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Friedensmacht Europa?

Österreichs Neutralität, die Militarisierung der EU und die Positionen der Gewerkschaften

Die Debatte zur Neutralität, zur Aufrüstung Europas und zum Abbau der sozialen Sicherheit zugunsten einer militärischen sind beklemmend aktuell. Die Darstellung eines Eurofighters mit der Unterschrift "Meine Pension fliegt" ist ein polemischer Kommentar dazu. In diesem Beitrag wird sachlich informiert …



Von Thomas Roithner und Christoph Sykora*

Es gibt kaum eine Debatte über die Europäische Union, in der nicht die friedensstiftende Funktion der wirtschaftlichen und politischen Integration Europas gewürdigt wird. Dabei wird auf die historisch gesehen lange Phase ohne kriegerische Konflikte verwiesen.

Auch im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung wird als zentrales Motiv die Überwindung von alten Gräben und die Schaffung einer Zone von Sicherheit und Frieden genannt. Abseits dieser Rhetorik zeichnen sich allerdings Entwicklungen ab, die das Bild einer Friedensunion, die sich vom Unilateralismus und Interventionismus der USA abgrenzt, in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt. Wir meinen, dass diese Entwicklungen mit dem Terminus »Militarisierung« sehr gut umschrieben sind, wenngleich die EU-Sicherheitspolitik nach wie vor in wichtigen Punkten noch von nationalen Interessen geleitet ist.


Bundesverfassungsgesetz Neutralität
vom 26. 10. 1955

Artikel 1
(I) Zum Zwecke der dauernden Behauptung seiner Unabhängigkeit nach außen und zum Zwecke der Unverletzlichkeit seines Gebietes erklärt Österreich aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität. Österreich wird diese mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln aufrechterhalten und verteidigen.
(II) Österreich wird zur Sicherung dieser Zwecke in aller Zukunft keinen militärischen Bündnissen beitreten und die Errichtung militärischer Stützpunkte fremder Staaten auf seinem Gebiet nicht zulassen.

Artikel 2
Mit der Vollziehung dieses Bundesverfassungsgesetzes ist die Bundesregierung betraut.


Kampftruppen und Kampfeinsätze

Nach Berechnungen des renommierten Stockholmer Friedensforschungsinstitutes SIPRI haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Jahr 2003 erstmals mehr Rüstungsgüter exportiert als die Vereinigten Staaten. Weitere militärische Auslandsinterventionen werden in den kommenden Jahren auch auf die EU-Agenda rücken. Dafür wird die Europäische Union rechtlich und rüstungstechnisch in die richtige »Verfassung« gebracht. Der Aufbau europäischer Kampftruppen (»battle groups«) wird vorangetrieben, die neue EU-Verfassung sieht Kampfeinsätze auch ohne klare Bindung an ein UNO-Mandat vor und die Mitgliedsstaaten werden zur schrittweisen Erhöhung ihrer Militärausgaben verpflichtet.

Die Bundesregierung hat mehrfach bekundet, dass Österreich »in vollem Umfang« an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) teilnehmen möchte. Dies steht nicht nur im Widerspruch zum neutralitätspolitischen Status Österreichs. Eine derartige Festlegung hat auch handfeste budgetäre Konsequenzen, die aus Gewerkschaftssicht mehr als bedenklich scheinen.

Rüstungsbudget

Österreich liegt bei den Rüstungsausgaben deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Die Integration in die europäischen Sicherheitsstrukturen bringt unweigerlich eine beträchtliche Ausweitung des österreichischen Rüstungsbudgets mit sich. Entsprechender Bedarf wurde in der Bundesreformkommission bereits angemeldet. Im Budget 2005 ist eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts um 70 Millionen Euro vorgesehen. Angesichts restriktiver Budgetvorgaben ist die Ausweitung des Rüstungsetats zulasten von Sozial-, Gesundheits- und Bildungsausgaben zu erwarten. Einen ersten Vorgeschmack lieferte dazu die Eurofighter-Beschaffung. Die Entscheidung zum Kauf dieses Kampfflugzeuges fiel in eine Phase des Rückbaus des Pensions- und Gesundheitssystems. Die Gleichzeitigkeit von Militarisierung und Sozialabbau in Österreich und Europa ist kein Zufall, sie hat System.

Militarisierung der EU

»Die Verteidigung ist ein Schüsselelement des europäischen Einigungsprozesses geworden. Sie kommt schneller voran als die Währungsunion«, so die französische Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie im Februar 2004 zur künftigen Bedeutung der EU-Militärpolitik. Der Integrationsprozess der EU definiert in Sicherheitsfragen zunehmend militärisch. Die wichtigsten Armeen der Mitgliedsstaaten begreifen sich als »Einsatzarmeen« für Militärinterventionen im Ausland zur Wahrung der EU-Interessen.

Die Union verfügt heute über eine einsatzbereit erklärte militärische Interventionstruppe von 60.000 SoldatInnen, die im gesamten »Petersberger Spektrum« (von humanitären Einsätzen bis zu Kampfeinsätzen) autonom innerhalb von 60 Tagen eingesetzt werden kann. Die Interventionstruppe ist nicht als stehendes Heer konzipiert, sondern setzt sich multinational zusammen. Am Balkan (»Concordia«) und im Kongo (»Artemis«) war diese Truppe – teilweise bereits autonom – im Militäreinsatz. Wenn der deutsche Verteidigungsminister Peter Struck ausführt: »Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt« findet dies in den EU-Militärstrukturen zunehmend mehr Entsprechung. Ständige Fortschritte erzielt die EU bei der Schaffung einer gemeinsamen Rüstungsindustrie und die Union kann auf bereits entwickelte militärische Strukturen (Militärausschuss, Militärstab) verweisen. Angesichts der geplanten – und aufgrund der sozialen Verwerfungen öffentlich wenig auf Akzeptanz stoßenden – Rüstungsprogramme verlangt der EU-Rat von den Mitgliedsstaaten »kreative Lösungen« zur Finanzierung dieser Vorhaben. Allein in der deutschen Bundeswehr liegen die Beschaffungskosten für militärisches Gerät bis ins Jahr 2014 bei über 70 Milliarden Euro. Das Österreichische Heer hat einen Nachholbedarf von 10,9 Milliarden Euro angemeldet.

Seit den Terroranschlägen in den USA am 11. 9. 2001 gehört die Terrorbekämpfung für die EU zum »Kernstück der Außenpolitik«. Im Prozess der ESVP werden die UNO und die OSZE zu Gunsten eigener Interventionskapazitäten in kleinen aber unübersehbaren Schritten marginalisiert. Auch wenn im Bereich des zivilen Krisenmanagements Fortschritte erzielt wurden, bleibt dieses dennoch budgetär und von der politischen Prioritätensetzung im Schatten der EU-Militärpolitik.

EU-Sicherheitsstrategie

Am 12. 12. 2003 wurde die von EU-Außenkommissar und ehemaligen NATO-Generalsekretär Javier Solana erarbeitete EU-Sicherheitsstrategie »Ein sicheres Europa in einer besseren Welt« beschlossen. Solana skizziert als Hauptbedrohungen den Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, Scheitern von Staaten (»failed states«) und organisierte Kriminalität. Die Sicherheitsstrategie betont, dass größere Angriffe gegen Mitgliedstaaten nunmehr unwahrscheinlich geworden sind. Die Parallelen zu den US-Bedrohungen sind jedoch angesichts der Zerwürfnisse nach dem Irak-Krieg nicht zufällig gewählt. Die »failed states«, die nicht bereit sind, in die Gemeinschaft zurückzukehren »sollten sich im Klaren sein, dass sie dafür einen Preis bezahlen müssen«, der auch in einem präventiven EU-Engagement liegen kann. »Bei den neuen Bedrohungen«, so das EU-Papier »wird die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland liegen.« Dem EU-Militärinterventionismus wird damit eine hohe Legitimation zugesprochen. Auf der Homepage des Österreichischen Verteidigungsministeriums ist als eine Aufgabe des Bundesheers auszumachen: »Kooperation mit den USA und mit Japan zum globalen Management von Konflikten und zwecks Zugangs zu strategischen Rohstoffen, der Aufrechterhaltung freien Handels und der Schifffahrt.« (siehe Kasten unten »EU-Operationen«).


EU-Operationen

Abgeschlossen:
  • CONCORDIA: Militäroperation in Mazedonien
  • ARTEMIS: Militäroperation in Kongo
Laufend:
  • PROXIMA: Polizeimission in Mazedonien
  • EUJUST THEMIS: Mission in Georgien
  • EUPM: Polizeimission in Bosnien und Herzegowina
  • ALTHEA: Militäroperation in Bosnien u. Herzegowina


Zum Wohl der Welt

Nicht zufällig betont die EU in der Sicherheitsstrategie mehrfach, dass Sicherheit eine Vorbedingung für Entwicklung ist. Auf einen auch umgekehrten Zusammenhang wird nicht eingegangen. Die Energieabhängigkeit der EU ist für Solana »Anlass zur Besorgnis«. Im Gegensatz zur Bush-Regierung anerkennt die EU allerdings die Bedeutung einer funktionierenden multilateralen Weltordnung für die Wohlstandssicherung und betont die zivilen Aspekte der Sicherheitspolitik. Dennoch müsste die Union eine ihrer wirtschaftlichen Leistungskraft entsprechende aktivere Rolle als Global Player wahrnehmen. Ausgeführt wird dabei, dass die EU in der Lage sein sollte, »mehrere Operationen gleichzeitig durchführen« zu können. Die »Einrichtung einer Rüstungsagentur (...) führen uns in die richtige Richtung«. Es sei eine »Strategie-Kultur« (sic!) zu entwickeln, ein »nötig robustes Eingreifen« zu begünstigen.

Neben der Kohärenz ist auch die Handlungsfähigkeit gefragt. Es »müssen die Mittel für die Verteidigung aufgestockt und effektiver genutzt werden«. Betont wird die besondere Bedeutung der NATO und der transatlantischen Beziehungen: »Im gemeinsamen Handeln können die Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine mächtige Kraft zum Wohl der Welt sein.«

Die bedeutenden Herausforderungen der EU sind aus unserer Sicht ziviler Natur. Fragen der Armutsbekämpfung, der globalen Verteilungsgerechtigkeit und ökologischen Nachhaltigkeit sind mit militärischen Mitteln nicht zu lösen.

EU-Verfassung

Am 29. 10. 2004 wurde der Vertrag für eine Verfassung für Europa in Rom paraphiert. Dem einleitenden Bekenntnis zu Pluralismus, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität, Frieden, globaler nachhaltiger Entwicklung und gerechtem Handel stehen die konkreten Vereinbarungen der Außen-, Sicherheits- und Militärpolitik gegenüber. Militärinterventionen außerhalb der Union sind dabei ein zentraler Teil, und diese sind in »Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen« (I-41.1) durchzuführen. Dieses Bekenntnis impliziert nicht zwingend einen Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Der Artikel I-41.3 schreibt die Erhöhung der Rüstungsbudgets als Verpflichtung vor.

»Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. Es wird eine Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung (Europäische Verteidigungsagentur) eingerichtet« (vormals: »Amt für Rüstung«).

Militärinterventionen nach dem Artikel I-41 werden vom Rat einstimmig erlassen. Nach Artikel I-41.5 kann der Rat eine Gruppe von Staaten zur Durchführung einer Militärintervention beauftragen. »Im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen« können dieEU-Mitgliedstaaten »untereinander festere Verpflichtungen« eingehen und eine »ständige Strukturierte Zusammenarbeit« begründen (I-41.6). Damit begründet die EU in ihrer Verfassung ein Kerneuropa, welches militärisch nicht potente oder unwillige Staaten von einer Militärinterventionspolitik abkoppelt.

Militärisches Kerneuropa

Die Teilnahme am militärischen Kerneuropa ist nach dem Zusatzprotokoll 23 an den Ausbau der multinationalen Streitkräfte, die Beteiligung an den wichtigsten EU-Rüstungsprogrammen und an die intensivere Tätigkeit in der »Verteidigungs«agentur gebunden.

Durch die Verfassung bekommt die EU den Charakter eines militärischen Beistandspaktes: »Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates müssen die anderen Mitgliedstaaten nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung leisten. Dies lässt den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt.« Die Neutralität stellt eindeutig den genannten besonderen Charakter dar, der allerdings in der EU entsprechend geltend zu machen wäre. Die Regierung Schüssel I äußerte sich bereits im Regierungsübereinkommen positiv zum EU-Militärbeistand.

Das EU-Parlament wird in außen und sicherheitspolitischen Fragen lediglich »regelmäßig gehört« (I-41.8). Die nach den Terroranschlägen vom März 2004 in Madrid vorgezogene »Solidaritätsklausel« (I-43) sieht vor, dass die Union »alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel« mobilisiert, um »terroristische Bedrohungen im Hoheitsgebiet von Mitgliedstaaten abzuwenden« (also auch präventiv).

Massenvernichtungswaffen

In der Verfassung sucht man vergeblich nach einem Verbot von Massenvernichtungswaffen. Wenn sich die EU sehr allgemein für »Frieden« ausspricht, wäre auch ein Verfassungsartikel zur Ächtung des Krieges und alternative präzise Artikel für Maßnahmen zur zivilen Lösung von Konflikten nötig.

Die sicherheitspolitischen Bestimmungen im EU-Verfassungsvertrag sind in einem breiteren Kontext zu betrachten.

Die Reformkommission des Bundesheeres hat als militärische Interventionsräume den Balkan, die afrikanische Gegenküste, West-, Ost- und Zentralafrika (»erweiterte Peripherie«) genannt. In militärischen Kreisen Österreichs wurden als mögliche Einsatzgebiete auch der Kaukasus und der Mittlere Osten diskutiert. In der deutschen Debatte fielen als mögliche Interventionsräume u. a. die Randzonen und Nachbarn Russlands bis an die chinesische Grenze.

Das Streitkräfte Planziel 2010 der EU deutet auch klar darauf hin, dass sich die künftigen Aufgaben nicht auf klassische Gebietsverteidigung beschränken, sondern auch globale Einsätze umfassen. Bis 2008 will die EU einen Flugzeugträger und Begleitschiffe zur Verfügung haben und bis im Jahr 2010 sollen der EU weltraumgestützte Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen.

Zur Erreichung dieser Planziele spielt die Verteidigungsagentur eine wichtige Rolle. Die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der EU-Rüstungsindustrie soll durch bessere Koordination gestärkt werden. Die Konturen von technischer Machbarkeit dürfen im Militärbereich mit den politischen Entscheidungen für militärische Operationen nicht verschwimmen. Die verstärkten Rüstungsanstrengungen sind durchaus kompatibel mit der Reduktion der Truppenstärken. Es zeichnet sich ein Trend der quantitativen Abrüstung und qualitativen Aufrüstung ab (siehe Grafik der globalen Militärausgaben).

Militärausgaben weltweit 2003: 878 Milliarden US-Dollar

Nordamerika426
Westeuropa171
Asien/Ozeanien151
Mittlerer Osten70
Ost- u. Zentraleuropa24,5
Süd- u. Mittelamerika24,1
Afrika11,4

Quelle: SIPRI Yearbook 2004, Seite 306

Zivile Möglichkeiten

Eine sicherheitspolitische Emanzipation der EU von den USA ist aus friedenspolitischer Sicht nur dann sinnvoll, wenn diese statt auf Aufrüstung und Präventivkriege auf multilaterale und zivile Möglichkeiten setzt. Die »battle groups« der EU, die u. a. in Wüsten, Hochgebirge und Dschungel für Kampfeinsätze bereitstehen, agieren nicht zwingend auf Basis eines UNO-Mandates und sollen auch ein Gefechtsfeld für andere EU-Truppenteile (z. B. 60.000 Mann-Interventionstruppe) aufbereiten.

Österreich ist mit 200 SoldatInnen in eine der 13 »battle groups« eingebunden (mit Deutschland als »lead nation«). Die Bundesheerreformkommission sieht diese EU-Truppen als »neue Qualität der Streitkräfteplanung«. Für künftige Militärinterventionen stellt sich bei einer ähnlichen Interessenlage der USA die Frage, ob SoldatInnen europäischer Staaten mit dem Helm der schnellen Eingreiftruppe des Militärpakts NATO (NATO Response Force) oder mit dem Helm im Sinne des gelben Sternenbanners (z. B. EU-»battle groups«) intervenieren werden.

Der Vorsitzende des EU-Militärausschusses General Gustav Hägglund hat bereits 2002 ausgeführt: »Man hat gesagt, die USA werden den Krieg führen und die EU wird für den Frieden zuständig sein. (...) Das war so und bezieht sich auf die Vergangenheit, aber das stimmt für die Zukunft nicht.«

Anerkannt werden muss, dass die Union Fortschritte im Hinblick auf die so genannte zivile Komponente der Sicherheitspolitik gemacht hat. Die Aspekte polizeilicher Einsätze, Rechtstaatlichkeit, Zivilverwaltung und Zivilschutz werden ausgebaut. Kräfte für derartige Aufgaben wurden in den vergangenen Jahren u. a. am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK) auf der Burg Schlaining ausgebildet.

Neutralität ade?

Österreich ist als neutraler Staat der EU beigetreten. Diese Neutralität aktiv in die Außenpolitik der EU einzubringen versprach die Bundesregierung im Jahre des EU-Beitritts 1994. Die Neutralität in die EU-Sicherheitspolitik einzubringen heißt, die Wesensmerkmale der Neutralität auf die EU zu übertragen. Diese im engeren juristischen Sinne verstanden, bedeuten damit ein Verbot der EU, Kriege zu führen oder sich an Kriegen zu beteiligen, keine Truppenstationierungen in anderen Staaten und das Verbot, die EU in einen militärischen Beistands- und Militärpakt zu verwandeln.

Der Anspruch eines aktiv Neutralen sollte sich nicht darauf beschränken, bloß sicherzustellen, nicht in Militäraktionen verwickelt zu werden (durch »opting out«, »konstruktive Enthaltung« oder die Berufung auf Einstimmigkeit, durch die Österreich derzeit zu keinen militärischen Abenteuern verpflichtet werden kann). Vielmehr ginge es aus unserer Sicht darum, die Gesamtentwicklung der EU in Richtung einer militärisch ausschließlich defensiven und vorrangig präventiven zivilen Friedenspolitik zu lenken.

Das bedeutet die Umkehrung der gegenwärtigen Prioritätensetzung zwischen Militärischem und Zivilem zugunsten der nichtmilitärischen Möglichkeiten.

Grundlage dieses außenpolitischen Paradigmenwechsels ist auch ein anderer Sicherheitsbegriff. Sicherheit ist nicht mehr im Verbund gegen andere durchsetzbar, sondern im globalen Verbund der UNO in einem multilateralen Konzept miteinander. Dies bedingt auch, dass sich die EU für militärische Aktivitäten streng an ein Mandat des Sicherheitsrates der UNO bindet und sich an der Reform des UN-Sicherheitsrat im Sinne eines funktionierenden Multilateralismus aktiver beteiligt.

Entsorgung der Neutralität?

Die Teilnahme an den »battle groups« hat einmal mehr die Frage aufgeworfen, ob die volle Integration in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik überhaupt noch mit dem Status Österreichs als neutraler Staat vereinbar sei. Eine ehrliche Debatte wird darüber kaum geführt, zeigen doch alle Umfragen konstant hohe Zustimmungsraten zur Neutralität. In Krisenzeiten, wie etwa dem NATO-Bombardement auf Jugoslawien oder dem Irak-Krieg, steigt sie bis auf 85 Prozent. Eine Entsorgung der Neutralität ist zum jetzigen Zeitpunkt daher nicht politisch opportun und wegen fehlender parlamentarischer Mehrheit auch nicht möglich.

Statt dessen findet man Zuflucht zu einer völkerrechtlich nicht vorgesehenen »Neutralität à la carte«: solidarisch nach innen und neutral nach außen. Zu hören ist auch die Argumentation, Österreich sei ohnehin de facto kein neutraler Staat mehr, weil es mit dem EU-Beitritt weit reichende sicherheitspolitische Verpflichtungen übernommen habe und daher lediglich als bündnisfrei zu betrachten sei. Oder es wird behauptet, die Frage der Neutralität stelle sich zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht, sondern erst, wenn die gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik tatsächlich vollendet sei. Diese Argumente leisten jedenfalls der schrittweisen Aushöhlung der österreichischen Neutralitätspolitik Vorschub.

Von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt beschloss das Parlament 1998 mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und Liberalem Forum eine Neufassung des Artikel 23 f der österreichischen Bundesverfassung. Der Artikel 23 f besagt, dass sich Österreich im Rahmen der so genannten »Petersberger Aufgaben« unter anderem an Kampfeinsätzen zur Krisenbewältigung beteiligen darf. In den parlamentarischen Erläuterungen zu diesem Beschluss wird ausdrücklich festgehalten, dass derartige Einsätze auch ohne UNO-Mandat erfolgen können.

Dies steht im klaren Widerspruch zum Völkerrecht und der Satzung der Vereinten Nationen. Weder das neutrale Österreich noch die Europäische Union dürfen sich darüber hinwegsetzen (siehe Kasten »Neutralitätsgesetz«).

Gewerkschaftliche Perspektiven

Im Jahr 2003 gingen weltweit Millionen von Menschen gegen den US-Krieg im Irak auf die Straße. In Europa demonstrierten sie aber nicht nur gegen diesen illegalen Einsatz, sondern auch für eine defensive und auf Konfliktprävention orientierte Friedenspolitik der Europäischen Union. Die europäischen Gewerkschaften und der ÖGB haben sich daran aktiv beteiligt.

Basis für das gewerkschaftlich Engagement sind u. a. die Beschlüsse des ÖGB-Bundeskongresses 2003. Der ÖGB betrachtet die Neutralität als »wesentlichen Bestandteil eines zukunftsweisenden Sicherheitskonzeptes«. Weiters kritisiert der ÖGB, dass in der EU klassische Gebietsverteidigung Schritt für Schritt durch offensiven Militärinterventionismus ersetzt werden soll und damit das im Völkerrecht verankerte Friedensgebot verletzt wird.

Der ÖGB setzt sich für die Umkehrung der Prioritäten der EU zwischen Militärischem und Zivilem sowie für die Umschichtung finanzieller Mittel vom Rüstungs in den Sozialbereich ein:

»Während es auf der einen Seite unbestritten ist, dass mangelhafte Lebensbedingungen und sozialen Verelendung die Hauptursachen von politischer Instabilität, Kriminalität und gewaltsamen Konflikten darstellen, wird auf der anderen Seite die Diskussion einseitig nur über militärische Maßnahmen und ihre institutionelle Vorbereitung geführt.«

Angesichts der Massenproteste gegen den Krieg wäre es angebracht, eine offene Debatte über die künftige sicherheitspolitische Orientierung der Europäischen Union zu führen.

ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hat nicht zuletzt wegen der neutralitätspolitischen Bedenken des ÖGB eine Revision des EU-Verfassungsvertrages und eine Volksabstimmung darüber gefordert.

Im Sinne eines Europas der Bürgerinnen und Bürger sollten weit reichende sicherheitspolitische Weichenstellungen – wie sie der EU-Verfassungsvertrag festschreibt – nicht ohne Einbindung der Bevölkerung getroffen werden.

Resümee

Die Militarisierung der EU schreitet »mit Lichtgeschwindigkeit« (Javier Solana) voran und scheint zum künftigen Schlüsselelement des europäischen Integrationskurses zu werden. Dieser Trend begründet sich in einem militärischen Interventionismus, einer im Verfassungsrang befindlichen Aufrüstungsverpflichtung oder in der Schaffung einer EU-Rüstungsindustrie. In Zeiten mangelnder klassischer militärischer Bedrohungen wird Verteidigung durch globalen Interventionismus ersetzt. Die EU-»battle groups« sind nur ein Instrument, wodurch die österreichische Neutralität in Diskussion geraten ist. Die Autoren plädieren für eine Umkehrung der Prioritätensetzung zwischen Militärischem und Zivilem zugunsten nichtmilitärischer Ansätze. Die Zukunft der Neutralität in der EU und die Möglichkeiten einer zivilen Außenpolitik werden aus Sicht der Gewerkschaften und der Friedensforschung diskutiert und auf ihre Relevanz geprüft.

* Thomas Roithner ist Wissenschafter am Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK Burg Schlaining), Außenstelle Wien
Christoph Sykora leitet das Büro des Vorsitzenden in der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA)

Der Beitrag erschien in der Zeitschrift "Arbeit und Wirtschaft", Mai 2005; herausgegeben von AK und ÖGB


L I T E R A T U R
  • Österreichischer Gewerkschaftsbund (Hg.) (2003): Globale Vernetzung – globale Aktion, Materialien zum 15. ÖGB-Bundeskongress, Wien.
  • ÖSFK (Hg.) (2005): Die Wiedergeburt Europas. Von den Geburtswehen eines emanzipierten Europas und seinen Beziehungen zur einsamen Supermacht, Agenda Verlag, Münster.
  • ÖSFK (Hg.) (2003): Europa Macht Frieden. Die Rolle Österreichs, Agenda Verlag, Münster.
  • VÖGB/ÖSFK (2001) (Hg.): Von der sozialen zur militärischen Sicherheit? Die Rolle der Neutralität im 21. Jahrhundert, Wien.



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