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Feuer aus der Wasserleitung

Ilana Solomon (USA) befürchtet mehr Umweltschäden durch ein Freihandelsabkommen *


Ilana Solomon ist Expertin für Handelsabkommen beim Sierra Club, der größten und ältesten Naturschutzorganisation der USA. Mit ihr sprach Simon Poelchau über die Gefahren des Fracking und die Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Vereinigten Staaten.


US-Präsident Barack Obama will den Klima- und Umweltschutz vorantreiben. Glauben Sie ihm das?

Der Präsident hat wichtige Dinge auf den Weg gebracht, um das Klima zu schützen. Zum Beispiel soll es neue Emissionsstandards für Pkw und Kraftwerke geben. Was uns beunruhigt ist, dass die US-Administration mit dem geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen versucht, Klimastandards in Europa und den USA zu unterwandern.

Wie soll das funktionieren?

Es ist zu befürchten, dass das Fracking in den Vereinigten Staaten durch das Abkommen ausgeweitet wird, weil der Export von Erdgas in die Europäische Union zunehmen wird. Dies versucht auf jeden Fall die heimische Gasindustrie mit der Schaffung der Freihandelszone zu erreichen, weil auf Grund des riesigen Angebots der Preis für Erdgas auf einem Tiefstand ist.

Müssten dafür zunächst Handelsschranken abgebaut werden?

Ja. Mit dem Freihandelsabkommen wäre die US-Regierung in ihren Möglichkeiten weiter eingeschränkt, Gasexporte zu regulieren und notfalls zu verbieten. Schließlich müsste sie automatisch alle Ausfuhren erlauben.

Was wären die Folgen?

Der Preis für Gas würde in den USA wieder steigen und die schmutzigere Kohle als billigere Alternative wieder verstärkt nachgefragt. Die Erneuerbaren werden so für längere Zeit vom Markt fern gehalten und vor allem das Fracking weitet sich massiv aus.

Hat das Fracking nicht aber auch gute Seiten? Schließlich hat sein Boom die US-Wirtschaft aus der Krise gebracht. Letztes Jahr stieg das Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten um 2,2 Prozent.

Die verstärkte Emission von Treibhausgasen, vor allem auch Methan, ist nur eine negative Folge. Fracking zerstört die Landschaft und gefährdet die Gesundheit der Menschen. In Fracking-Gegenden können sie das Wasser aus den Leitungen zu Hause anzünden, so viel Methan ist darin.

Auf welcher Seite steht die öffentliche Meinung in den USA?

Die Erdgas-Industrie ist sehr stark und von vielen Regulierungen wie dem Gesetz zum Schutz von sauberer Luft und sauberem Wasser befreit. Doch es gibt bereits eine große und starke Graswurzelbewegung gegen das Fracking. In einigen Staaten gab es schon Einschränkungen und Moratorien.

Wie sieht es mit dem Widerstand gegen das Freihandelsabkommen in den Vereinigten Staaten aus?

Es gibt eine schnell wachsende Bewegung dagegen. Viele Verbrauchergruppen, Umweltschutzorganisationen, Kleinbauernverbände und Gewerkschaften sind sehr beunruhigt über die Folgen, die das Freihandelsabkommen haben wird. Sie denken, dass die US-Handelspolitik in die absolut falsche Richtung führt und dies mit dem transatlantischen Abkommen noch verstärkt wird.

Fracking ist also nicht das einzige Problem, das Sie angesichts der Verhandlungen haben?

Die größte Sorge des Sierra Clubs sind die Rechte, die das Abkommen den Konzernen geben würde. Diese könnten Regierungen vor Zivilgerichten verklagen, wenn sie ihre Profite in Gefahr sehen. So könnten in Folge des Abkommens jegliche neuen Beschränkungen für Kohlekraftwerke, Verbote für Fracking oder neue Wasserschutzstandards durch eine Klage eines Konzerns zu Fall gebracht werden. Um dies zu verhindern, wollen wir uns besser mit europäischen Aktivisten vernetzen.

Denken Sie, die Inhalte des Abkommens könnten noch verändert werden?

Der Sierra Club hat noch nie Freihandelsabkommen der USA unterstützt, sondern sie immer abgelehnt. Wir werden der Regierung unsere Forderungen deutlich machen.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat in Deutschland schon eine Kampagne zur Verhinderung des Abkommens geschaffen. Wäre das nicht auch etwas für den Sierra Club?

Vielleicht. Wir sind sehr interessiert an der Arbeit von Attac und möchten das Bündnis ausweiten. Doch im Moment versuchen wir vor allem, bestimmte Teile des Abkommens zu bekämpfen wie den Abschnitt zum Schutz von Investoren. Wir würden jeglichen Vertrag ablehnen, der zu einer Ausweitung von Fracking führt und im Geheimen verhandelt wird.

Was müsste dann in den Verträgen stehen?

Der Sierra Club ist nicht gänzlich gegen Handel. Aber wir sind gegen das jetzige Modell, das mit dem Abkommen höchst wahrscheinlich weiter verfolgt wird. Was stattdessen vereinbart werden sollte, wären Maßnahmen zur Unterstützung von verantwortungsvollem und fairem Handel. Auch der Schutz der Erneuerbaren wäre zu begrüßen. Aber all dies wird nicht auf der Agenda stehen.

Also wäre ein Vertrag, den sie unterstützen könnten, kein Freihandelsabkommen mehr?

Ja. Wir wünschen uns für die Regierungen mehr Möglichkeiten, den Markt zum Wohle der Gesellschaft und der Umwelt stärker regulieren zu können. Es muss also mehr staatliche Interventionen geben. Ein Freihandelsabkommen ist da genau das Gegenteil, weil es den Staat in seinen Möglichkeiten schwächt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. November 2013


Fracking

Mit der Methode des Hydraulic Fractioning (hydraulisches Aufbrechen, kurz »Fracking«) ist es möglich, Gas- und Ölvorkommen zu fördern, die in Gesteinsschichten gebunden sind. Ein Gemisch aus Wasser, Sand und hochgiftigen chemischen Zusätzen wird unter hohem Druck in die Gesteinsschicht gepresst. Dadurch wird das Gestein aufgebrochen, so dass Gas oder Öl hindurchströmen können. Kritiker fürchten auf Grund des Chemikalieneinsatzes eine Verunreinigung des Grundwassers mit Methan. Außerdem bemängeln sie den immensen Wasserverbrauch, die Missachtung der Risiken durch die Politik und geplante Regelungen, wonach Fracking höchstens in Wasserschutzgebieten nicht gestattet werden soll.




Der größte Handelsdeal aller Zeiten

Von Guido Speckmann **

Die einen erhoffen sich vom Handelsabkommen zwischen den USA und der EU Wachstum, die anderen befürchten den Abbau von Sozialstandards. Diese Woche wird wieder verhandelt.

Eigentlich sollte die zweite Verhandlungsrunde zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den USA bereits Geschichte sein. Aufgrund des Haushaltsstreits in den Vereinigten Staaten konnte die US-amerikanische Delegation im Oktober aber nicht nach Brüssel reisen. Zwar mehren sich derzeit aufgrund der NSA-Spähaffäre die europäischen Stimmen, die Verhandlungen zur sogenannten Wirtschafts-NATO auszusetzen. Doch die Beratungen werden am Montag zu den Themen Dienstleistungen, Investitionen, Energie, Rohstoffe und Regulierung in Brüssel fortgesetzt. Für die Öffentlichkeit bleiben die Türen verschlossen, während 600 offizielle Berater von Großkonzernen privilegierten Zugang zu Dokumenten und Entscheidungsträgern haben.

Ziel ist die Schaffung der weltgrößten Freihandelszone. Davon erhoffen sich die durch Wirtschaftskrise und den Aufstieg neuer Wirtschaftsmächte gebeutelten USA und Europa neue Jobs und Impulse für das Wirtschaftswachstum. Studien beziffern den Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts in der EU auf 0,5 Prozent und den der Jobs in Deutschland auf 181 000. Forscher des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung hingegen bemängeln, dass kein nennenswertes Wachstum durch den Abschluss des Handelsabkommens zu erwarten ist.

Als Ursache des prognostizierten Wirtschaftswachstums wird nicht so sehr der Abbau der ohnehin geringen Zölle angeführt, sondern jener der sogenannten »nicht-tariffären Handelshemmnisse« – d.h. die Rücknahme von Regulierungen zum Beispiel im Gesundheitswesen oder in der Lebensmittelindustrie. Auch gesetzliche Mindestlöhne oder soziale Errungenschaften könnten dem freien Spiel der Marktkräfte zum Opfer fallen.

Schwer wiegt des Weiteren die Kritik, dass bei dem für 2015 erwarteten TTIP-Abschluss Konzerne vor Schiedsgerichten Klagerechte gegen Staaten erhalten sollen. Die Zeitung »Le Monde diplomatique« sieht daher ein System im Bestehen begriffen, das »die Herrschaft der mächtigsten Kapitalgruppen über den Großteil der Welt zementiert und juristisch absichert.« Die von sozialen Bewegungen erkämpften Fortschritte drohten wieder rückgängig gemacht zu werden.

** Aus: neues deutschland, Montag, 11. November 2013


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