Das stählerne Rückgrat der Mittelmeerunion
Unter Wasser werden neue Leitungen für Export nordafrikanischen Erdgases nach Europa verlegt
Von Günther Bading, Almeria *
Die von Nicolas Sarkozy initiierte Mittelmeerunion soll nicht zuletzt
der sicheren Versorgung Europas
mit Energie dienen. Dabei ist die EU auch auf Erdgas aus Nordafrika
angewiesen. Auf dem Boden
des Mittelmeers werden derzeit mit Milliardeninvestitionen in
Gasleitungen Fakten geschaffen.
Im Hafen von Almeria bereitet sich die »Castoro Sei« auf ein nicht
alltägliches technisches
Abenteuer vor: Europa soll durch eine 210 Kilometer lange Erdgasleitung
mit Afrika verbunden
werden. Das Gas aus der algerischen Sahara wird in Andalusien in das
iberische Leitungsnetz
gespeist.
Seit Monaten liegen lange schwarze Rohre im Hafen von Almeria, werden
von den Greifarmen eines
Baggers an Bord der »Castoro Sei« befördert, wo gewaltige
Schweißapparaturen auf sie warten. Ein
paar gelangweilte Fischer, die wegen der hohen Dieselkosten, die jede
Fangfahrt unrentabel
machen, im Hafen herumsitzen, kennen den Zweck: »Die Röhren kommen ins
Meer.« Seit Mitte
März fertigt man auf der »Castoro Sei« Teilstücke der »Medgaz«-Pipeline
vor, die von Almeria aus
in einer Tiefe bis zu 2160 Metern auf dem Grund des Mittelmeeres nach
Algerien führen wird. Ab
diesem Monat wird verlegt. Bis zu drei Kilometern Leitung sollen täglich
auf dem Boden des
Mittelmeeres angebracht werden.
Ab Mitte 2009 wird Gas nach Spanien gepumpt, acht Milliarden Kubikmeter
pro Jahr. Ein Teil davon
soll laut einem Vertrag mit Gaz de France nach Frankreich weiterfließen.
Das Projekt wird von der
EU gefördert. »Medgaz« soll die bestehende Gasleitung Maghreb-Europa
ergänzen, die über 1375
Kilometer aus Algerien über Marokko durch die Straße von Gibraltar nach
Spanien führt. Hier
werden jährlich 8,6 Milliarden Kubikmeter Gas ins spanische Netz
eingespeist. Die Leistung soll auf
11,7 Milliarden Kubikmeter erhöht werden. Schon seit 1983 gibt es die
»Transmed«-Pipeline, die
algerisches Gas nach Sizilien bringt. Sie hat seit einer Erweiterung
1994 eine Jahreskapazität von
24 Milliarden Kubikmeter, die bis 2012 auf 33 Milliarden steigen sollen.
Ein weiteres Projekt ist
»Greenstream«, das libysche Vorkommen für Europa erschließen wird.
Vorgesehen ist auch die
Anbindung Griechenlands ans italienische Gasnetz und eine Pipeline von
Algerien über Sardinien
nach Frankreich, mit Stichleitung in norditalienische Industriegebiete.
Algerien mit seinen Erdgasvorkommen ist dabei der zentrale Punkt. Die
Gasvorräte werden auf 4,58
Billionen Kubikmeter geschätzt, in Afrika nach Nigeria die Nummer zwei.
Derzeit liefert Algerien rund
30 Prozent des europäischen Verbrauchs, bis 2015 könnten es 40 Prozent sein.
Doch es werden nicht nur neue Leitungen gebaut. Algerisches, aber auch
ägyptisches Flüssiggas
(LNG) geht per Schiff in spanische, portugiesische und französische
Anlagen, wo es in lokale oder
transnationale Pipelines eingespeist wird. Mit Gastankern kommt Bewegung
in einen durch
langfristige Lieferverträge, Preisbindung oder Ankoppelung an
Referenzpreise – wie den Ölpreis bei
Erdgaslieferungen aus Russland – wenig flexiblen Markt. Wird Flüssiggas
in Nigeria, Katar oder
Lateinamerika billiger, kann es durch LNG-Tanker dort abgeholt werden.
Algerien ist Europas wichtigster Versorger auch beim Flüssiggas.
Entsprechend umworben ist das
Land, sowohl von Europäern als auch von Russland. Der Gazprom-Konzern
hat in Algier im Juni
seine erste Niederlassung auf dem afrikanischen Kontinent eröffnet.
Wenige Tage später besuchte
Frankreichs Ministerpräsident François Fillon Algerien. Der
französischen Diplomatie scheint
russischer Einfluss in Nordafrika Sorge zu bereiten. In Algiers
Regierungskreisen sieht man das
allerdings gelassen.
* Aus: Neues Deutschland, 1. August 2008
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