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EU will beim Rüstungswettlauf aufholen

Europäische Kommission lud Vertreter von Waffenschmieden zu Strategieplanung ein

Von Holger Elias, Brüssel *

EU-Kommissar Günter Verheugen will eine »besser verzahnte Rüstungspolitik« in Europa. Dazu sollen die Waffenhersteller über Umwege auch Fördermittel erhalten.

Die Meldung passierte die europäischen Redaktionsstuben fast unbemerkt. Sie erregte dort kaum Aufmerksamkeit, obwohl der Fakt einen Kommentar durchaus gelohnt hätte: Die Europäische Kommission wolle die Wettbe-werbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie erhöhen, hieß es in der vergangenen Woche aus Brüssel. Der für Unternehmen zuständige Vizepräsident der EU-Kommission Günter Verheugen habe deshalb die Unternehmensführer zu einem Plausch in die EU-Zentrale gebeten. Unter den Rüstungsmanagern waren die Deutschen Thomas Diehl (Diehl), Stefan Zoller (EADS) und Detlef Moog (Rheinmetall). Es sei um eine »besser verzahnte Rüstungspolitik« gegangen, hatte Verheugen mitteilen lassen. Zudem habe man die Entwicklung des europäischen Marktes für Verteidigungsgüter erörtert.

Tatsächlich lässt sich an den – verfügbaren – Zahlen ablesen, wie wichtig das Rüstungsgeschäft für die Europäer ist: Die so genannte EU-Verteidigungsindustrie setzt jährlich etwa 70 Milliarden Euro um. Bezogen auf Umsatz- und Personalbestand ist die Branche in der EU halb so groß wie in den USA. Unter den 100 weltweit wichtigsten Rüstungsunternehmen befinden sich »nur« 28 europäische.

Doch die ersten »Erfolge« der EU-Staaten im Rüstungswettlauf wurden dieser Tage bekannt Die Europäer haben im vergangenen Jahr erstmals Russland und die USA als weltweit größte Waffenexporteure abgelöst. Dies geht aus Statistiken hervor, die das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri in seinem neuesten Jahrbuch veröffentlichte. Demnach verkauften die EU-Länder 2005 konventionelle Waffen im Wert von umgerechnet 6,28 Milliarden Euro, mehr als die USA (5,63 Milliarden) und Russland (4,58 Milliarden). Führende Lieferanten im EU-Kreis waren Frankreich (1,9 Milliarden) und Deutschland (1,47 Milliarden). Insgesamt hat sich die EU als drittgrößten Waffenhändler etabliert.

Bis ins Vorjahr hatte die Ausfuhr von Militärmaterial aus dem EU-Raum stets niedriger gelegen als jene aus Russland und den USA. 2005 waren jedoch die russischen Exporte rückläufig, während unter anderem die USA, Frankreich, Deutschland, die Niederlande und Italien stark zulegten. Die vor allem von Frankreich aufgerüsteten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sowie Australien, die Türkei und Kanada waren die besten Kunden der EU-Staaten. Deutschland verkaufte außerhalb des EU-Kreises am meisten Waffen an die Türkei, Südafrika, Malaysia und Israel.

Wie sich die vom deutschen Sozialdemokraten Verheugen inszenierte »besser verzahnte Rüstungspolitik« ihren Vorsprung gegenüber der nichteuropäischen Konkurrenz in solch kurzer Zeit verschaffen konnte, wird an einem Beispiel deutlich: Die EU jubelt dem Europäischen Parlament allerlei Förderprogramme unter, die dreistellige Millionenbeträge ausmachen. Das betrifft vor allem Forschungsgelder, die letztlich wieder in Richtung Rüstungskonzerne fließen. Ähnlich verhält es sich mit den Programmen zur Weltraumforschung. Denn der friedliche Schein trügt: Weltraumforschung ist zu einem großen Teil eng mit den militärischen Aktivitäten verbunden. Die wenigsten Programme haben einen ausschließlich friedlichen Zweck.

Wer nun glaubt, dass sich die europäischen Volksvertreter die Gewissensentscheidungen besonders schwer machten und etwa tagelang darüber nachgrübeln, ob sie dem einen oder anderen Programm doch ihr Veto entgegenschmettern sollten, sieht sich getäuscht. In aller Regel passieren die Vorlagen ohne größere Gegenwehr die Runden.

Rüstungsstrategen und deren parlamentarische Lobbyisten nehmen bereits vorweg, auf welchem Weg sich das Europa der Zukunft befindet und treffen Vorsorge. Ernsthafte Möglichkeiten einer öffentlichen Kontrolle des Finanzgebarens des Parlaments gibt es noch immer nicht und damit steht dem Aufbau des von Verheugen propagierten europäischen Militärisch-Industriellen Komplexes auch nichts mehr im Wege. Ein kleiner Schönheitsfehler schlich sich allenfalls mit der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages durch Franzosen und Niederländer vor einem Jahr ein, der aber reparabel zu sein scheint: Das verfassungsmäßige Festzurren einer Rüstungsagentur und den damit verbundenen neuen Militarisierungsschub wird es vorerst nicht geben. Doch die neoliberalen Kommissare kündigten bereits an, eine Reihe von Projekten unter Nutzung der vorhandenen Lücken durchzusetzen. Dass der Bereich Rüstung dazu zählen wird, steht für viele außer Frage.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juli 2006


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