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Das Imperium plant den Krieg

"European Defence Paper" im Auftrag es EU-Rates bereitet "Expeditionskriegszüge" vor

Von Gerald Oberansmayr*

Die EU-Verfassung soll mit der Verpflichtung zur Aufrüstung und der Ermächtigung zum weltweiten Kriegseinsatz die EU als aggressiver Militärmacht verfassungsrechtlich – d. h. auf Generationen – festzurren. In der sog. Europäische Sicherheitsstrategie einigten sich die EU-Staatschefs Ende 2003 auf ein gemeinsames Strategiepapier. Dieses ist die Grundlage für das sog. „European Defence Paper“ (EDP), das der EU-Rat beim Institut für Sicherheitsstudien in Auftrag gegeben hat. Das EDP erläutert auf 140 Seiten präzise die Ausgestaltung zukünftiger Kriege des europäischen Imperiums.

Während Voggenhuber und Einem durch die Lande ziehen, um von einer „Friedensmacht EU“ zu schwadronieren, ist im Auftrag des EU-Rats ein Papier entstanden, das sich kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, worum es tatsächlich geht: „Die Transformation Europäischer Streitkräfte von der Landesverteidigung in Richtung Intervention und Expeditionskriegszügen (orig.: „expeditionary warfare“) ist eine unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Europäische Sicherheitsstrategie.“ (S. 55). Die EU „will mehr globale Verantwortung übernehmen ... und eine Strategie präventiven Engagements zu übernehmen.“ Dafür brauche man sowohl „mobile, flexible und schnelle Streitkräfte für Expeditionsinterventionen“ als auch Besatzungstruppen „über sehr lange Zeiträume einzusetzen und aufrechtzuerhalten.“ (S. 7). Militärische Szenarien werden entwickelt, „in denen die nationalen Atomstreitkärfte von EU-Mitgliedstaaten (Frankreich und Großbriatnnien) in die Gleichung entweder explizit oder implizit eingehen können.“ (S. 68).

"Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen"

Über die Missionsziele für die imperialen Streitkräfte wird ebenfalls Klartext geredet: „Stabilitätsexport zum Schutz der Handelswege und des freien Flusses von Rohstoffen.“ (S. 13). Dafür gelte es – so heißt es tatsächlich wörtlich - „Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen“ (S. 80) zu führen. Dankenwerterweise klären die EU-Strategen darüber auf, was hinter dem sog. „Antiterrorkampf“ tatsächlich steht: „Künftige regionale Kriege könnten europäische Sicherheit und Wohlstand direkt bedroht werden. Bspws. Durch die Unterbrechung der Ölversorgung und/oder einer massiven Erhöhung der Energiekosten, ... oder der Störung der Handels- und Warenströme." (S. 81) Auch ein Vorbild für diese „Regionalkriege zur Verteidigung europäischer Interessen“ wird ausführlich dargelegt: der Golfkrieg von 1991. „Europa kann seine Verteidigungspolitik nicht auf der Annahme aufbauen, dass es nicht größere militärische Herausforderungen im Mittleren Osten gibt, die von der gleichen oder sogar einer größeren Dimension als der Golfkrieges von 1990-1991 sind.“

Vorbild für EU-Kriege: Golfkrieg 1990-91

Zur Erinnerung: im Golfkrieg Anfang der 90er Jahre wurden ca. 300.000 IrakerInnen unmittelbar getötet. Die Folgetoten dieses Krieges – insbesondere aufgrund der Zerstörung der Infrastruktur und des Embarogs - wird auf über eine Millione geschätzt. In dieser Lige will die EU in Zukunft mitschießen. Auch die entsprechenden militärischen Planspiele werden bereits elaboriert: „In einem Staat X am Indischen Ozean haben antiwestliche Elemente die Macht erlangt und benützten das Öl als Waffen, vertreiben westliche Bürger und greifen westliche Interessen an. Darüber hinaus haben sie mit der Invasion des Nachbarlandes Y begonnen, dessen Regime pro-westlich orientiert ist und eine zentrale Rolle beim freien Fluss von Öl in den Westen spielt. ... Die EU interveniert gemeinsam mit den USA mit einer starken Streitmacht, um das land Y zu unterstützen und ihre eigenen Interessen zu schützen. ... Das militärische Ziel der Operation ist es, das besetzte Territorium zu befreien und Kontrolle über einige der Öl-Infrastrukturen, Pipelines und Häfen des Landes X zu bekommen. ... Der EU-Beitrag besteht aus 10 Brigaden (60.000 Soldaten). Diese Landstreitmacht wird von 360 Kampfflugzeugen und zwei maritimen Einheiten, die aus 4 Flugzeugträgern, 16 ambhibischen Schiffen, 12 U-Booten, 40 Schlachtschiffen, 2 Kommandoschiffen, 8 Unterstützungsschiffen und 20 Patrollienschiffen bestehen, unterstützt.“ (S. 84)

"Kriege wagen und gewinnen"

Weil sich die imperialen Streitkräfte noch nicht in der Lage sehen, dieses Golfkriegsszenario zu verwirklichen, durchzieht die Klage über die „militärischen Defizite“ den Text von Anfang bis zum Schluss. „Die Fähigkeit Kriege in einem anspruchsvollen Szenario zu wagen und zu gewinnen ist noch sehr beschränkt.“ „Noch fehlt es der EU an militärischer „Eskalationsdominanz“. (105) Das soll sich ändern. Daher ist das allgemeine Credo klar: „Die militärischen Ausgaben müssen gesteigert werden.“ (S. 86). Die konkreten Vorgaben sind präzise. Hier nur ein Auszug, dessen was im EDP auf die Tagesordnung gesetzt wird:
  • Erhöhung des Anteils der im Ausland einsetzbaren Streitkräfte von derzeit 10% auf 50%. Gemessen an den derzeitgen Mannstärken hieße das eine Ausweitung von 150.000 auf 750.000 Mann/Frau. Die Durchhaltefähigkeit bei „Exepeditionskriegszügen“ soll von derzeit einem auf drei Jahre gesteigert werden. Gleichzeitig soll der Zeitraum, innerhalb dessen die Euro-Landser weltweit schussbereit sind, extrem verkürzt werden. Diese Aufgabe kommt den sog. „EU-Schlachtgruppen“ (battle-groups) zu. Ein erstes Batallion soll bereits innerhalb von 48 Stunden marschbereit sein.
  • Erhöhung der einsetzbaren Militärflugzeuge von derzeit 400 auf 600; Ausbau der Luftbetankungsmöglichkeiten, um den Einsatzradius für Kampf- und Transportflugzeuge erheblich auszuweiten, sowie der Präzisionsmunition, Abstandslenkwaffen und der Waffen zur Ausschaltung gegnerischer Flugabwehr, um die eigenen Verluste gering zu halten. Ein sofortiges 42 Milliarden Euro-Investitionspaket wird alleine im Bereich Lufttransport und Aufklärungskapazitäten für notwendig erachtet (S. 118). Die Militärausgaben im Bereich Froschung und Entwicklung sollen verdoppelt werden.
  • Ausbau der militärischen Fähigkeiten im Bereich Kommando, Kontrolle, Kommuniaktion, Nachrichtendienst, Überwachung, Zielerfassung und Aufklärung. Dafür muss insbesondere die militärische Nutzung des Weltraums vorangetrieben werden. Das ist die Voraussetzung zur sog. „Netzwerkszentrierten Kriegsführung“, wie sie die USA – so die Sichtweise der Verfasser des Papiers – so „eindrucksvoll“ vorgeführt haben. Ausbau der Transportgeräte in der Luft und zur See, um die Truppen weltweit verlegen zu können.
  • Einrichtung eines Europäischen Multinationalen Kommandos zur See bestehend aus Flugzeugträgern, Schlachtschiffen, U-Booten, amphibischen Einheiten, usw. Denn „die anspruchsvollste Aufgabe ist die Machtprojektion, die aus der Kombination von Luftschlägen, Landangriffen und amphibischen Operationen besteht.“ (S. 103)
  • Einrichtung eines ständigen strategischen sowie eines mobilen Hauptquartiers, um bei Interventionen auf Perspektive nicht mehr auf NATO-Infrastrukturen angewiesen zu sein.
Als besonders zentral für die Ausführung all dieser Ziele sehen die Autoren des EDP die Einrichtung der Rüstungsagentur und der sog. „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (SSZ), also die Einrichtung einer militärischen Kerngruppe in der EU. Die EU-Verfassung verleiht sowohl der Rüstungsagentur als auch der SSZ Verfassungsrang. Dadurch werden die entsprechenden militärischen Handlungsstrukturen grundgelegt. Schließlich sind „auch die besten mlitärischen Instrumente wirkungslos, wenn die EU-Mitglieder nicht darin übereinstimmen, warum, wann und wie sie eingesetzt werden.“ (S. 124) Denn eines, so teilen uns die EPD-Verfasser mit, will das Imperium in Zukunft vermeiden: den nächsten Krieg „aus der Zuschauerposition“ (S. 81) zu erleben.

Quelle: Institut für Sicherheitsstudien, European Defence – A proposal for a White Paper, Mai, 2004, www.iss-eu.org

* Gerald Oberansmayr arbeitet in der Werkstatt für Frieden und Solidarität, Linz. Bei der alternativen Friedenskonferenz in München am 11./12. Februar 2005 referierte er über die EU-Verfassung. Letzte Buchveröffentlichung: "Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der Europäischen Union" Wien: Promedia 2004


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