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Euro-Zockerei

Debatte. Krise der Währungsunion hat drei Gründe: Ungleichgewichte im Handel, sinkende Masseneinkommen und Politik zugunsten der Großbanken

Von Conrad Schuhler *


»Wohin mit dem Euro?« In diesen Wochen debattieren Ökonomen in der jungen Welt über die Zukunft der Europäischen Währungsunion. Heute erscheint ein Beitrag von Conrad Schuhler. Er ist Vorsitzender des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) in München.

Die Existenzkrise des Euro hat beileibe nicht nur einen, sondern gleich mehrere Gründe. Zuerst sind die volkswirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Euro-Staaten zu nennen. Deutschland, Luxemburg, Finnland und die Niederlande erwirtschaften beträchtliche Exportüberschüsse, während Griechenland, Portugal, Italien, Spanien und Frankreich zum Teil gewaltige Handelsbilanzdefizite einfahren. Die vier Überschußländer gewährten den Schuldnerstaaten in den vergangenen Jahren Kredite über 630 Milliarden Euro, damit die Waren der Wettbewerbsstärkeren bezahlen konnten. Ohne ausgeglichene Handelsbilanzen, ohne eine höhere Binnennachfrage in den Exportnationen, vor allem in Deutschland, und ohne eine bessere Wirtschaftsstruktur in den jetzigen Defizitländern wird es keine Rettung des Euro geben. Letztere müssen produktiver wirtschaften, statt ihre Löhne und Sozialleistungen zu senken.

Daraus folgt zweitens, daß nicht der Sozialstaat die Krise bedingt, etwa weil seine zu hohen Kosten nun ihren Tribut forderten. Die Staatsquote – der Anteil der öffentlichen Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt – ist in allen Euro-Staaten von 1990 bis 2008 gesunken, und erst 2008 im Jahr der Lehman-Brothers-Pleite in die Höhe geschnellt. Das geschah aber nicht, weil die Sozialausgaben gestiegen wären, sondern weil man die Banken gerettet hat. Außerdem hat die Masse der Bevölkerung nicht über ihre Verhältnisse gelebt, sondern ihre Lebensumstände verschlechterten sich ständig. Währenddessen sammelten die Reichen immer mehr Wohlstand an, und ihre Steuerlast sank weiter ab. Die Investitionen in die Realwirtschaft wurden weniger, weil dort die Profite an ihre Grenzen stießen. Der Massenkonsum stagnierte, weil die Masseneinkommen im Verhältnis zur Produktivität stetig zurückblieben. In den einzelnen Euro-Ländern sank die Lohnquote des Volkseinkommens von 1990 bis 2010 um durchschnittlich zehn Prozentpunkte. Während die Bruttolohn- und -gehaltssumme sich in Deutschland seit 2000 kaum verändert hat, sind die Gewinne und Vermögenseinkommen real um über 40 Prozent gestiegen. Von unten fehlt die Nachfrage, und oben ist mehr Geld da denn je zuvor.

Die dritte Ursache für die anhaltende und sich beschleunigende Euro-Krise ist die Politik, deren führende Gestalten nichts weiter sind als willfährige Helfer der Finanzmärkte. Im Zusammenspiel von globalen Investoren, den ihnen gehörenden Ratingagenturen und den Großbanken wurde die Treibjagd eröffnet auf immer mehr angeblich marode Staaten. Die Zocker trieben die Zinsen in die Höhe und wetteten auf den Absturz der betroffenen Länder. Derweil wiederholen die deutsche Regierung und ihre EU-Partner das Mantra, es gelte, das »Vertrauen der Märkte« wiederzugewinnen. Das heißt nichts anderes, als daß man die Staaten zwingt, ihre Völker zu gängeln, um Kredite und Höchstzinsen bezahlen zu können. Und es bedeutet, daß ein Zusammenbruch des Euro und damit des Europa, wie wir es kennen, wahrscheinlicher wird.

Dieses Szenario entspricht zynischerweise der Strategie der deutschen Regierung. Berlin verfolgte von Anfang an eine klare Linie: Zuerst sparen, dann retten. Seit dem EU-Gipfel von letzter Woche gilt für 17 Euro-Zonen-Staaten ein Finanzdiktat: Alle nationalen Etats sollen durch eine Schuldenbremse begrenzt werden. Brüssel (mit Berlin und Paris im Hintergrund) kontrolliert die Haushaltspolitik. Die Sparpolitik liquidiert die demokratische Substanz der Euro-Länder. Sie werden einem Regime unterworfen, das zwar das Vertrauen der Finanzmärkte genießt, aber nicht die Zustimmung des jeweiligen Staatsvolks. Als der frühere griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou die Idee ins Spiel brachte, ein Referendum über sein Rettungsprogramm entscheiden zu lassen, war der Schrecken unter den Euro-Granden groß. Deshalb regieren jetzt »Fachleute« in Athen (und in Rom). Dort, wie in der Europäischen Zentralbank (EZB), sitzen Privatbanker und Finanzbürokraten an den Schalthebeln der Macht.

Die Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel spielt eine gewagte Partie. Sie treibt die Krise der Euro-Zone bewußt voran, um ihre Stellung als Superkontrolleur auszubauen. Wenn sie die nationalen Demokratien ausgehöhlt hat, wird sie schließlich die Ausgabe von Euro-Bonds zulassen, also von gemeinschaftlichen Anleihen des Euro-Raums. Wenn Merkel sich aber verzockt, dann liegt die Euro-Zone in Scherben.

* Aus: junge Welt, 13. Dezember 2011


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