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Willkommen ist, wer der Wirtschaft nutzt

EU-Staaten entwickeln Konzepte zur Arbeitsmigration / Keine Lockerung der Asylpolitik

Von Bernd Parusel, Stockholm *

Einer aktuellen Umfrage unter Arbeitgebern zufolge benötigt die EU Arbeitskräfte aus dem Ausland. Schweden will eine Vorreiterrolle übernehmen und es Unternehmern ermöglichen, qualifiziertes Personal weltweit anzuwerben.

Die »alternde Gesellschaft« und ein sich abzeichnender Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in vielen Berufszweigen, etwa bei Computerexperten, Ärzten oder Ingenieuren, sind in vielen EU-Ländern schon lange ein immer wieder diskutiertes Thema. Laut einer Ende Oktober veröffentlichten Umfrage der Personalfirma Manpower sucht weltweit fast jedes dritte Unternehmen nach qualifizierten Bewerbern, findet aber keine. Besonders deutlich ist der »Mangel an Talenten« in den USA sowie in Japan und anderen asiatischen Ländern. Auch in Westeuropa aber sagen zwischen zwölf und 23 Prozent der befragten Unternehmer, sie hätten im zurückliegenden Halbjahr mehr Arbeitskräfte eingestellt, wenn sie geeignete Kandidaten gefunden hätten. In Großbritannien, Österreich und Spanien wurde diese Position von 23 Prozent, in Italien von 18, in Deutschland und Schweden von 16 und in Frankreich von 12 Prozent vertreten. Viele der Befragten beklagten zudem, wegen der gewachsenen Konkurrenz um die wenigen Bewerber höhere Löhne und Gehälter zahlen zu müssen. Zwar gibt es in Europa Millionen Arbeitslose, offenbar aber haben sie nicht die Qualifikationen, die sich die Wirtschaft wünscht – und an Weiterbildungsmöglichkeiten hapert es.

Eine andere Möglichkeit, das Problem anzugehen, bestünde laut Manpower darin, Arbeitskräfte zu »importieren«. Arbeitseinwanderung aus Ländern außerhalb der EU ist in den meisten Mitgliedstaaten zwar bisher nicht vorgesehen, doch langsam zeichnet sich eine Öffnung ab. Die EU-Kommission veröffentlichte bereits im Frühjahr 2005 ein »Grünbuch über ein EU-Konzept zur Verwaltung der Wirtschaftsmigration«. Damit wollte sie eine Debatte darüber anstoßen, ob sich Europa gegenüber Arbeitskräften aus Nicht-EU-Staaten öffnen soll, welche Engpässe es auf dem Arbeitsmarkt zu beheben gilt und wie eine gemeinsame Politik der Europäischen Union zur Anwerbung von Arbeitsmigranten aus so genannten Drittstaaten aussehen könnte.

Aus den meisten europäischen Hauptstädten bekam die Brüsseler Behörde positive Reaktionen. Irland und Großbritannien sind zwar EU-Regeln gegenüber skeptisch, lassen jedoch schon seit mehreren Jahren Einwanderung zu, wenn es eine »ökonomische Notwendigkeit« dafür gibt. Die Londoner Labour-Regierung arbeitet zur Zeit an einer Vereinfachung der bisherigen Vorgaben. Einwanderungswillige sollen je nach Qualifikation Punkte bekommen, und wer eine bestimmte Punktzahl erreicht, soll einwandern dürfen. Premierminister Tony Blair beschrieb das Ziel seiner Regierung mit den Worten, man wolle »Einwanderung ermöglichen, wenn sie im Interesse unseres Landes liegt, sie aber verhindern, wenn es nicht so ist«.

Die neue konservativ-liberale Regierung in Schweden plant nun eine ähnliche Politik. Die ehemalige Vizepremierministerin Lena Hjelm-Wallén präsentierte Ende Oktober einen im Auftrag der Vorgängerregierung erarbeiteten Bericht mit dem Titel »Arbeitskräfteeinwanderung nach Schweden – Vorschlag und Konsequenzen«. Demnach ist vorgesehen, dass Arbeitgeber, die Stellen zu besetzen haben, sich zunächst an schwedische Bewerber und EU-Bürger wenden. Wenn nach einer gewissen Frist kein geeigneter Kandidat gefunden ist, kann auch ein Bewerber aus einem Nicht-EU-Land angeworben werden. Er erhält dann das Aufenthaltsrecht für 24 Monate, das bei Bedarf um weitere 24 Monate verlängert werden kann. Danach gibt es eine unbefristete Arbeitserlaubnis. Um potenziellen Migranten den Umzug in den Norden schmackhaft zu machen, sollen sie auch ihre Familie mitbringen dürfen. Dies könne Schweden einen »Konkurrenzvorteil« gegenüber anderen Ländern geben, sagte Hjelm-Wallén. Angesichts seiner Sprache und seines Klimas könnte es Schweden schwer fallen, die am höchsten Qualifizierten anzulocken, befürchtet sie.

Die Chancen auf Umsetzung der Vorschläge stehen gut. Die konservativ-liberalen Regierungsparteien sind ebenso für eine gezielte Arbeitskräfteeinwanderung wie die Opposition. Die Gewerkschaften befürchten zwar, dass Unternehmen die Anwerbung im Ausland dazu missbrauchen könnten, das Lohnniveau zu drücken. »Eine absolute Bedingung von uns ist, dass für ausländische Arbeitnehmer die gleichen Bedingungen gelten müssen wie für alle anderen«, meinte deshalb die Vorsitzende des Gewerkschaftsverbands LO, Wanja Lunby-Wedin.

Eine mögliche Öffnung Schwedens gegenüber Arbeitssuchenden aus Nicht-EU-Staaten bedeutet indes keine liberalere Politik gegenüber Flüchtlingen und Asylbewerbern. Deren mögliche Beiträge zum Gemeinwohl kommen weder in der schwedischen noch in der Brüsseler Debatte vor. Bei der neuen Einwanderungspolitik geht es nicht um Menschenrechte, sondern um ökonomischen Nutzen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. November 2006


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