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Garantien fürs Finanzkapital

Ökonomie. Zur aktuellen Debatte über die Einführung von Euro-Bonds

Von Andreas Wehr *

Die parlamentarische Sommerpause endet, wie sie begann: Politiker versuchen, die Finanzmärkte zu beruhigen. Die dabei verkündete Botschaft ist immer gleich: Banken, Versicherungen und Pensionsfonds müssen um ihre Kredite nicht fürchten. Zugleich wird das bundesdeutsche Volk beruhigt: »Niemand hat die Absicht, eine Transferunion zu errichten, versichert uns Angela Merkel.«[1] War es im Juli der Gipfel der Euro-Länder, auf dem Zuversicht und Entschlossenheit inszeniert wurden, so war es jetzt ein banales Arbeitstreffen zwischen Nicolas Sarkozy und Angela Merkel am 16. August in Paris, das zu einem medienpolitischen Ereignis hochgeschrieben wurde.

Der tatsächliche Ertrag des tête-à-tête lag hingegen bei Null. Lediglich die bereits im April des Jahres im Rahmen des »Euro-Plus-Paktes« verkündete europäische Wirtschaftsregierung wurde aufgewärmt, indem man sie nun zu einer »echten Wirtschaftsregierung« erklärte. Zur Erinnerung: Die Aufgabenstellung dieser Wirtschaftsregierung orientiert sich eng an der deutschen Agenda-Politik. Eckpunkte sind die Überprüfung der Lohnfindungsregelungen, mit dem Ziel, die in einigen Euro-Ländern noch bestehende Indexierung der Lohnerhöhungen an der Inflationsrate aufzulösen, und die drastische Erhöhung des Renteneintrittsalters nach oben. Mit ihr erreicht werden sollen liberalisierte Arbeitsmärkte, die »weitere Öffnung von geschützten Sektoren« sowie die Beseitigung »ungerechtfertigter Beschränkungen bei den freien Berufen und im Einzelhandelsgewerbe«.[2] Hinzugekommen ist als Ergebnis des Treffens Merkel/Sarkozy die Forderung nach verbindlicher Einfügung einer Schuldenbremse in die jeweiligen Verfassungen der Euro-Länder. Auch hierbei handelt es sich um ein deutsches Exportprodukt.

Ein neoliberales Kontrollorgan

Mit der alten linken Forderung nach einer Wirtschaftsregierung hat das alles nichts mehr zu tun. Keine Rede kann davon sein, den nach Jürgen Habermas auf europäischer Ebene »davoneilenden Märkten« neue politische Rahmenbedingungen setzen zu wollen. Aus der ursprünglichen Absicht, mit ihr eine höhere Konvergenz und eine tiefere europäische Integration erreichen zu wollen, ist längst ein hegemoniales Herrschaftsinstrument zur neoliberalen Kontrolle der gesamten Euro-Zone geworden. Und so geht auch ein traditioneller Anhänger einer stärkeren Vergemeinschaftung europäischer Wirtschaftspolitik wie Oskar Lafontaine vorsichtig auf Distanz zu dieser alten Forderung: »Aber auch, wenn eine Wirtschaftsregierung eingerichtet wäre, wäre es nicht ausreichend, denn es kommt ja darauf an, welche Politik sie macht. Und die Politik, für die Merkel und Sarkozy stehen in den letzten Jahren, die führt eben zur Krise, und deshalb ist die Wirtschaftsregierung allein nicht ausreichend.«[3]

Mit dem EU-Ratspräsidenten Herman Van Rumpoy wurde nun sogar ein erster Vorsitzender dieser europäischen Wirtschaftsregierung gefunden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) sieht darin aber lediglich die Absicht, daß Merkel und Sarkozy die Hauptakteure in der Krise bleiben wollen und deshalb den »ungefährlichen Van Rumpoy einbeziehen«. Was die generelle Bedeutung des erneuerten Bekenntnisses zu einer Wirtschaftsregierung angeht, so ist die Häme der FAZ durchaus angebracht: »Wahrscheinlicher ist, daß all diese Ideen genauso verpuffen werden wie die Wortwolken des Euro-Plus-Paktes.«[4] Die seit Wochen andauernde Talfahrt der Börsenkurse, die ja auch ein Reflex auf die ungelöste Euro-Krise ist, zeigt, daß von dem Treffen in Paris am Ende keinerlei beruhigende Wirkung ausgegangen ist.

SPD schwenkt um

In der Diskussion über Lösungswege aus der Krise wurde vielmehr ein Thema wichtig, das gar nicht auf der Tagesordnung der Begegnung Merkel/Sarkozy stand. Seit Tagen wird heftig über das Für und Wider der Auflegung von Euro-Bonds diskutiert. Wie bei der europäischen Wirtschaftsregierung handelt es sich auch hier um eine alte Kontroverse. Anfang 2009 war es der italienische Finanzminister Giulio Tremonti, der als erster vor dem Hintergrund schnell wachsender Zinsabstände bei der Finanzierung von Anleihen der Euro-Länder Euro-Bonds forderte. Doch sofort kam ein klares Nein aus Berlin. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, lehnte sie kategorisch ab: »›Ich werde nicht eine Verschlechterung der Konditionen für (gemeint waren hier deutsche – A.W.) Staatsanleihen billigend in Kauf nehmen‹, sagte Steinbrück nach dem EU-Finanzministertreffen gestern in Brüssel. Entsprechende Pläne, die von seinem italienischen Amtskollegen Giulio Tremonti, dem Chef der Euro-Finanzminister Jean-Claude Juncker und Wirtschaftskommissar Joaquin Almunia ins Gespräch gebracht worden waren, seien aus deutscher Sicht ›nicht akzeptabel‹. Mit Steinbrücks Abfuhr sind die Pläne tot, die steigenden Spannungen in der Euro-Zone durch eine gemeinsame Anleihe zu lindern.«[5] Heute ist es ausgerechnet die SPD, die Partei des damaligen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück, die am lautesten Euro-Bonds fordert.

Vor dem Hintergrund weiter steigender Zinsraten für die Euro-Krisenländer Griechenland, Irland und Portugal verstummte die Forderung nach den Bonds nicht. Vor allem Jean-Claude Juncker war es, der immer wieder für sie warb. Von ihm stammt auch das Konzept, das gegenwärtig zur Debatte steht, wird über die Bonds diskutiert. Danach werden die von einem Land der Euro-Zone aufgenommenen Staatsanleihen von den übrigen Euro-Ländern gesamtschuldnerisch garantiert, was bedeutet, daß jeder Staat für die gesamte Summe haftet. Fallen einzelne Euro-Staaten aus, so garantieren die übrigen weiterhin für alles, wobei sich ihr jeweiliger Anteil natürlich entsprechend erhöht. Vorgeschlagen wird zudem, daß die Euro-Länder nur für solche Verbindlichkeiten haften, die 60 Prozent der Wirtschaftsleistung der sich verschuldenden Länder nicht überschreiten. Mit dieser Obergrenze von 60 Prozent orientiert man sich an dem nach dem Stabilitätspakt zulässigen Gesamtdefizit eines Landes. Für eine Verschuldung, die darüber hinausgeht, müssen die Länder, wie bisher schon, allein gerade stehen.

Mit Hilfe einer solchen gesamtschuldnerischen Haftung der Euro-Länder ließen sich die Kreditkosten der bedrängten Länder deutlich absenken. Auf die garantiegebenden Staaten käme hingegen eine Erhöhung des Zinsniveaus zu, da sie ja als gesamtschuldnerisch für schwache Länder Haftende größere Risiken tragen. Für Deutschland wird mit einem Ansteigen des gegenwärtig sehr niedrigen Zinsniveaus für Staatsanleihen von knapp über zwei Prozent um einen Prozentpunkt gerechnet. Nach Schätzungen des Ifo-Instituts würden so Mehrkosten in Höhe von sieben Milliarden Euro im Jahr entstehen. Vorausgesetzt ist bei diesen Berechnungen natürlich, daß es nicht zu einem Zahlungsausfall eines Schuldnerlandes und damit zur Einlösung der Garantien kommt. Schon bei dem Konkurs der relativ kleinen Volkswirtschaft Griechenlands würde es für die haftenden Staaten sehr teuer werden. Sollte gar ein Land von dem Gewicht Spaniens oder Italiens straucheln, würde dies die Geberstaaten mit in den Abgrund reißen.

Bollwerk gegen Spekulationen?

Doch Euro-Bonds sollen ja gerade solche Konkurse verhindern. Und außerdem, so wird argumentiert, sinken erst einmal die Kreditkosten der hoch verschuldeten Länder, bekommen ihre angeschlagenen Ökonomien wieder Luft zum Atmen, können sie ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und darangehen, die Schulden aus eigener Kraft abzubauen. Wie am Beispiel Deutschlands dargestellt, wäre der dafür zu tragende Zins­aufschlag für die starken Euro-Länder durchaus moderat. Was ist für den Lohn des Erhalts der Euro-Zone schon der Preis von sieben Milliarden jährlicher Mehrkosten? Mit ihrer Garantieverpflichtung schlössen sich die Euro-Staaten zu einem unüberwindlichen Bollwerk zusammen, so daß dem Finanzkapital schnell die Lust daran verginge, weiterhin gegen einzelne Staaten zu spekulieren. Zwar entstünde mit der Etablierung von Euro-Bonds automatisch eine innereuropäische Transferunion, die nach Geist und Buchstaben der europäischen Verträge ausdrücklich ausgeschlossen ist, doch wer fragt schon in der jetzigen Krisensituation ernsthaft nach der Rechtmäßigkeit von Maßnahmen, wenn sie nur endlich Aussicht auf Erfolg bieten? Es spricht also auf den ersten Blick viel für Euro-Bonds, weshalb sie ja von Sozialdemokraten und Grünen auch so vehement gefordert werden. Auch viele entschieden links denkende und fühlende Menschen, die auf eine sozial gerechte und demokratische EU hoffen, setzen auf dieses vermeintliche Allheilmittel. Hatte also Jean-Claude Juncker Recht, als er im Herbst 2010 auf den Vorwurf aus Deutschland, mit seinen Plänen lediglich eine Transferunion anstreben zu wollen, der Bundesregierung »eine sehr uneuropäische Art«, sprich eine antieuropäische Haltung, vorwarf?

Doch die Dinge sind nicht so einfach. Sieht man genauer hin, so zeigt sich, daß die Finanzmärkte, denen mit den Euro-Bonds ja eigentlich das Handwerk gelegt werden soll, diese überhaupt nicht fürchten. Im Gegenteil: Sie sind ihre stärksten Befürworter! Mißtrauisch hätte eigentlich schon die Tatsache machen müssen, daß mit Jean-Claude Juncker ausgerechnet ein Politiker unablässig für die Bonds wirbt, der zwar auch Chef der Euro-Finanzminister, in erster Linie aber luxemburgischer Premierminister ist, jenes Landes also, das wie kein zweites in der EU von den Finanzmärkten profitiert. Der Wohlstand dieses mit Abstand reichsten Landes der Union hängt in erheblichem Maß vom kreditgebenden Gewerbe ab. Da ist es wichtig, daß das Geschäft nicht weiter stockt; Euro-Bonds kämen da gerade recht.

Kann man diesen Verdacht vielleicht noch als überzogenes Mißtrauen ignorieren, so müßten aber spätestens bei der Wortmeldung eines einschlägig Verdächtigen alle Alarmglocken schrillen. In einem Beitrag für das Handelsblatt richtete der weltweit berüchtigte Finanzspekulant George Soros einen dringenden Appell und zugleich eine Warnung an die deutsche Politik: »›Deutschland und die anderen Länder mit AAA-Anleiheratings müssen einem wie auch immer gearteten Euro-Bond-Regime zustimmen. Andernfalls bricht der Euro zusammen.‹« Dunkel wird gemahnt, daß »›die Situation zunehmend unhaltbar‹« wird. »Soros sieht den Ursprung der akuten Krise ›in der Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, für Zahlungsausfälle nicht die Europäische ­Union, sondern jeweils die einzelnen Länder bürgen zu lassen.‹ (...) Daraus schließt er: ›Nur Deutschland kann die Dynamik des europäischen Zerfalls umkehren‹. Dafür müßten die Reaktionen der Finanzmärkte vorweggenommen werden, statt ihnen hinterherzutraben.«[6] Man achte hier auf jedes Wort: Die Entscheidungen der Finanzmärkte werden als absehbar und unausweichlich dargestellt, die Politik hat danach nur noch die Möglichkeiten, sie rechtzeitig zu erkennen oder ihnen am Ende »hinterhertraben« zu müssen. Hier zeigt sich unverhüllt die »Diktatur der Finanzmärkte«, vor der Oskar Lafontaine immer wieder warnt.

Ganz ähnlich wie George Soros spricht der weniger bekannte, aber gleichfalls mächtige Anlagenberater Christian Stadermann, Chef von HQ Trust und Mitglied des Management Committee der Harald-Quandt-Holding. In einem Interview erklärte er mit dankenswerter Offenheit: »Die Finanzmärkte wollen die Euro-Anleihen, und sie werden keine Ruhe geben, bis Euro-Anleihen geschaffen werden. Die Finanzmärkte treiben die Politik vor sich her.« Und auch hier vernehmen wir den herrischen Ton der Finanzdiktatur: »Es hat keinen Sinn, etwas verhindern zu wollen, was ohnehin kommt. Daher muß es im deutschen Interesse liegen, die Gestaltung der Euro-Anleihen rechtzeitig zu beeinflussen.«[7]

Krisengewinnler

Die keinen Widerspruch duldende und zunehmend ungeduldiger werdende Forderung nach Euro-Bonds durch das Finanzkapital mag auf den ersten Blick erstaunen. Doch dessen Posi­tion ist vollkommen logisch und durchdacht. Da die Rettungsschirme der Euro-Krisenstaaten für eine erfolgreiche Rückkehr dieser Staaten an die Finanzmärkte nicht ausreichen, ist es absehbar, daß zunächst Griechenland und womöglich auch Portugal und Irland zur Umschuldung schreiten müssen. Ein damit verbundener Schuldenschnitt kostet Banken und Versicherungen jedes Mal sehr viel Geld. Zugleich würde das Euro-System als Ganzes massiv erschüttert werden. Soros spricht aus, worum es im Kern geht: »Die Frage sei aber nicht länger, ob sich eine gemeinsame Währung lohne: Der Euro existiert, und sein Zusammenbruch würde dem Bankensystem unkalkulierbare Verluste zufügen.«[8] Um diesen Zusammenbruch zu vermeiden, sind alle Euro-Staaten, und hier vor allem das zahlungskräftige Deutschland, in Garantiehaft zu nehmen. Anschließend kann dann die expansive Kreditvergabe und damit eine weitere Verschuldung der Staaten auf höherem Niveau fortgesetzt werden. Um mit Lucas Zeise zu sprechen: Die Party könnte weitergehen!

Die deutsche Politik ist nun gar nicht so uneinsichtig, wie Soros beklagt. Zumindest SPD-Chef Sigmar Gabriel zeigt großes Verständnis für die Ängste der Finanzmärkte vor einem Forderungsausfall. Sein Eintreten für Euro-Bonds begründet er ausdrücklich mit Blick auf deren Interessen: »Es ist doch klar, daß die Märkte, bei denen sich die Staaten Geld leihen, sicher sein wollen, daß sie dieses Geld zurückbekommen. Und deswegen glaube ich, gibt es überhaupt keinen anderen Weg, als diese Sicherheit zu schaffen, damit die Spekulation aufhört, denn am Ende werden wir ohne diese Sicherheit immer mehr Finanzierungen für den Euro auf den Weg bringen.«[9]

Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, wies in der Diskussion über Euro-Bonds hingegen frühzeitig auf die dahinter stehenden Interessen der Finanzmärkte hin: »Dabei ist selbst die Forderung nach Euro-Bonds keine Lösung des Problems der steigenden Staatsverschuldung. Die Euro-Anleihen sind vielmehr äußerst lukrativ für die Banken. Sie können sich damit weiterhin zu historischen Niedrigzinsen bei der Europäischen Zentralbank billiges Geld besorgen und es dann in höher verzinste und sichere Gemeinschaftsanleihen anlegen.« Und sie verwies auf einen zweiten Pferdefuß der Bonds: »Außerdem entsteht die akute Gefahr, daß sich schwächere Länder als Gegenleistung zur Inanspruchnahme der Euro-Bonds in ihre Haushaltspolitik hineinreden lassen müßten.«[10]

Staaten unter Kuratel

Wie dieses »Hineinreden« konkret aussehen wird, kann man schon jetzt anhand der Memoranden studieren, die Griechenland, Irland und Portugal als Bedingung für die ihnen gewährten Stützungen mit der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abschließen mußten. Darin wurden den Ländern bis ins letzte Detail genaue Vorgaben für die Haushalts-, Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik gemacht. Selbst über Infrastrukturmaßnahmen wird nun in Brüssel und Washington mitentscheiden. Die nationale Souveränität mußte in wichtigen Bereichen aufgegeben werden. Im Fall Irlands wurde »ein Land de facto unter ausländisches Protektorat gestellt«, erklärte die FAZ.[11] Und über Griechenland heißt es: »Tatsächlich wird Griechenland auf absehbare Zeit nur eine eingeschränkte Demokratie sein. Das griechische Volk kann wählen, was es will – wirklich ändern kann es nichts.«[12] In Portugal ließen EU-Kommission und IWF das Unterwerfungsmemorandum kurz vor den Wahlen von allen potentiellen Regierungsparteien unterzeichnen. So wurde gesichert, daß, egal wie die Wahlen auch ausgehen, die diktierte Politik auf jeden Fall exekutiert wird.

Dies sind die Vorbilder, nach denen mit weiteren unter Anpassungsdruck gesetzten Euro-Ländern umgesprungen werden soll. Über Italien meinte bereits ein französischer Regierungsbeamter, das Land »unter kommissarische Verwaltung« zu stellen, sei »die einzige Art, um ihm zu helfen.«[13] Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble verlangte, »nationale Hoheiten an die Gemeinschaften abzugeben«.[14] So ist die gegenwärtige Ablehnung von Euro-Bonds durch Berlin und Paris wohl auch nur eine vorläufige. Die Botschaft lautet: Liegen erst einmal die Instrumente für eine dauerhafte Bevormundung der Defizitländer vor, ließe man mit sich auch über gemeinsame Anleihen und damit über eine Transferunion reden. Nach Merkel muß aber zuvor »die Wirtschaftsregierung ›noch sehr viel stärker und massiver werden‹. Merkel und Sarkozy deuteten an, daß das Steuerrecht und das Arbeitsrecht in der Euro-Zone stärker vereinheitlicht werden könnten. Die Kanzlerin sprach von ›Kohärenz der Wirtschaftspolitik‹.«[15]

Für Sozialdemokraten und Grüne, die gegenwärtig am lautesten nach Euro-Bonds rufen, ist das alles kein Problem. Die Grünen identifizieren sich schon lange mit der EU als einem Projekt der Eliten und haben dafür längst ihre Kritik an der undemokratischen europäischen Praxis aufgegeben. SPD-Chef Sigmar Gabriel verlangt offen einen Demokratieabbau in den Defizitstaaten. Er fordert, daß »die Staaten, die von einem Euro-Bond profitieren wollen, natürlich auch einen Teil ihrer Souveränität für ihre Haushaltspolitik abgeben.«[16]

Rasanter Demokratieabbau

Die Euro-Krise wird auf diese Weise zur Krise der Demokratie. Hans-Jürgen Urban, Mitglied im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall, sieht Europa bereits auf dem Weg in den Autoritarismus: »Vieles spricht dafür, daß sich Europa gegenwärtig nicht in einer Existenz-, wohl aber in einer Transformationskrise befindet. (...) Derzeit scheint die europäische Elite bereit, Finanzstabilität gegen Demokratie zu tauschen.«[17]

Wir werden Zeugen, wie die Macht des Finanzkapitals den europäischen Kontinent abermals in herrschende und beherrschte Staaten teilt. Diese Entwicklung geht einher mit einem rasanten Demokratieabbau. Die Verteidigung der Demokratie in der ganzen Union ist daher wichtigste Gegenwartsaufgabe der Linken. Zugleich ist Medien und Politikern entgegenzutreten, die die europäischen Völker erneut gegeneinander aufbringen und damit gefährliche Spannungen zwischen ihnen entstehen lassen. Mit dem Finanzkapital ist der für diese Situation letztlich verantwortliche Akteur zu benennen. Ohne einen erfolgreichen Kampf gegen diesen wird es keine Veränderung geben. Das heißt konkret, daß die Banken zu einem Schuldenschnitt gezwungen werden müssen. Euro-Bonds stärken hingegen nur die Macht des Finanzkapitals.

Fußnoten
  1. »Scheitert Europa?«, in: Handelsblatt vom 19./20.8.2011
  2. Vgl. Andreas Wehr, »EU auf Kurs gebracht. Economic Governance in der Euro-Zone: Eine Wirtschaftsregierung des Finanzkapitals«, in: jW vom 8.6.2011
  3. Interview im Deutschlandfunk am 17.8.2011
  4. FAZ vom 18.08.2011
  5. »Steinbrück lehnt Pläne für Euroanleihe ab«, in: Financial Times Deutschland vom 21.1.2009
  6. »Soros richtet Appell an Deutschland«, in: Handelsblatt vom 11.8.2011
  7. »Die Märkte treiben die Politik vor sich her«, in: FAZ vom 18.8.2011
  8. »Soros richtet Appell an Deutschland«, a. a. O.
  9. Interview im Deutschlandfunk am 16.8.2011
  10. Sahra Wagenknecht, »Keine Lösung«, in: jW vom 10.12.2010
  11. FAZ vom 22.11.2010
  12. »Griechisches Exempel«, in: FAZ vom 30.6.2011
  13. Vgl. »Gemeinsame Währung als Zwangsjacke«, in: jW vom 15.8.2011
  14. »Souveränität gegen Geld«, in: Süddeutsche Zeitung vom 9.12.2010
  15. Financial Times Deutschland vom 13.12.2011
  16. Interview im Deutschlandfunk am 16.8.2011, a. a .O.
  17. Hans-Jürgen Urban: »Stabilitätsgewinn durch Demokratieverzicht?«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2011, S. 78 f.
* Von Andreas Wehr erschien zuletzt im PapyRossa-Verlag, Köln, das Buch »Griechenland, die Krise und der Euro«. Mehr unter: www.andreas-wehr.eu

Aus: junge Welt, 22. August 2011



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