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Falscher Ansatz

Fiskalpakt und Schuldenbremse sollen den Kontinent aus der Krise führen. Wie lange noch dominiert Merkels Europapolitik?

Von Herbert Schui *

Von Beginn an hat die Politik in Europa die Finanzkrise eher verschlimmert als eingedämmt. Die Richtung hat die deutsche Regierung auf einer Krisenkonferenz in Paris im Oktober 2008 vorgegeben: Die französische Finanzministerin Christine Lagarde hatte im Handelsblatt einen europäischen 300-Milliarden-Fonds zur Rettung der Banken vorgeschlagen. Die deutsche Regierung lehnte das ab. Man wolle nicht für andere zahlen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wurde von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit »A chacun sa merde« abgefertigt (jedem seine Scheiße) (Canard Enchaîné vom 8. Oktober 2008). Jedes Land soll sich also um seinen eigenen Kram kümmern. Aber gibt es den »eigenen Kram« noch? Angesichts der engen wirtschaftlichen Verflechtungen in der EU und der »Globalisierung« konnte es doch nur eine gemeinschaftliche EU-Lösung für die Krise geben.

Die Sanierung der maroden Finanzunternehmen wurde damit zunächst Aufgabe der nationalen Haushalte – durch Garantien und Hilfsfonds oder unmittelbar durch die Zufuhr von Eigenkapital. Bei dieser Lösung mußte die Europäische Zentralbank (EZB) – anders als beispielsweise die Notenbank in den USA – ausgeschlossen sein. Sie konnte damit nicht (nach Änderung ihres Statuts) zu einer Kreditgeberin letzter Instanz gemacht werden – nicht nur für den privaten Sektor, sondern auch für die Euro-Staaten. Die mangelnde Beteiligung der EZB hat die Lage verschlechtert. Auch wenn die Zentralbank nun zunehmend ins Spiel kommt: Der Mythos, daß sie nicht unmittelbar Staatsanleihen kaufen kann, daß der (Europäische Stabilitätsmechanismus) ESM keine Bank sein dürfe, daß es keine Euro-Bonds geben solle, macht ihre Politik umständlich und wenig wirksam.

Solange es um die Rettung von deutschen Banken auf Staatskosten ging, wurden die Institute wegen ihrer verfehlten Unternehmenspolitik in der Öffentlichkeit hart kritisiert. Indem aber die Finanzkrise zu einer Griechenlandkrise, zu einer Krise besonders der Südländer der EU wurde, wird die Sache von einem Großteil der Bevölkerung so wahrgenommen, daß mit deutschem Steuergeld nicht die Banken gerettet werden, sondern Griechenland. So verschiebt sich der Ärger über die Finanzunternehmen auf andere. Diese Propagandafigur der Einkreisung Deutschlands durch das habgierige Ausland wäre zu vermeiden werden gewesen, wenn die EZB von Anfang an die Staaten (und Banken) mit reichlich Kredit versorgt hätte. Das aber wird von einem anderen Mythos erschwert: »Druckt« die Zentralbank Geld, dann vernichtet die Inflation die Ersparnis der hart arbeitenden Deutschen. Also wieder Enteignung durch das Ausland.

Nun kann Merkel von sich das Bild der eisernen Kanzlerin entwerfen (lassen), die auf unser Geld aufpaßt und nur dann etwas herausrückt, wenn harte »Sparauflagen« erfüllt werden: Gegen Faulheit und Verschwendungssucht in den Krisenländern helfen neben einem ausgeglichenen Staatshaushalt ein radikal gekürzter Lohn im privaten Sektor und ein durch und durch liberalisiertes Arbeitsrecht. Dieses evangelische »Bestrafenwollen«, so der Schriftsteller Petros Markaris, soll die Hilfen für Griechenland in der deutschen Öffentlichkeit legitimieren. Die Meinungsumfragen bestätigen: Merkel ist sehr beliebt.

Die Unternehmerschaft der Krisenländer kann mit den Auflagen zufrieden sein. Die strukturellen Reformen (Lohnhöhe, Arbeitsrecht, sozialstaatliche Leistungen) sind in ihrem Interesse. Das aber wird unkenntlich gemacht: »Deutschland und die Märkte lassen ihm (dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy) keine andere Option«, so der ironische Kommentar von El Pais. Damit hat die Finanzkrise eine seltsame nationalistische Dimension angenommen: Sie wird zum Konflikt zwischen dem arbeitsamen Menschen des Nordens und dem Luftikus des Südens (Irland wird hierbei aus dem Blickfeld genommen).

Diese Ideologie wendet sich nun gegen die Kanzlerin selbst, wird zum Urteil über die Realität: Am 27. Februar stimmten allein 13 Abgeordnete der Unionsfraktion im Bundestag bei der Verabschiedung der »Griechenlandhilfe« mit Nein, zwei enthielten sich.

Auch an anderer Stelle geht Merkels Rechnung nicht mehr auf: Schon bei der ersten Debatte über den europäischen Finanzmarktsicherungsfonds ging es um das Haushaltsrecht des Bundestags. In einem Interview (Deutschlandfunk vom 1. 9. 2011) betont die Kanzlerin das »Budgetrecht (als) ein Kernrecht des Parlaments«, bemerkt aber dann: »Insofern werden wir Wege finden, die parlamentarische Mitbestimmung so zu gestalten, daß sie trotzdem auch marktkonform ist (…).« Dafür sollte dann ein neunköpfiges Sondergremium des Haushaltsausschusses sorgen, an das alle Entscheidungen im Rahmen des Euro-Rettungsschirmes EFSF übertragen würden. Am 28. Februar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß dies die Rechte der Abgeordneten und damit das Grundgesetz verletzt.

Und weiter: Europapolitik werde, so Merkel, zunehmend Innenpolitik. Mag sein. Diese Bemerkung zusammen mit ihrem Versprechen, Sarkozy bei den Präsidentschaftswahlen zu unterstützen, soll den deutschen Traum von mehr europäischer Bedeutung wahrmachen. Wenn aber, was ziemlich sicher ist, der sozialistische Kandidat Francois Hollande die Wahl gewinnt, dann wird, so die ehemalige Justizministerin Elisabeth Guigou, »die französisch-deutsche Verwaltung von Europa beendet« (wallstreet journal.de vom 1. März). Die Partnerschaft mit Berlin sei wichtig, aber auch andere Länder müßten eingebunden werden. Damit gäbe es eine starke Opposition gegen Merkel. Das Projekt »Fiskalpakt« wäre damit erledigt.

* Professor Herbert Schui ist Volkswirt und lehrte lange Zeit an der Hochschule für Wirtschaft und Politik Hamburg. Er war Mitbegründer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sowie von 2005 bis 2010 Bundestagsabgeordneter der PDS/Die Linke.

Aus: junge Welt, 8. März 2012



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