Die Suche nach dem Reset-Knopf
Gipfeltreffen zwischen Russland und EU in Stockholm
Von Olaf Standke *
Kaum vier Stunden standen gestern in Stockholm dem EU-Russland-Gipfel
zur Verfügung. Dabei im Mittelpunkt: Klima- und Handelsfragen.
Vor ein paar Monaten noch wurde darüber spekuliert, ob der Herbstgipfel
der Europäischen Union und Russlands besser in Brüssel, und nicht in
Stockholm stattfinden sollte. Zu sehr waren die Beziehungen zwischen dem
amtierenden EU-Ratspräsidenten Schweden und Moskau abgekühlt. Grund, so
damals die Tageszeitung »Wedomosti«, sei die häufige Kritik am Zustand
der Menschenrechte in Russland. Zudem hätten sich die Skandinavier als
schärfste Gegner der für den Kreml strategisch so wichtigen Gaspipeline
Nord Stream profiliert.
All das war jetzt in der schwedischen Hauptstadt aber nicht bestimmend,
obwohl sich gerade über 100 -- hauptsächliche konservative und grüne --
Europaabgeordnete bei Russlands Präsident Dmitri Medwedjew über
Bürgerrechtsverletzungen und fehlende Rechtsstaatlichkeit in seinem Land
beschwert haben und auch Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt gestern
davon sprach, dass die Menschenrechtslage ein »wachsender Grund zu
Besorgnis« sei.
Dass etwa vor wenigen Tagen das Generalkonsulat in Kaliningrad
geschlossen wurde, hat allein finanzielle Ursachen, auch in Los Angeles
und New York machte Schweden die Schotten dicht. Medwedjew lobte bei
seinen Gesprächen mit Reinfeldt die Aktivitäten schwedischer Unternehmen
und hob die in seiner Heimat »sehr beliebte« Möbelkette Ikea hervor.
Gründer und Eigner Ingvar Kamprad hatte im Sommer öffentlich gemacht,
dass sein Konzern von russischen Lieferanten systematisch betrogen
worden sei. Medwedjew sicherte ausländischen Investoren die »weitere
intensive Bekämpfung« der Korruption in Russland zu. Schon zuvor hatten
nach Dänemark auch Finnland und Schweden ihr Placet für die umstrittene
russisch-deutsche Ostsee-Gasleitung gegeben. Man wisse die Entscheidung
sehr zu schätzen, bedankte sich der russische Präsident für die
Erlaubnis, die 1223 Kilometer lange Pipeline durch schwedische
Hoheitsgewässer zu verlegen.
Zur Klimaverbesserung zwischen EU und Russland hat offensichtlich auch
Medwedjews jüngste Rede zur Lage der Nation beigetragen, in der er den
Zustand der russischen Gesellschaft ungewöhnlich offen kritisierte. Das
verdiene »uneingeschränkte Unterstützung«, so Finnlands Außenminister
Alexander Stubb. Vor allem aber hofft Brüssel auf stabile Wirtschafts-
und Handelsbeziehungen. Am Montag vereinbarten EU- Energiekommissar
Andris Piebalgs und der russische Energieminister Sergej Schmatko in
Moskau ein gemeinsames Frühwarnsystem, um künftig Energie-Engpässe zu
verhindern. Wie das dann konkret passieren soll, ist jedoch noch unklar.
Zumindest gebe es derzeit keine Anzeichen für eine schwere Krise wie im
vergangenen Winter, betont Piebalgs. »Der Transit von russischem Gas
über die Ukraine nach Westeuropa funktioniert normal.«
Für EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ist die Vereinbarung ein
»klarer Beweis für den guten Willen, in einer vertrauensvollen und für
beide Seiten ertragreichen Weise zusammenzuarbeiten«. Gestern wurden in
Stockholm fünf »Nachbarschaftsprojekte« für mehrere Grenzregionen
unterzeichnet. Brüssel will sie mit insgesamt über 400 Millionen Euro
fördern. Gemeinsam will man auch Druck machen, damit der Kopenhagener
Klimagipfel ein Erfolg wird. Moskau soll sich dem EU-Ziel von 20 Prozent
weniger Treibhausgasen bis 2020 gegenüber dem Jahr 1990 angeschlossen
haben. Bisher war lediglich von 10 bis 15 Prozent die Rede.
Beim von Brüssel gewünschten Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO)
sieht Medwedjew Russland inzwischen »auf dem kürzesten Weg«, ohne
allerdings einen Termin zu nennen. Auch andere Probleme jenseits der
Menschenrechts- oder Energiefrage bleiben. So kritisierte EU-Botschafter
Wladimir Tschischow schon vor dem Gipfel, dass die Aufhebung der
Visapflicht zwischen Russland und der Europäischen Union weiter auf sich
warten lasse. Dabei habe der damalige Kommissionspräsident Romano Prodi
das Jahr 2008 als Ziel genannt. Ganz so einfach ist der vom finnischen
Außenminister Stubb geforderte Druck auf den »Reset«-Knopf für einen
Neustart dann doch nicht.
Hintergrund - Partnerschaftsabkommen
Das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen Russland und der
EU wurde 1997 geschlossen. Ziel war, die Kontakte auszubauen, die
Wirtschaftskooperation zu verbessern, Standpunkte zu internationalen
Problemen anzunähern und »die Demokratie« zu stärken. Offiziell ist das
Abkommen Ende 2007 ausgelaufen, es verlängert sich jedoch automatisch um
jeweils ein Jahr, wenn es nicht von einer der beiden Vertragsparteien
gekündigt wird. Nach Verzögerungen durch einige osteuropäische
Mitgliedsländer wird seit Sommer 2008 über ein Nachfolgeabkommen
verhandelt, allerdings waren die Gespräche im vergangenen Herbst wegen
der Kaukasus-Krise durch die EU für mehrere Wochen ausgesetzt worden.
Mit dem neuen Vertrag will die EU vor allem Energielieferungen aus
Russland sichern, Moskau setzt insbesondere auf sicherheitspolitische
Aspekte. sat
* Aus: Neues Deutschland, 19. November 2009
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