Die WEU ist tot, es lebe die EU!
Der verlängerte Arm der EU ist nicht die WEU, sondern die EU selbst
Die Beerdigung der WEU fand beinahe unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Aber wen interessiert schon ein toter Hund? Interessieren dürften aber die Begleitumstände, die zum kontrollierten Tod des Militärbündnisses und zu seiner Wiederauferstehung in Gestalt der EU geführt haben.
Wir dokumentieren zwei Artikel, die sich des Themas angenommen haben.
In Brüssel wurde sie 1948 geboren, in Marseille am
Montag zu Grabe getragen. Die Westeuropäische Union
(WEU), jene seltsame Militärorganisation, die
fünf Jahrzehnte nicht leben und nicht sterben konnte,
wird nun in die EU integriert. Ihre Aufgaben übernimmt
künftig die schnelle Eingreiftruppe der Europäer.
Zur Beerdigung in der französischen Mittelmeerstadt
schickten die Außen-und Verteidigungsminister von 28
Staaten zehn Kernmitglieder, die der Nato und der EU
angehören, dazu assoziierte Staaten und Beobachter
ihre Stellvertreter. Beim letzten Ministertreffen
ging es nur noch um Formalitäten und einen Sozialplan
für die Mitarbeiter.
Während des wenig aufregenden Lebens der WEU ist nie
so richtig bekannt geworden, was sich hinter diesen drei
Buchstaben verbarg. Die Westeuropäische Union hat
immer im vollen Schatten der Nato gestanden. Zeitweise
hatte die Politik sie vergessen. Und auch nachdem sie zu
Beginn der neunziger Jahre zum europäischen Pfeiler
des westlichen Bündnisses ernannt worden war, fristete
sie sicherheitspolitisch eine untergeordnete Existenz.
Ihre Entstehung verdankte die WEU 1948 der Unsicherheit zu
beginn des Kalten Krieges und der Sorge über eine
neuerliche Bedrohung durch Deutschland. 1954 scheiterte der
Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft.
1955 garantierten die Westeuropäer in der WEU einander
bedingungslosen Beistand. Die Bundesrepublik war dabei,
unterlag aber Beschränkungen in der
Rüstungsproduktion. Der Beitritt zur WEU ebnete Bonn
den Weg in die Nato, während des Kalten Krieges
alleiniger Sicherheitsgarant Europas. Vollmitglieder waren
Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland,
Großbritannien, Italien, Luxemburg, die Niederlande,
Portugal und Spanien.
Die Wiederbelebung geschah in den achtziger Jahren. 1992
wurden die Petersberg-Aufgaben beschlossen,
mögliche Einsatzfelder von der Katastrophenhilfe bis
zu friedenschaffenden Missionen. Erst nach dem Schock des
Kosovo-Krieges wuchs der Wille zur europäischen
Sicherheits-Identität. Deshalb geht die WEU, zuletzt
ohnehin nur noch ein leerer Rahmen, nun in der EU auf.
Udo Bergdoll
Aus: Süddeutsche Zeitung, 14. November 2000
Die westeuropäische Union am Ende
Selektive Übernahme von Funktionen durch die EU
Die Westeuropäische Union besteht zwar rechtlich als Organisation
weiter, aber sicherheitspolitisch spielt sie keine Rolle mehr. Am
Ministertreffen in Marseille wurden ihre wichtigsten Funktionen an die
Europäische Union übertragen.
In Marseille hat der Ministerrat der Westeuropäischen Union (WEU)
beschlossen, dass die operationellen Funktionen der WEU auf Ende Jahr
an die Europäische Union (EU) übergehen sollen. Betroffen sind das
Satellitenzentrum in Torrejón in Spanien und das Institut für
Sicherheitsstudien in Paris, die als EU-Agenturen weitergeführt und
deren Mitarbeiter weiterbeschäftigt werden. (..)
Gegenseitige Beistandsverpflichtung
Die WEU-Minister beschlossen ferner, das laufende WEU-Mandat zur
Assistenz Albaniens bei der Ausbildung von Polizisten zu verlängern,
aber künftig in EU-Regie weiterzuführen. Weil das ebenfalls von der
WEU betreute Projekt zur Minenräumung im ehemals serbisch besetzten
Teil Kroatiens im Frühjahr 2001 ohnehin ausläuft, darf es die WEU
selber abwickeln. Wegen der für Februar 2001 geplanten grossen
Stabsübung einer von der WEU geführten und der Nato unterstützten
Krisenmanagement-Operation wird der WEU-Militärstab mit sinkenden
Beständen noch bis Mitte 2001 weiterfunktionieren und erst dann
aufgelöst. Spätestens dann werden auch die Routinekontakte zwischen
der WEU und der Nato eingestellt.
Formell wird die WEU als Organisation weiterbestehen als Gefäss für
die in Artikel 5 des WEU-Vertrages vorgesehene, allein die zehn
Vollmitglieder betreffende gegenseitige Beistandsverpflichtung. Mit
Rücksicht auf die neutralen Mitgliedstaaten Österreich, Schweden,
Finnland und Irland kann die EU diese Verpflichtung (noch) nicht in ihr
eigenes Vertragswerk integrieren. Politisch bleibt von der WEU aber
bloss noch eineFassade. Zwar stemmt sich die von allen 28 Staaten
beschickte Parlamentarische Versammlung der WEU gegen ihre
Auflösung, aber sie wird zu einem Forum ohne Aufgabe. (..)
Distanz zur Nato
Spätestens seit dem Europäischen Rat von Köln im Sommer 1999 stand
die faktische Auflösung der WEU fest. Damals fassten die europäischen
Staats- und Regierungschefs den Grundsatzbeschluss, zur autonomen
Konfliktverhütung und Krisenbewältigung durch die Europäische Union
ausserhalb der Nato eigene militärische Fähigkeiten aufzubauen.
Aufgegeben wurde damals die ursprünglich erwogene Option, dieWEU
als militärischen Arm in die EU zu integrieren. Das neue Konzept
beschränkte sich auf die selektive Übernahme von bestimmten WEU-
Funktionen. Die Integration der WEU hätte auch die Übernahme der
Mitgliederstruktur und die Bestätigung der substanziellen
Beteiligungsrechte insbesondere der sechs assoziierten Mitglieder
bedeutet. Der Einbezug von sechs europäischen Nato-Staaten, die nicht
der EU angehören, in die Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik ging insbesondere Frankreich gegen den Strich,
hätte allerdings auch der Philosophie von «Köln» widersprochen. Die auf
Abgrenzung der EU zur Nato und zu den USA bedachten Franzosen
verhinderten selbst die Übernahme des erfahrenen WEU-Militärstabs.
Die EU baut jetzt einen eigenen auf. Wegen ihrer eingespielten
Zusammenarbeit mit der Nordatlantik-Organisation seien die WEU-
Offiziere für Paris zu stark «Nato-kontaminiert», interpretierte ein
deutscher Diplomat den französischen Widerstand.
Einschnitt in Europas Sicherheitspolitik
Das Verschwinden der WEU, die nach Meinung Brüssels ihren Zweck
erfüllt hat, markiert einen scharfen Einschnitt in der europäischen
Sicherheitspolitik der Nachkriegszeit. Nach dem Scheitern der auf
militärische Integration angelegten Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft1954 am Veto der französischen
Nationalversammlung entstand noch im gleichen Jahr alsAlternative die
WEU zur Einbindung und Kontrolle von Deutschland in einer neuen
europäischen Sicherheitsstruktur. Jetzt, nachdem die Briten unter
Premierminister Blair die traditionelle Skepsis Londons gegenüber
sicherheitspolitischen Alleingängen Europas aufgegeben haben,
konzentrieren sich die Vollmitglieder der WEU, die alle der EU
angehören, auf die in eigener Regie geführte Verteidigungs- und
Sicherheitspolitik, den militärisch-sicherheitspolitischen Pfeiler der
Europäischen Union. Als Ersatz für die aufgelöste WEU sichert Brüssel
den nicht der EU angehörenden WEU-Staaten, insbesondere den mit
weitgehenden Rechten ausgestatteten sechs assoziierten Mitgliedern,
vorläufig bloss eine «ernsthaftePrüfung» der künftigen «angemessen
militärischen Kontakte» im Rahmen dieser Politik zu.
Aus: Neue Zürcher Zeitung, 14. November 2000
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