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Im Osten geht die Sonne unter

Wiener Institut zeichnet düsteres Zukunftsbild für Osteuropa

Von Hannes Hofbauer, Wien *

Eine rasend sinkende Industrieproduktion, Exporteinbrüche und extremes Leistungsbilanzdefizit kennzeichnen den Absturz der Wirtschaften in Osteuropa. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) revidiert in seiner neuesten Prognose alle bisherigen Voraussagen: Die Krise hat den Osten voll erfasst. Sie wird lange andauern.

Seit September 2008 geht es parallel zur Weltwirtschaftskrise mit den osteuropäischen Peripherien bergab. Das Gerede von den »emerging markets« (Wachstumsmärkte) klingt Anfang 2009 wie Hohn. Die Industrieproduktion, die sich nach einer Phase der Deindustrialisierung erst in den vergangenen zehn Jahren erholt hatte, bricht nun erneut ein. Den großteils für Westeuropa produzierenden ausländischen Investoren, die wegen der billigen Arbeitskraft in den Osten gegangen sind, brechen die Exportmärkte weg. Sie ist in den vergangenen drei Monaten, von Land zu Land unterschiedlich, um fünf bis 20 Prozent gesunken. Und die Talfahrt ist noch nicht zu Ende.

»Ausländische Direktinvestitionen werden sich mindestens halbieren«, schätzt der WIIW-Experte Josef Pöschl. Und auch der Kreditfluss wird wesentlich schwächer werden. In der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung, der Leistungsbilanz, weisen alle Länder (bis auf Russland) für 2008 ein fettes Minus beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf. Mit 24,5 Prozent schießt dabei Bulgarien am weitesten ins Abseits. Aber auch Länder wie Polen (-5,4%), Ungarn (-6,1%) und Rumänien (-12,1%) liegen weit negativer als der Durchschnitt der Eurozone (-0,4%).

Dramatisch schätzen die Ökonomen des WIIW auch die Entwicklung der Währungspolitik ein. Jene Staaten, deren lokale Währungen durch einen Währungsrat fest an den Euro gebunden sind (Bulgarien, Bosnien, Baltikum) und jene, die sich in der Eurozone befinden (Montenegro, Slowakei, Slowenien, Kosovo) sind jeder nationalen politischen Eingriffsmöglichkeit beraubt. Eine Abwertung der lokalen Währung ist nicht möglich. Das heißt, Exporte werden schlechter verkäuflich, die Produktion der allesamt exportorientierten Ökonomien sinkt weiter, die Arbeitslosigkeit steigt, während die Importe vergleichsweise zunehmen. Letzteres bewirkt ein steigendes Preisniveau, das die Bevölkerung zusätzlich belastet.

Ökonomien, die mittels eigener Währungspolitik Abwertungen vornehmen können, wie Tschechien, Ungarn und Polen, tun dies auch in großem Ausmaß. Das stärkt zwar vergleichsweise die Exportwirtschaft und drosselt die Nachfrage nach importierten Gütern, lässt aber Betriebe und Private, die Kredite in Euro oder US-Dollar aufgenommen haben, in die Schuldenfalle tappen. Vor diesem Hintergrund verwundert das Resümee der WIIW-Prognostiker nicht: »Sehr viel können die Länder in Osteuropa nicht tun.« Wobei jene mit eigener Währung und einem relativ großen Binnenmarkt (wie Polen und Rumänien) politisch noch ein wenig Handlungsraum haben, um etwa die Binnennachfrage zu stimulieren

Womit sich die Prognose des WIIW nicht beschäftigt, ist der Kern der strukturellen Krise. Denn die Staaten des ehemaligen Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) sowie Jugoslawien haben im Zuge der Transformation eine Enteignung des, oftmals verkommenen, staatlichen und genossenschaftlichen Besitzes erlebt und dienten den Westkonzernen in der Folge als Paradies für hohe Renditen. Nun, in der Krise, sind ihre Exportkapazitäten von jenen Märkten abhängig, deren führende Kräfte die Länder jahrelang ausgesaugt haben. Die Integration in den Westmarkt hat letztlich in die Krise geführt. Über protektionistische oder regional-integrative Maßnahmen getrauen sich die neuen Eliten jedoch nicht nachzudenken. Dazu ist ihre Abhängigkeit von den westlichen Institutionen auch politisch zu groß.

* Aus: Neues Deutschland, 7. März 2009


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