Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Lieber rechtzeitig stoppen, bevor es zu spät ist"

Europäische Bürgerinitiative sammelt Unterschriften gegen die Privatisierung der Wasserversorgung. Ein Gespräch mit Mathias Ladstätter *


Mathias Ladstätter ist in der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di verantwortlich für die im Rahmen der Europäischen Bürgerinitiative betriebene Unterschriftensammlung »Wasser ist ein Menschenrecht«

Die EU will die Wasserversorgung in Europa weiter liberalisieren. Dagegen läuft jetzt die Kampagne »Wasser ist ein Menschenrecht«, organisiert von einer Europäischen Bürgerinitiative, in der ver.di mitarbeitet. Wie stellt sich die EU diese weitere Liberalisierung vor?

Seit Jahrzehnten schon wird versucht, die Wasserwirtschaft europaweit zu liberalisieren – da soll etwas gegen die Bürgerinnen und Bürger durchgesetzt werden, ohne daß sie es so richtig mitbekommen. So ist auch diese Konzessionsrichtlinie für Dienstleistungen gedacht, gegen die wir mit einer Unterschriftensammlung angehen.

Michel Barnier, der Binnenmarktskommissar der EU, beschwert sich allerdings, unsere Bürgerinitiative belüge die Menschen: Er habe gar nicht vor, die Wasserversorgung zu privatisieren. Aber wenn man den Text des Entwurfs genau liest, findet man die Aussage, daß lediglich diejenigen Unternehmen von der geforderten europaweiten Ausschreibung ihrer Wasserdienstleistungen ausgenommen bleiben sollen, die zu 100 Prozent der jeweiligen Stadt oder Gemeinde gehören.

Eine Lüge vermag ich da nicht zu erkennen …

Auf den ersten Blick überzeichnen wir vielleicht die Gefahren der Privatisierung. Allerdings haben wir unsere Erfahrungen damit gemacht, wie die Europäische Kommission Liberalisierung versteht – wir wollen das lieber rechtzeitig stoppen, bevor es zu spät ist.

Welche Konsequenzen hätte die Forderung der Kommission für die Trinkwasserversorgung in Deutschland?

Jedes Stadtwerk, das mit mehr als 20 Prozent einen anderen Markt – also etwa eine Nachbargemeinde – mitversorgt und dabei Gewinne erzielt, muß dann seine Wasserversorgung europaweit ausschreiben.

Wie viele Stadtwerke würde das betreffen?

Die Zahl kann man wahrscheinlich erst dann genau benennen, wenn die Richtlinie irgendwann in Kraft treten sollte. Ein Beispiel: Die Stadtwerke München sind eine GmbH, die allerdings zu 100 Prozent im Besitz der Stadt ist. Die Wasserversorgung soll jetzt aus dieser GmbH als separater Betrieb ausgegliedert werden, um der Ausschreibung zu entgehen.

Wie weit ist die Privatisierung in anderen Ländern fortgeschritten?

Das Mutterland der Privatisierung in der Wasserwirtschaft ist und bleibt Frankreich. Seit über 100 Jahren sind dort die entsprechenden Konzerne im Geschäft, sie beherrschen 80 Prozent des gesamten Wassermarktes. Auch in England und in Wales wurde diese Branche privatisiert – dort ist kein Versorger mehr in britischer Hand. Die Eigentümer kommen aus Frankreich oder Australien.

Die neue Richtlinie liegt schon dem Europaparlament vor – die EU-Kommission will sie also zügig durchsetzen. Was wollen Sie dem entgegenhalten?

Unsere Unterschriftensammlung erst einmal. Damit machen wir klar, daß diese Privatisierung gegen den Willen der Menschen stattfindet.

Gibt es Umfragen, was die Leute wirklich wollen – Wasserversorgung durch private oder durch kommunale Unternehmen?

Nach einer Erhebung des Verbandes Kommunaler Unternehmen wollen 87 Prozent der Deutschen die kommunale Versorgung behalten. Welche Resonanz diese Forderung hierzulande hat, wird auch durch unsere Unterschriftensammlung belegt: Von den 760000 Unterschriften, die wir bislang in ganz Europa gesammelt haben, kommen mehr als 650000 aus Deutschland, beim Rest ist Österreich stark vertreten. Diese beiden Länder wären übrigens am stärksten von der Richtlinie betrofffen.

Die Privatisierung der Wasserversorgung ist einige Male gescheitert, etwa in Paris und in Berlin. Zuvor wurde den Bürgern aber regelmäßig versprochen, es werde alles effektiver und preiswerter – gibt es dafür ein Beispiel?

Ich kenne keins. Generell ist es ja so, daß die Preise nicht sinken, sondern steigen. Die private Wasserversorgung ist in Berlin daran gescheitert, daß die Menschen keine Gebühren zahlen wollten, die letztlich auf den Konten der Konzerne RWE in Essen oder Veolia in Paris landen.

Der Unterschied ist doch der: Ein öffentliches Unternehmen muß nur so viel Ertrag erwirtschaften, daß die Anlagen nachhaltig betrieben werden können. Bei einer Privatfirma hingegen sitzen die Aktionäre der Geschäftsführung im Nacken – sie wollen eine möglichst hohe Dividende kassieren.

Interview: Peter Wolter

www.right2water.eu/

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 30. Januar 2013

Geplante Europäische Bürgerinitiative:

Wasser und sanitäre Grundversorgung sind ein Menschenrecht! Wasser ist ein öffentliches Gut und keine Handelsware!

Gegenstand:
Wir fordern die Europäische Kommission zur Vorlage eines Gesetzesvorschlags auf, der das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung entsprechend der Resolution der Vereinten Nationen durchsetzt und eine funktionierende Wasser- und Abwasserwirtschaft als existenzsichernde öffentliche Dienstleistung für alle Menschen fördert.

Wichtigste Ziele:
Diese EU-Rechtsvorschriften sollten die Regierungen dazu verpflichten, für alle Bürger und Bürgerinnen eine ausreichende Versorgung mit sauberem Trinkwasser sowie eine sanitäre Grundversorgung sicherzustellen. Wir stellen nachdrücklich folgende Forderungen: 1. Die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Bürger und Bürgerinnen das Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung haben. 2. Die Versorgung mit Trinkwasser und die Bewirtschaftung der Wasserressourcen darf nicht den Binnenmarktregeln unterworfen werden. Die Wasserwirtschaft ist von der Liberalisierungsagenda auszuschließen. 3. Die EU verstärkt ihre Initiativen, einen universellen Zugang zu Wasser und sanitärer Grundversorgung zu erreichen.

Hier geht es zur Unterstützung des europäischen Bürgerbegehrens:

Externer Link
(Wenn Sie auf dieser seite sind, wählen Sie das Land aus, in dem Sie leben und folgen den weiteren Hinweisen.)




Zurück zur EU-Europa-Seite

Zurück zur Homepage