in allen Wirtschaftsbeziehungen gebrochen. Die Sorge, afrikanische Industrie und Landwirtschaft werde der Importkonkurrenz durch die EU nicht standhalten können, bleibt. Schon jetzt haben die Hähnchenfleisch-Exporte aus der EU einen ruinösen Einfluss auf Zucht und Verkauf von Hühnern in Afrika. Die Lebensgrundlagen raubt europäische Politik auch den Fischern an Afrikas Westküste. Gegen die Zahlung von Lizenzgebühren dürfen europäische Trawler beispielsweise in den Fanggründen vor Mauretanien, Senegal oder Guinea Beute machen: Schiffe, die rund 200 Tonnen Fisch am Tag fangen und verarbeiten können. Mit ihren Netzen haben sie die Fischbestände bereits so weit geplündert, dass Tausende einheimischer Fischer und Beschäftigte in der Weiterverarbeitung ihr Einkommen verloren.

Die Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament steht an der Seite jener Regierungen und zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen, die die EPA bis heute ablehnen. »Die Zielstellung der gegenseitigen Marktöffnung in allen Wirtschaftsbereichen halten wir für falsch«, heißt es in einem dazu veröffentlichten Papier. Freihandelsabkommen könnten nur zwischen Partnern mit vergleichbarem Entwicklungsniveau, ähnlichen sozialen Schutzstandards und entsprechenden technischen und administrativen Kapazitäten funktionieren. Davon sind afrikanische Staaten weit entfernt.

»Ob Tomaten, Reis, Textilien oder Eisenstangen, billige Importe aus der EU zerstören ganze Sektoren wirtschaftlicher Aktivitäten«, sagt Ibrahim Akalbila von der ghanaischen Trade and Livelihood Coalition. Mehr als 25 zivilgesellschaftliche Organisationen aus Afrika, der Karibik und Europa plädierten deshalb im Oktober 2013 auf einer Konferenz in Harare in dem Aufruf »Genug ist genug« für einen Stopp der EPA-Verhandlungen.

Die EU übte jedoch massiven Druck auf Afrika aus und setzte zuletzt eine Deadline für den 1. Oktober 2014. Nichtunterzeichner dürften ansonsten nicht länger zollfrei in die EU exportieren und verlören sämtliche Handelsvorteile. Angeblich gebe es aufgrund der rechtlichen Festlegungen der Welthandelsorganisation (WTO) dazu keine Alternative.

Paul Collier, Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomien an der Universität Oxford, sieht das völlig anders. Die EU verstecke sich hinter WTO-Recht, dabei zeige das Beispiel USA, dass sehr wohl einseitige Vorteile im Handel mit Afrika zulässig seien. Die USA rechtfertigen dies erfolgreich mit dem »African Growth and Opportunity Act«.

Selbst in der EU sind die EPA umstritten. Der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günter Nooke, sagte Ende vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung im Afrikahaus in Berlin: »Ich glaube, wir müssen hier auf Null zurück und einen Neustart wagen.« Davon ist keine Rede mehr, seit die Reihen der Afrikaner nicht mehr geschlossen sind.

50 Jahre nach der ersten Welthandelskonferenz kann von fairen Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern keine Rede sein. Schon die Verfahrensregeln für den internationalen Handel, so Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, begünstigten die entwickelten Länder. Zu der »Neuen Weltwirtschaftsordnung«, wie die Länder des Südens sie über Jahrzehnte gefordert haben, ist es nie gekommen. C.Sch.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 2. April 2014


Ungleiche Partner

Die Europäische Union legt bei ihren Beziehungen zur Afrikanischen Union formal großen Wert auf Augenhöhe – das Zauberwort heißt Partnerschaft. Bei den Austragungsorten der Gipfel wird das auch erreicht. Auf Kairo (2000) folgte Lissabon (2007), bevor der mal geächtete und dann wieder als Partner in der Flüchtlingsabwehr willkommene libysche Alleinherrscher Muammar al-Gaddafi 2010 in Tripolis Gastgeber sein durfte. Wenige Monate später hinderte das Frankreich und Großbritannien im Verein mit den USA nicht daran, mit einer Luft- und Seeblockade sowie Luftangriffen Gaddafis Herrschaft ein Ende zu setzen. Auf Tripolis folgt nun 2014 Brüssel.

Grundlage der Zusammenarbeit von EU und AU ist ein gemeinsames Strategiepapier. Es postuliert eine neue Partnerschaft als Ziel, fort von »traditioneller Partnerschaft«, hin zu »wirklicher Partnerschaft, die auf Gleichheit und der Verfolgung gemeinsamer Interessen beruht«.

Zur Umsetzung der Strategie werden Aktionspläne mit einer Laufzeit von jeweils drei Jahren aufgelegt. In Brüssel müsste ein neuer aufgelegt werden.

Gemeinsame Interessen sieht die EU (490 Millionen Einwohner) vor allem bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Terrorismus, bei Umweltproblemen und der organisierten Kriminalität. Die Interessenkonflikte vor allem in der Handels- und Migrationspolitik sind unterbelichtet. Der Kontinent (960 Millionen Einwohner) ist nicht zuletzt wegen seiner Rohstoffvorkommen und des globalen Wettlaufs um den Zugriff darauf wieder verstärkt in den Blickpunkt geraten. mli




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