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Im offenen Streit

Beim EU-Gipfeltreffen wird es keine Beschlüsse geben, nur Präzisierung von bereits Entschiedenem. Merkel und Sarkozy geben den Ton an

Von Lucas Zeise *

Es herrscht offener Streit zwischen den Euro-Regierungen. Das große EU-Gipfeltreffen am Sonntag (23. Okt.) war bereits einmal verschoben worden. Jetzt findet es statt, aber Beschlüsse werden nicht gefaßt. Die Herren und Damen Regierungschefs dürfen lediglich einige Vorberatungen darüber anstellen, wie und mit wieviel Geld nun weiter und erfolgreich die Währungsunion und ihre Banken vor dem Untergang gerettet werden können.

Die entscheidenden Figuren bei der Veranstaltung sind, wie immer in der EU, der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dieses Duo hat schon mehrmals im Lauf der Euro-, Griechenland-, Staatsschulden- und Bankenkrise Vorbeschlüsse gefaßt, denen dann von den übrigen Euro-Regierungen zugestimmt werden durfte. Dieses deutsch-französische Diktat wollte dieses Mal partout nicht klappen. Dabei geht es aktuell nur um Details, um die Präzisierung dessen, was die EU-Regierungschefs eigentlich am 21. Juli dieses Jahres zur Rettung Griechenlands schon abgesegnet hatten.

Die beiden wichtigsten Beschlüsse von damals lauteten: Erstens: Die privaten Gläubiger des griechischen Staates sollten eine »freiwillige« Minderung ihrer Kredite bzw. Anleihen hinnehmen. Zweitens: Der von den Euro-Regierungen konstruierte Rettungsfonds EFSF sollte künftig frische Staatsanleihen Griechenlands und anderer Länder kaufen können. Der erste Beschluß hatte zur Folge, daß die Großanleger aus aller Welt zur Auffassung kamen, es könnte auch anderswo als in Griechenland in der Euro-Zone zu einem arrangierten Schuldenschnitt kommen. Entsprechend sackten die Preise spanischer und italienischer Anleihen ab oder, was dasselbe ist, ihr Zinsrisiko stieg. Der große Rettungsfonds würde also mit dem Kauf von Staatsanleihen gleich richtig zu tun bekommen, wenn nun die Republik Italien mit einem Schuldenvolumen von etwa 1,8 Billionen Euro nicht mehr in der Lage sein würde, zur Tilgung alter Schulden neue Schulden am Finanzmarkt aufzunehmen.

Der Rettungsfonds war ursprünglich zur Rettung Griechenlands konstruiert worden. Er reicht auch einigermaßen locker, um Portugal und Irland zu stützen. Bei Spanien wird es eng, bei Italien unmöglich. Das war Frau Merkel bekannt, als sie im Lauf des Sommers die Zustimmung des Bundestages für die EU-Beschlüsse vom 21. Juli, insbesondere auch die erweiterten Aufgaben des Rettungsfonds, einholte. Es war eine Freude zu sehen, wie fest ihre Kanzlerinmehrheit aus Union und FDP schließlich stand. Doch wurde sie erkauft durch das Versprechen, daß der Rettungsfonds niemals, noch weniger aber der deutsche Anteil daran aufgestockt werden könne. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble haben ja kluge Berater. Die sagten vielstimmig und weise, man brauche den Rettungsfonds nicht aufstocken. Man könne vielmehr seine Wirkung hochhebeln. Dann komme man mit dem bisherigen Volumen gut aus, dann bedürfe es keiner umständlichen parlamentarischen Prozeduren mehr, sondern könne Euro-Staaten retten nach Herzenslust. Statt 440 Milliarden Euro Volumen könne der Rettungsfonds locker an die zwei Billionen Euro finanzieren.

Die Hebelei ist nun wahrlich nichts besonderes. Jede Bank betreibt sie. Denn sie verleiht schließlich auch das Geld, das sie als Einlage von Sparern erhalten hat, nicht nur einmal, sondern mehrfach. Nur eine Banklizenz braucht der Fonds dann. Damit er jederzeit, wenn er frisches Geld braucht, sich in der Art der Banken eben dieses von der Europäischen Zentralbank besorgen kann, wobei er – ebenfalls in der Art der Banken – jedes Mal brav als Sicherheit die erworbenen Staatsanleihen bei der Zentralbank hinterlegt. Die EZB und ihr scheidender Präsident Jean-Claude Trichet fanden dieses Verfahren gar nicht gut. Es führe die Staatsfinanzierung durch die Notenbank hinterrücks ein, befanden sie. Sonderbar ist allerdings, daß sie das Hinterrücksverfahren gebilligt und munter praktiziert hatten, so lange dieses reguläre Bankgeschäft von privat organisierten Banken getätigt worden ist. Jedenfalls fanden Merkels Berater eine neue Hebelmethode für den Rettungsfonds: die Teilkaskoversicherung. Damit hätte der Rettungsfonds den Käufern von Griechenland- und anderen Problem-Anleihen ein Drittel oder Viertel des Betrages an sicherem eigenen Papier angeboten, das sofort zurückgezahlt werden sollte, wenn das eigentliche Schuldnerland pleite gehen sollte. Auf diese Weise hätte der Fonds das Drei- bis Vierfache seines eigenen Volumens finanziell stützen können. Bedauerlich nur ist bei dieser Methode, daß niemand weiß, ob diese Teilkaskoversicherung bei den Anlegern so gut ankommt, daß die Zinsen für die Problemländer damit nennenswert sinken.

Die Hebelei wird so nicht zum erhofften Königsweg. Frau Merkel redet daher vermehrt darüber, daß deshalb der Schuldenschnitt für Griechenland doch größer ausfallen müßte als geplant. Darauf läuft es vermutlich hinaus. Bankenpleiten auf breiter Front sind damit vorgezeichnet. Die Banken wiederum müssen durch frisches Staatsgeld gestützt werden. Der Konflikt zwischen Merkel und Sarkozy dreht sich nun darum, daß erstere glaubt, dahingehend beraten wird oder halluziniert, die deutschen Banken brauchten nicht viel Geld, wenn aber doch, so sei der Bundestag für eine solche Rettungsaktion eher zu haben als für Europa. Letzterer fürchtet, die französischen Banken bräuchten sehr viel Geld. Ihm ist daher an einer üppigen europäischen Fonds-Lösung gelegen. Sarkozy und seine Berater stört es auch weniger, der EZB zu widersprechen. Das Hebeln der Staatsschulden scheint ihnen, was es ist: rationales und übliches Bankerverhalten.

* Aus: junge Welt, 22. Oktober 2011


Lucas Zeise referiert bei Friedenspolitischen Ratschlag 2011 in Kassel zum Thema:

Der aktuelle, radikale EURO-Imperialismus

18. Friedenspolitischer Ratschlag

26./27. November 2011

an der Universität Kassel
Beginn: Samstag, 26. Nov., 12 Uhr Ende: Sonntag, 27. Nov. 14 Uhr




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