Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Suche nach Europas Sicherheitsarchitektur

OSZE soll Rahmen für euro-atlantischen Dialog über russische Vorschläge bilden

Von Hans Voß *

Gegen Jahresende tagen traditionell die in der europäischen Sicherheitslandschaft agierenden internationalen Organisationen wie NATO und OSZE – in diesem Jahr allerdings unter besonderen Vorzeichen. Der Wechsel von George W. Bush zu Barack Obama in den USA ist noch nicht vollzogen. Positionsbestimmungen des neuen Präsidenten in Sicherheitsfragen stehen noch aus. Sie sind aber unerlässlich.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – ihre Ministertagung beginnt morgen in Helsinki – befand sich zuletzt in einer ernsthaften Krise. Die OSZE ist mehr und mehr in ein Instrument westlicher Einflussnahme auf Russland und andere Staaten des »postsowjetischen« Raums verwandelt worden. Moskau drängt daher darauf, zu den Ursprüngen des Forums zurückzukehren, zur allseitigen, gleichberechtigten Zusammenarbeit. Anderenfalls könnte ein Verzicht auf die OSZE ratsam sein.

Bei der fast zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Herbsttagung der NATO-Außenminister ging es unter anderem um die künftige Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens in der Allianz, die natürlich Moskaus Interessen stark berührt. Vorerst scheiterten die USA mit dem Versuch, das vereinbarte Verfahren für einen Beitritt zu beschleunigen. Wie der Nordatlantikpakt in seinem Abschlusskommuniqué gestern bekräftigte, wolle man den nach der Kaukasuskrise ausgesetzten Dialog mit Russland schrittweise wieder aufnehmen. Zugleich forderte die NATO mit Blick auf Georgien und die USA-Raketenabwehr aber auch »Mäßigung« von Moskau. Überdies erklärte die Allianz ihre »tiefe Besorgnis« angesichts der einseitigen russischen Suspendierung des Vertrags über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE) und rief Moskau zur Kooperation auf.

Das Moratorium, das Russland dem KSE-Vertrag verordnete, weil die NATO-Staaten dem neu gestalteten Abkommen seit vielen Jahren die Ratifizierung verweigern, endet Mitte Dezember. Es wird zu klären sein, was mit dem Prozess der konventionellen Abrüstung geschieht, wenn das Bündnis seine Verweigerungshaltung nicht aufgibt. Noch ist Bush im Amt und verfügt über Möglichkeiten, schwer zu revidierende antirussische Akzente zu setzen. Die NATO-Osterweiterung und die Stationierung von Raketen in Polen und Tschechien gehören dazu. Keine Zuspitzung in diesen Fragen muss man da wohl schon als Erfolg bewerten.

Russland verlangt seit geraumer Zeit eine Neubestimmung des europäischen Sicherheitsgefüges. Es schlägt vor, einen neuen Grundsatzvertrag abzuschließen, in dem die Prinzipien der Zusammenarbeit fixiert werden. Zu ihnen soll die Verpflichtung der Staaten gehören, keinerlei Maßnahmen zu ergreifen, die ein anderer Staat als Bedrohung auffassen könnte. Zugleich soll eine Neufassung des KSE-Vertrages angestrebt werden, da das überarbeitete Abkommen (obwohl noch nicht in Kraft) bereits wieder überholt sei. Mit einer Gipfelbegegnung könnte der gesamte Prozess der Neubestimmung in Gang gesetzt werden.

Die NATO-Staaten reagierten zunächst auf das Moskauer Drängen verhalten. Russland gehe es doch bei seinem Vorstoß hauptsächlich darum, seine eigene Position als wiedererstarkte Großmacht bestätigt zu erhalten. Es war die Bundesregierung, die als erste Interesse an den russischen Vorstellungen bekundete und zusätzliche Präzisierungen erbat. Sie bot sich damit faktisch als eine Art Vermittler an. Später schwang sich auch Frankreichs Präsident Sarkozy ins Vermittlungsboot. In seiner Eigenschaft als EU-Präsident begrüßte er die russische Initiative ausdrücklich.

Nunmehr wird ins Auge gefasst, den von Moskau gewünschten Gipfel auf den Sommer nächsten Jahres zu legen – nach dem Jubiläumsgipfel zum 60. Jahrestag der NATO, auf dem das Signal für eine neue NATO-Strategie gegeben werden soll. Den Rahmen soll die OSZE bilden, da in ihr alle interessierten Staaten vereinigt sind. Gestern hat sich die Allianz auch offiziell zu Gesprächen über die Vorschläge Dmitri Medwedjews für eine neue euro-atlantische Sicherheitsarchitektur bereit erklärt. Letztlich aber wird alles auf die Frage hinauslaufen, welche Bedeutung der neue USAPräsident dem Verhältnis zu Russland beimessen wird. Die europäischen Staaten könnten durch kluge und vermittelnde Schritte diesen Klärungsprozess positiv beeinflussen.

* Aus: Neues Deutschland, 4. Dezember 2008


Zurück zur EU-Europa-Seite

Zur Russland-Seite

Zur NATO-Seite

Zurück zur Homepage