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Versenkte Menschenrechte

Von Karl Kopp *


Karl Kopp ist Europareferent von Pro Asyl und Vorstandsmitglied des Europäischen Flüchtlingsrates ECRE.

In den letzten fünf Jahren sind tausende Bootsflüchtlinge auf dem Weg nach Europa gestorben und über 10 000 zwangsweise in Drittstaaten wie Libyen, Marokko, Mauretanien, Türkei zurück verfrachtet worden. Europa versucht, bereits weit vor den eigenen Grenzen Flüchtlinge und Migranten abzufangen und zurückzudrängen. Damit verschwinden die Orte der Menschenrechtsverletzungen und des Sterbens aus unserem Blickfeld. Gelangten im Jahr 2008 etwa 70 000 Bootsflüchtlinge lebend an die europäischen Küsten, wurden 2009 nur noch knapp 45 000 Ankünfte verzeichnet. In den Sommermonaten 2010 war die Zahl der ankommenden Boote so gering, dass selbst die alljährliche Berichterstattung über Flüchtlingsdramen im Mittelmeer und Atlantik weitgehend ausfiel.

Die italienische Küstenwache hat allein seit Mai 2009 über 2000 Bootsflüchtlinge in die »libysche Hölle«, wie eine eritreische Flüchtlingsfrau die Haftlager von Gaddafis Regime bezeichnete, zurückverwiesen. In den Auffanglagern dort kommt es regelmäßig zu Misshandlungen, Vergewaltigungen, Folter und Ermordungen – so das Europäische Parlament in einer Entschließung vom 17. Juni 2010. Italiens Innenminister Maroni lobt dagegen die gemeinsamen Militäroperationen mit Libyen und spricht von einem »Modell für Europa« im Kampf gegen »illegale Einwanderung«. Italien versenkt die Menschenrechte im Mittelmeer und die EU- Kommission schweigt.

Statt die Regierung in Rom zu sanktionieren, verhandelt Brüssel unter Hochdruck mit Tripolis über ein »Kooperations- und Partnerschaftsabkommen«, um die Zusammenarbeit bei der Flüchtlingsbekämpfung zu intensivieren. Seit Jahren hofieren die EU und ihre Mitgliedsstaaten das Regime von Muammar al-Gaddafi. Libyen wird nicht nur mit Schiffen, Grenzüberwachungstechnik, Leichensäcken und Geldern für Abschiebungsflüge beliefert. Die EU-Kommissarin Cecilia Malmström hat in der vergangenen Woche während eines Besuchs in Tripolis ein erstes Abkommen über Migrationszusammenarbeit geschlossen. Malmström erhielt Beifall von den EU-Innenministern. Innereuropäisch quält die Kommission sie mit Vorschlägen, ein gemeinsames europäisches Asylrecht zu schaffen, das etwas menschlicher und zivilisierter gestaltet werden soll. Das Bundesinnenministerium hat diesen Plänen mehrfach eine klare Absage erteilt. Die Reise der Kommissarin nach Tripolis zeigt aus Sicht der Festungsbauer, dass Brüssel zumindest an der Außenfront richtig tickt.

Ein bisschen »Asyl« in Libyen anstatt Schutz in Europa. Die EU will nunmehr den libyschen Behörden beim Screening derjenigen helfen, die internationalen Schutz brauchen. Ein paar wenige Flüchtlinge könnte dann auch Europa abnehmen. Der Rest muss zurück. Alles vertraute Ideen. Als der frühere Innenminister Otto Schily 2004 sein Konzept der Flüchtlingsabwehr – »Lager in Nordafrika« – vorstellte, entbrannte noch ein Sturm der Entrüstung.

Aber immerhin: Die Kommissarin beschreibt in ihrem Blog, dass sie nach Gesprächen mit inhaftierten Flüchtlingen in Libyen sehr schlecht geschlafen habe.

PRO ASYL appelliert an das Europäische Parlament, die klare Verurteilung Libyens vom Juni in politisches Handeln umzusetzen und die Kommission zu stoppen. Alle Kooperationen mit dem Regime im Politikfeld Flucht und Migration müssen unverzüglich eingestellt werden. Die EU zerstört ansonsten den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit in Fragen der Menschenrechte und des Flüchtlingsschutzes.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Oktober 2010 ("Brüsslere Spitzen")

Eingesperrt, gefoltert, vergewaltigt

Europas Zusammenarbeit mit dem Regime Gaddafis zur Bekämpfung von Flüchtlingen im Mittelmeerraum
Die schmutzige Seite Europas: Gewissenloser Umgang mit Flüchtlingen und Menschenrechten


Die Zusammenarbeit mit dem libyschen Regime zählt zu den beschämendsten Kapiteln der EU-Flüchtlingspolitik. Seit Jahren hofieren die EU und ihre Mitgliedstaaten Muammar al-Gaddafi, um den Fluchtweg nach Europa zu sperren. Die EU-Institutionen schauen weg, wenn Italien tausendfach Völker- und EU-Recht verletzt und Bootsflüchtlinge gewaltsam nach Libyen zurück verfrachtet.

Die Europaparlamentarier, die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten wissen, dass in Libyen Schutzsuchende inhaftiert, misshandelt und gefoltert, Flüchtlingsfrauen vergewaltigt werden. Dennoch wird bis heute an der Kollaboration mit diesem Regime festgehalten. In zahlreichen EU-Dokumenten hat die Kooperation mit Libyen Top-Priorität. Die EU und ihre Mitgliedstaaten beliefern das Regime mit Waffen, Schiffen, Fahrzeugen, Leichensäcken, Geldern für Abschiebungsflüge und Haftanstalten und blenden die Menschenrechtsverletzungen aus.

24 Flüchtlingen, die im Mai 2009 durch die italienische Küstenwache von Italien nach Libyen verschleppt wurden, gelang es, Klage am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben. PRO ASYL unterstützt diesen Prozess finanziell und politisch. Es geht um die Freiheit von Menschen, die im Namen Europas in libyschen Lagern eingesperrt, gefoltert und vergewaltigt werden. Und es geht darum, die weltweite Gültigkeit der Menschenrechte zu verteidigen.

Quelle: Website von Pro Asyl; www.proasyl.de




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