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Bundesregierung hat Euro-Vision

Kabinett beschließt Kreditgarantien / Opposition stellt Bedingungen für Zustimmung

Das Euro-Rettungspaket hat in Deutschland die erste Hürde genommen. Das Bundeskabinett hat Kreditgarantien in Höhe von bis zu 148 Milliarden Euro beschlossen. Die Opposition ist bislang skeptisch.

Die Bundesregierung hat den deutschen Anteil am 750-Milliarden-Paket zur Stabilisierung der Euro-Zone beschlossen. Das Kabinett billigte am Dienstag auf einer Sondersitzung den Gesetzentwurf für Kreditgarantien. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nahm nicht teil, da er sich erneut zur Beobachtung in eine Klinik begeben hatte.

Der deutsche Garantierahmen für Notkredite an klamme Euro-Länder beträgt nach ersten Berechnungen maximal 123 Milliarden Euro. Er kann auf rund 148 Milliarden Euro steigen, wenn Länder nicht mitziehen, die selbst Hilfen benötigen. Die Garantiezusagen sollen auf drei Jahre befristet sein. »Bei unvorhergesehenem und unabweisbarem Bedarf kann die Garantieermächtigung mit Einwilligung des Haushaltsausschusses um 20 Prozent überschritten werden«, heißt es im ursprünglichen Gesetzentwurf.

Kosten entstehen zunächst nicht. Die Steuerzahler haften aber für das Risiko. Werden etwaige Notkredite komplett zurückgezahlt, macht der Bund sogar ein gutes Geschäft. Das Gesetz soll zügig verabschiedet werden. Ein Eilverfahren wie bei den Griechenland-Hilfen ist aber nicht nötig.

Die Opposition ist skeptisch, auch in den Koalitionsfraktionen gibt es viele Fragen. Bei einer Vorstandssitzung am Montag kritisierten führende CSU-Politiker – unter ihnen Parteichef Horst Seehofer – die mangelnde Einbindung in die Beratungen. Die SPD lässt vorläufig offen, ob sie im Bundestag zustimmen wird. »Zunächst muss die Regierung genau beziffern, welche neuen Belastungen tatsächlich auf Deutschland zukommen«, so Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier am Dienstag vor einer Sondersitzung der Fraktion in Berlin. Für die SPD sei es unverzichtbar, dass diejenigen, die mit Spekulationen viel Geld verdient hätten, ihren Beitrag leisteten. Erfreulich nannte es Steinmeier, dass die von der SPD geforderte Finanztransaktionssteuer nun bei den EU-Beratungen in Brüssel als Prüfauftrag aufgenommen worden sei.

Die Linkspartei kritisierte, Sparprogramme betroffener Länder würden die Situation nur noch verschärfen. »Was wir jetzt brauchen, ist ein europäisches Konjunkturprogramm«, sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gesine Lötzsch. Alle bislang beschlossenen Maßnahmen gegen die Euro-Krise würden wirkungslos verpuffen, wenn die Finanzmärkte nicht reguliert würden. Die Linksfraktion habe bisher nicht endgültig festgelegt, ob sie im Bundestag das Euro-Rettungspaket ablehnt.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Mai 2010


Die Banken danken **

Nur vier Tage nach der Zustimmung des Parlaments zur Griechenland-Hilfe ist die deutsche Bundesregierung weitere Milliardenverpflichtungen eingegangen: Sie beschloß am gestrigen Dienstag als deutschen Anteil am »Rettungsschirm« für die gemeinsame Währung Bürgschaften von mindestens 123 Milliarden Euro. Der Gesetzentwurf soll schon in der kommenden Woche dem Bundestag zugeleitet und im Juni auch vom Bundesrat abgesegnet werden.

Mit dem Entwurf setzt die Bundesregierung den EU-Beschluß von der Nacht zum Montag um, wonach insgesamt 750 Milliarden Euro bereitgestellt werden, um die Spekulation internationaler Finanzhaie gegen die europäische Währung zu bekämpfen. 500 Milliarden Euro stellt die EU selbst bereit, 250 Milliarden kommen vom Internationalen Währungsfonds (IWF).

Unterdessen beantragte die griechische Regierung am Dienstag mit 20 Milliarden Euro die erste Tranche aus dieser Summe – offenbar, um die unmittelbar drohende Staatspleite abzuwenden. Die Kredite müßten »sofort zur Verfügung stehen, vielleicht schon innerhalb eines Tages«, hieß es aus dem Finanzministerium in Athen.

In Berlin lobte der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegemans die Entscheidung des Kabinetts als »klares Signal, daß Spekulationen gegen die Euro-Zone sich nicht lohnen«. Er bestätigte, daß das Gesetz »bei unvorhergesehenem Bedarf« einen Aufschlag um 20 Prozent für den deutschen Anteil am gemeinsamen Hilfspaket vorsehe. In einem solchen Fall wäre die BRD mit knapp 150 Milliarden Euro in der Pflicht.

Der Fraktionsgeschäftsführer von CDU/CSU, Peter Altmaier (CDU), erklärte, er hoffe, daß auch SPD und Grüne im Bundestag dem Paket zustimmen. In dem Gesetz werde es auch eine »angemessene Aussage« zur Regulierung der Finanzmärkte geben – die Diskussion dürfe aber nicht auf ein Instrument beschränkt bleiben. Gemeint ist damit offenbar die Finanztransaktionssteuer, die nicht nur von der Linkspartei, sondern auch von der SPD gefordert wird. Die Regierungskoalition hatte sich bislang nach Kräften bemüht, die Großbanken vor einer Beteiligung an derartigen Rettungsaktionen zu verschonen.

Im Fall der Griechenland-Hilfe hatte sich die SPD-Fraktion am Freitag der Stimme enthalten, weil keine Beteiligung der Banken vorgesehen war. Die Linksfraktion hatte sogar dagegen gestimmt, während die Grünen ebenso wie die Regierungsparteien dafür waren. Das »Ja« der Grünen sei aber eigentlich ein »Nein«, hatte deren Fraktionsvorsitzende Renate Künast dazu erklärt.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier wollte sich am Dienstag noch nicht dazu äußern, ob seine Partei dem Euro-Retttungspaket zustimmen werde. Seine Fraktion werde weiter dafür streiten, daß eine Finanztransak­tionssteuer eingeführt werde. Die Finanzmärkte müßten ihre Beiträge leisten, es dürften nicht allein die Steuerzahler belastet werden.

Die haushaltspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Gesine Lötzsch, erklärte nach einer Fraktionssitzung, die Regierung wolle offensichtlich die Banken weiterhin verschonen. Die EU habe am Wochenende einen zweiten Bankenrettungsschirm beschlossen. »An der Oberfläche haben wir ein Euro-Problem, im Kern haben wir in Europa aber ein Verteilungsproblem.«

Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid für den Nachrichtensender N24 ergab, daß die meisten Deutschen Zweifel am Erfolg der Rettungsaktion haben. 68 Prozent der Befragten fürchten eine Inflation, nur 30 Prozent halten ihr Geld für sicher.

** Aus: junge Welt, 12. Mai 2010


Notfalloperation: Rettungspaket der EU

Von Karl Heinz Roth ***

Die EU-Spitzen haben einen »Notfallschirm« zur Stabilisierung der überschuldeten Euro-Randzone im Umfang von 750 Milliarden Euro proklamiert, an dem sich der Internationale Währungsfonds (IMF) mit 250 Milliarden Euro beteiligen wird. Es handelt sich dabei um eine – nur gewaltig weiter aufgeblähte – Fortschreibung der Notfalloperationen vom Winter 2008/2009, wo Ungarn und die baltischen Staaten Überbrückungskredite erhielten, um den drohenden Staatsbankrott abzuwehren. Zugleich wird dieser Mechanismus von den Nichteuroländern auf die Eurozone ausgedehnt. Nun bleibt abzuwarten, inwieweit daraus eine Dauereinrichtung gemacht wird, in der die Operationen zum Ausgleich von Zahlungsbilanz- und Budgetproblemen im Sinn eines Europäischen Währungsfonds (EWF) gebündelt oder nach der Stabilisierung wieder abgeschafft werden.

Der gewaltige Umfang dieses neuerlichen »Rettungspakets« ist eine Überraschung. Bisher war davon auszugehen, daß derartige Mechanismen zur Vertagung der Kapitalvernichtung via Steuerzahler nicht mehr möglich sind. Nun ist es aber doch geschehen, und das könnte der Auftakt zur weltweiten Mobilisierung von öffentlichen Überbrückungskrediten für notleidend gewordene Staatshaushalte sein.

Die Europäische Zentralbank (EZB), letzter Hort des marktradikalen Monetarismus, ist entmachtet. Sie wurde gezwungen, ihre Einschmelzung in einen Antikrisenmechanismus hinzunehmen, der ihr die Unabhängigkeit von den Regierungen und der EU-Kommission nimmt und ihre geldpolitischen Operationen mit fiskalpolitischen Ausgleichsmaßnahmen verknüpft. Im Kontext dieser Operationen muß die EZB nun notleidend werdende Staatsanleihen der EU-Mitglieder aufkaufen und refinanzieren, also die Notenpresse betätigen. Die EZB hat somit mit der Praxis der »quantitativen Lockerung« der Federal Reserve und der Bank of England gleichgezogen.

Trotz dieses »Notfallschirms« sind Umschuldungsoperationen mittelfristig unvermeidlich, denn die PIIGS-Staaten, also Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien, können bestenfalls ein Drittel der aufgelaufenen Überschuldung aus der eigenen laufenden Wirtschaftsleistung bedienen – und auch das nur im Fall einer ausreichenden Erholung. Diese unausweichliche Operation, die an die Umschuldung Rußlands 1999 und Argentiniens 2002 mit Verlustabschreibungen zu jeweils über zwei Dritteln auf der Seite der Gläubiger anknüpfen wird, ist offensichtlich aus machtpolitischen Gründen auf die lange Bank geschoben: Sie würde erstens die französischen und deutschen Gläubigerbanken schwer belasten; ihre Vorstände laufen deshalb Sturm gegen ein Schuldenmoratorium mit anschließenden Annullierungsverhandlungen. Zweitens wird eine solche Operation ohne den zumindest zeitweiligen Austritt der PIIGS-Nationalökonomien aus der Euro-Zone kaum zu bewältigen sein, und dies könnte in der Tat eine Implosion oder zumindest Schrumpfung der EU auf ihre Kernzone zur Folge haben.

*** Unser Autor ist im Vorstand der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts in Bremen

Aus: junge Welt, 12. Mai 2010 (Gastkommentar)



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