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Ratingagenturen

Wie sie wurden, was sie sind

Von Hermannus Pfeiffer *

An sich machen Ratingagenturen einen nützlichen Job. Will eine Bank, ein Industriekonzern oder ein Staat sich Geld leihen, werden Wertpapiere aufgelegt und diese Anleihen an Investoren aus aller Welt verkauft. Jeden Tag werden Hunderte solcher Anleihen neu auf den Finanzmärkten angeboten – viel zu viele, um die Übersicht zu behalten. Hier kommen nun Ratingagenturen ins Spiel. Sie bewerten die Solidität der Wertpapiere. Wird beispielsweise Italien seine Schulden aus einer zehnjährigen Anleihe im Jahr 2021 – Ministerpräsident Berlusconi und seine Affären sind dann längst Geschichte – tatsächlich zurückzahlen können? Und wird Rom, dessen Schulden so schwer wie die Athens wiegen, bis dahin Monat für Monat seine Zinsen brav begleichen?

Solche Fragen beantworten die Agenturen und vergeben entsprechend ihre Noten von »AAA« (1+) über »BB« bis »C« (6-). In der jeweiligen Note drückt sich dann eine Art von Kosten-Nutzen-Rechnung aus: Eine gute Note steht für geringes Risiko, aber auch für eine niedrige Rendite; eine schlechte Note entsprechend für hohes Risiko, aber auch für die Chance auf hohe Gewinne. Wenn Italien herabgestuft wird, müssen das Land und seine Wirtschaft höhere Zinsaufschläge für Anleihen aufbringen, und dabei geht es nicht um »Peanuts«. Hohe Zinsen sind ein entscheidender Wettbewerbsnachteil.

Die Geschichte der Ratingagenturen reicht zurück bis zum Eisenbahnbau in den USA um 1900. Unabhängige Dritte sollten die Aktien der jungen Eisenbahngesellschaften bewerten, von denen in der Öffentlichkeit kaum mehr bekannt war als spannende Pläne. In der Folge blieben die Ratingagenturen eng mit der Entwicklung der Finanzmärkte verbunden. Als diese in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts boomten, gewannen auch die Ratingagenturen global an Gewicht.

Von der Politik wurden die Rater lange unterschätzt. Dabei dominieren den Weltmarkt lediglich drei Oberschiedsrichter: die US-Giganten Standard & Poor's und Moody's sowie die britische Agentur Fitch. Und bezahlen lassen sie sich ausgerechnet von den Beurteilten, den Emittenten von Wertpapieren. Interessenkonflikte sind also programmiert.

In der Vergangenheit lagen die Rater mit ihren Einschätzungen öfter daneben. Kritik hatte es vor einem Jahrzehnt bei den Pleiten des italienischen Käseherstellers Parmalat und des US-Energiekonzerns Enron gegeben, und bis zum Ausbruch der Weltfinanzkrise im Sommer 2007 waren hochriskante US-Immobilienpapiere noch mit »AAA« supergut bewertet worden.

Im Innenleben der Finanzmärkte geht ohne Rating kaum etwas. In den Richtlinien vieler Versicherer und Pensionsfonds sind bestimmte Noten für die Anlage der Kundengelder vorgeschrieben; und das Bundesministerium der Finanzen hat den Banken noch 2007 verordnet, externe Ratings heranzuziehen. Selbst die Europäische Zentralbank hat sich vom Rating abhängig gemacht. Erst vergangene Woche änderte sie ihre internen Regeln zur Mindestnote, damit sie von Banken weiterhin portugiesische Staatspapiere annehmen kann, die als Ramsch eingestuft sind.

Die EU-Kommission will Ratingagenturen die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Staaten verbieten, die Finanzhilfe aus internationalen Kreditprogrammen bekommen. Das schlug EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier in einer Rede in Paris vor, deren Text am Montag in Brüssel veröffentlicht wurde.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2011


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