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Warum der Euro nicht fallen soll

In der Weltwirtschaft spielt die EU-Gemeinschaftswährung längst eine Hauptrolle neben dem Dollar

Von Hermannus Pfeiffer *

In jüngster Zeit wurden auf globaler Bühne die Aufrufe an die Adresse der EU lauter, endlich die Schuldenkrise zu beenden. Kein Wunder: Der Euro ist längst als zweite Leitwährung neben dem Dollar etabliert.

Die Bürger lehnen den Euro ab, deutsche Konzerne verteidigen ihn, meint die »Wirtschaftswoche« und fordert kaum verhohlen ein Zurück zur D-Mark. Dies kann es aber nicht geben, denn die Welt ist nicht mehr die des Jahres 1999, als die EU-Gemeinschaftswährung eingeführt wurde. Wichtige Akteure wie China wollen einen starken Euro als Gegengewicht zum Dollar. Auch der Internationale Währungsfonds warnte erst kürzlich vor »ernsthaften Ansteckungsgefahren«, sollte die EU nicht rasch neue Maßnahmen umsetzen. Ein Scheitern dürften selbst die Kernländer wie Deutschland und Frankreich zu spüren bekommen.

Aber auch europäische Länder, die sich stets geweigert haben, den Euro einzuführen, würden mehr Nachteile als Vorteile haben, wenn der Euro scheitern würde. So profitiert der »kleine« Schweizer Franken als Nischenwährung – ähnlich wie das britische Pfund und der Finanzplatz London – generell von der Existenz des »großen« Euro. In Bern und Zürich hofft man gleichzeitig auf ein rasches Ende der EU-Schuldenkrise, da die jüngste massive Aufwertung des Franken innerhalb kurzer Zeit gegenüber dem Euro die eidgenössische Exportindustrie und auch den Tourismussektor belastet.

Auf längere Sicht war der Euro aber eine starke Währung. Bei der Einführung kostete er 1,18 Dollar, aktuell liegt er bei 1,42 Dollar. Davon profitierte etwa das exportorientierte Dänemark, das Milchprodukte, Windräder und maritime Dienstleistungen preiswert in Euro-Land verkaufen konnte.

Für die bisherige Entwicklung der Gemeinschaftswährung gibt es zwei Gründe: die Stärke der europäischen Wirtschaft, die sich in vielen Ländern überraschend schnell von der Finanzkrise erholt hat, und auch die Diversifizierung internationaler Finanzmarktakteure. So versicherte Chinas Premierminister Wen Jiabao im Juni auf seiner Reise durch Europa, Peking wolle weiter in europäische Staatsanleihen investieren. China verfolge eine langfristige Strategie und ändere diese nicht bei kurzfristigen Problemen, bekräftigte auch der Vorsitzende des Staatsfonds China Investment, Laurence Lau: »Es gibt nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.« Der Euro werde nicht auseinanderfallen. Allein dieser chinesische Fonds verwaltet über 200 Milliarden Euro.

Wie viel der Exportweltmeister China, dessen wichtigster Handelspartner die EU ist, in europäische Staatsanleihen investiert hat oder noch investieren will, ist unbekannt. Doch es fiel Finanzexperten auf, dass selbst Sorgenkind Griechenland nach Ausbruch der dortigen Schuldenkrise international, wenngleich zu schlechten Konditionen, kreditwürdig blieb. Athen gab noch in dieser Woche eine dreimonatige Anleihe über rund 1,6 Milliarden Euro zu einem Zinssatz von 4,6 Prozent aus. Das Angebot, so wird berichtet, war dreifach überzeichnet. Und Wackelkandidat Spanien kann selbst Anleihen mit mehrjähriger Laufzeit zu hohen Zinsen am Kapitalmarkt platzieren. Bei zwei Emissionen am Dienstag und Donnerstag nahm Madrid insgesamt über sieben Milliarden Euro ein.

Nicht allein China, auch andere Schwellenländer wie Indonesien, Brasilien oder Südafrika halten mittlerweile bis zur Hälfte ihrer Devisenreserven in Euro. Ein Scheitern der EU-Währung würde sie also viel Geld kosten. Ähnlich ist die Sicht in vielen Industrieunternehmen weltweit, aber auch in Versicherungen und Fondsgesellschaften.

Auch die US-Notenbank macht sich Sorgen: Fed-Chef Ben Bernanke bezeichnete die Schuldenkrise in Europa als Gefahr für die US-Wirtschaft. Fiele der Euro, würde der Dollarkurs gefährlich steigen. Amerikanische Exporte würden weltweit geradezu unbezahlbar. Die US-Schuldenkrise würde endgültig in den Fokus der globalen Finanzakteure rücken.

* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2011

Selective Default

Die Staats- und Regierungschefs waren beim Euro-Schuldengipfel in Brüssel gewillt, einen – im Finanzmarktsprech – »selective Default« (teilweisen Zahlungsausfall) Griechenlands in Kauf zu nehmen. Einen solchen Fall konstatieren Ratingagenturen, wenn ein Land nicht mehr in der Lage ist, die Zins- und Tilgungszahlungen für seine Schulden in vollem Umfang oder zu den fälligen Fristen zu bedienen.

Ein Zahlungsausfall wurde bisher von der EU-Zentralbank (EZB) entschieden abgelehnt. Sie fürchtete, dies könnte das gesamte Finanzsystem erschüttern – wie die Pleite der US-Bank Lehman Brothers 2008, die als Beginn der Weltfinanzkrise gilt. Französische und deutsche Banken, die große Mengen griechischer Anleihen besitzen, könnten aus dem Gleichgewicht geraten, wenn sie auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssten.

Die EZB hatte bisher erklärt, im Fall eines Zahlungsausfalls von den Banken keine griechischen Staatsanleihen mehr als Garantie zu akzeptieren. Damit würden insbesondere die griechischen Banken, die sich derzeit auf dem privaten Markt nicht mehr finanzieren können und nur noch von der EZB gegen Sicherheiten Geld erhalten, wohl zahlungsunfähig werden. Sie könnten dann Bürgern und Firmen keine Kredite mehr geben – es drohte die völlige Blockade der griechischen Wirtschaft. AFP/ND

(ND, 22.07.2011




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