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Spalterwährung EURO: Island will gar nicht erst rein - Zypern will raus

Oskar Lafontaine löst erregte Debatten nicht nur innerhalb der Linken aus. Beiträge, Kommentare


Der EURO galt lange Zeit als sakrosant - und zwar quer durch die politischen Lager, in den Gewerkschaften und selbst bei Nichtregierungsorganisationen wie ATTAC oder OCCUPY. Erst die EURO-Krise, die bekanntlich mehr ist als nur eine Krise der Währung, sondern die ganze Finanz- und Realökonomie erfasst hat, brachte auch wieder die europäische Einheitswährung ins Gespräch. Insbesondere an der südlichen Flanke der Eurozone werden Überlegungen angestellt, ob es für die am stärksten von der Krise geschüttelten Länder und ihre Bevölkerungen nicht besser sei, aus dem EURO auszusteigen, um so zumindest wieder eine eigenständige Währungspolitik betreiben zu könnnen.

Für große Aufregung in Deutschland sorgt nun ein Beitrag Oskar Lafontaines, den er am Vorabend des 1. Mai auf seiner Homepage veröffentlichte. Dabei lautet der Titel seines "Diskussionsbeitrags" noch unverfänglich: "Wir brauchen wieder ein europäisches Währungssystem". Das müsse aber eben nicht der EURO sein. Sarah Wagenknecht hatte sich in dieser Debatte ein paar Tage früher noch vorsichtiger geäußert. In einem Interview bei n-tv wurde sie nach der AfD befragt. Ihre Antwort u.a.:
"Wenn man sich die Situation in Europa anschaut, könnte man eher sagen: Südeuropa braucht den Euro nicht (lacht). Schließlich haben diese Länder mit dem Euro die Möglichkeit zur Abwertung verloren, mit der sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern könnten. Stattdessen werden ihnen brutale Austeritätsprogramme diktiert, die ihre Wirtschaft immer tiefer in die Krise treiben. Für Deutschland sieht das anders aus: Wenn wir die Währungsunion aufkündigen und die D-Mark wieder einführen, dann würde sie extrem aufwerten. Für die Exportindustrie, derzeit der einzige Anker der deutschen Konjunktur, dürfte das ziemlich hart werden." Und zur AfD: "Wer die Gründer der AfD als Populisten abstempelt, macht es sich zu leicht. In vielen Punkten haben sie mit ihrer Kritik an der derzeit praktizierten Eurorettung recht. Zu suggerieren, 'Wir müssen raus aus dem Euro, dann sind unsere Probleme gelöst', halte ich jedoch für falsch. Ein anderer Weg zur Stabilisierung der Währungsunion wäre die innere Aufwertung in Deutschland. Dafür müssten wir hier Löhne, Renten und Sozialleistungen erhöhen. Eine solche Aufwertung könnte man jedenfalls besser kontrollieren als eine neue Währung, die zum Spielball der Finanzmärkte würde." (n-tv.de, 29.04.2013)

Aus Zypern kommen ähnliche Signale. Die dortige Linkspartei AKEL will ein Referendum auf den Weg bringen mit dem Ziel, aus der EURO-Zone auszutreten. Erst vor kurzem haben die Isländer eine - äußerst konservative - Partei an die Regierung gebracht, die einem vorgesehenen Beitritt zur Europäischen Union rundweg ablehnt - und gerade deswegen gewählt wurde.

Im Folgenden dokumentieren wir:

Kehrtwende

Zyperns Linke für Austritt aus dem Euro

Von Andreas Wehr *


Das war keine gute Woche für die Eurokraten. Erst wählten die Isländer eine neue Regierung, die einen Beitritt zur EU strikt ablehnt. Und nun erklärt auch noch die Partei des werktätigen Volkes (Akel) Zyperns, daß sie sich in einem Referendum für den Austritt des Landes aus der Euro-Zone einsetzen will. Doch diese Parallelität ist nicht zufällig. Beide Inselstaaten wurden über Jahre von einer Finanzindustrie beherrscht, die die kleinen und schwachen Volkswirtschaften als Geisel nahm. Bereits 2008 brach das Modell in Island und jetzt auch in Zypern zusammen. Daß Island nicht Mitglied der EU oder gar der Euro-Zone ist, erwies sich danach als Segen: Das Land war von Brüssel nicht erpreßbar. Es konnte von ihm nicht verlangt werden, daß es den unversehrten Bestand des Euro-Raums durch seine Mitgliedschaft weiter sichert. Außerhalb stehend, konnte es vielmehr unabhängig nach dem besten nationalen Weg suchen. Inzwischen wächst seine Wirtschaft wieder.

Als Mitglied des Euro-Gebiets erwartet Zypern ein anderes Schicksal. Das von der Troika aufoktroyierte Programm von Kürzungen und Privatisierungen wird die Insel schnell auf das elende Niveau des benachbarten Griechenlands herunterbringen. Da sollte es niemanden wundern, daß sich viele Zyprioten dieses Schicksal ersparen und dafür lieber den Euro aufgeben wollen. Ein Austritt müßte allerdings mit Brüssel ausgehandelt werden und wäre daher alles andere als einfach. Die zu erwartenden finanziellen und wirtschaftlichen Belastungen sind zudem enorm. Und dennoch erscheint es vielen dort als der heute einzig gangbare Weg.

Womöglich wird es sogar die Mehrheit der Bürger so sehen, denn die Akel ist als große und starke Partei in der Bevölkerung gut verankert. Sie stellte bis Februar 2013 mit Dimitris Christofias den Präsidenten, und sie erreicht bei Wahlen regelmäßig um die 40 Prozent. Sie ist damit ähnlich stark wie die griechische Syriza. Doch die will Griechenland unter allen Umständen im Euro-Gebiet halten. Man setzt auf die großzügige Streichung griechischer Staatsschulden. Nur ist es wenig wahrscheinlich, daß sich Berlin, Paris und Brüssel darauf jemals einlassen werden.

Die Kehrtwende der Akel wird nicht ohne Rückwirkungen auf die europäische Linke bleiben, wo der Austritt eines Landes aus dem Euro bislang tabu ist. Die Akel ist Beobachter in der Europäischen Linkspartei und besitzt traditionell gute und enge Verbindungen zu anderen linken Parteien. Ihr Werben für einen Austritt könnte daher in Portugal, Spanien und natürlich in Griechenland, wo bislang nur die Kommunisten diesen Weg gehen wollen, Schule machen. Den deutschen grünen und linken Gesundbetern des Euro, die von der Illusion eines sozialen, demokratischen und friedlichen Europas nicht lassen wollen, ist anzuraten, sich jetzt mit Kritik zurückhalten. Dies verlangt schon der Respekt vor der Souveränität Zyperns.

* Von Andreas Wehr ist zuletzt im PapyRossa-Verlag das Buch »Die Europäische Union« erschienen. Weitere Informationen: www.andreas-wehr.eu

Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Mai 2013



Wir brauchen wieder ein europäisches Währungssystem

Ein Diskussionsbeitrag von Oskar Lafontaine **

Die Europapolitik der Bundeskanzlerin gerät immer mehr unter Druck. Neben dem europäischen Kommissionspräsidenten Barroso hat jetzt auch der von dem italienischen Präsidenten Napolitano mit der Regierungsbildung beauftragte Politiker Enrico Letta die ins Desaster führende Austeritätspolitik Merkels abgelehnt. Schon lange wissen Europas Politiker nicht mehr weiter. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich von Monat zu Monat und die Arbeitslosigkeit erreicht ein Ausmaß, das die demokratischen Strukturen mehr und mehr in Frage stellt.

Die Deutschen haben noch nicht erkannt, dass die Südeuropäer einschließlich Frankreichs angesichts der wirtschaftlichen Misere früher oder später gezwungen sind, sich gegen die deutsche Hegemonie zur Wehr zu setzen. Insbesondere das deutsche Lohndumping, das von Anfang der Währungsunion an ein Verstoß gegen den Geist der Verträge war, setzt sie unter Druck. Merkel wird aus ihrem selbstgerechten Schlaf erwachen, wenn die unter dem deutschen Lohndumping leidenden europäischen Länder sich verbünden, um eine Wende in der Krise zu Lasten der deutschen Exportwirtschaft zu erzwingen.

Die einheitliche Währung hätte von Bestand sein können, wenn die beteiligten Staaten eine aufeinander abgestimmte produktivitätsorientierte Lohnpolitik verfolgt hätten. Weil ich diese Lohnkoordination für möglich hielt, habe ich den 90er Jahren die Einführung des Euro befürwortet. Aber die Institutionen zur Koordinierung, wie vor allem der makroökonomische Dialog, sind von den Regierenden unterlaufen worden. Die Hoffnung, dass durch die Einführung des Euro auf allen Seiten ökonomische Vernunft erzwungen würde, hat getrogen. Heute ist das System aus den Fugen. Um eine annähernd ausgeglichene Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erreichen, müssten, so Hans-Werner Sinn kürzlich im Handelsblatt, Länder wie Griechenland, Portugal oder Spanien gegenüber dem Durchschnitt der EU-Länder um 20 bis 30 Prozent billiger und Deutschland um 20 Prozent teurer werden.

Die letzten Jahre haben aber gezeigt, dass eine solche Politik keine Realisierungschance hat. Eine reale Aufwertung über steigende Löhne, wie sie im Falle Deutschlands notwendig wäre, ist mit den deutschen Unternehmerverbänden und dem diesen folgenden neoliberalen Parteienblock, bestehend CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, nicht zu machen. Die reale Abwertung über sinkende Löhne, die 20 bis 30 prozentige Einkommensverluste in Südeuropa und sogar in Frankreich verlangt, führt – wie wir in Spanien, Griechenland und Portugal schon sehen können – zur Katastrophe.

Wenn reale Auf- und Abwertungen auf diesem Wege nicht möglich sind, , dann muss man die einheitliche Währung aufgeben und zu einem System zurückkehren, das, wie beim Vorläufer der Währungsunion, dem Europäischen Währungssystem, Auf- und Abwertungen erlaubt. Im Kern geht es darum, kontrollierte Abwertung und kontrollierte Aufwertung über ein von der EU getragenes Wechselkursregime wieder möglich zu machen. Dazu sind im ersten Schritt strikte Kapitalverkehrskontrollen unumgänglich, um die Kapitalströme zu regulieren. In Zypern hat Europa diesen ersten Schritt ja schon gemacht.

In der Übergangsphase muss man den Ländern helfen, ihre Währungen, die mit Sicherheit abwerten werden, auch durch Intervention der EZB zu stützen, um einen Absturz zu verhindern.

Voraussetzung für ein europäisches Währungssystem, das funktioniert, ist auch, dass der Finanzsektor nach dem Vorbild der öffentlichen Sparkassen neu geordnet und streng reguliert wird. Die Zockerbuden müssen verschwinden.

Der Übergang zu diesem System, das kontrollierte Auf- und Abwertungen wieder ermöglicht, sollte schrittweise erfolgen. In Griechenland und Zypern hätte man anfangen können. Die Erfahrungen die Europa mit der Währungsschlange und dem europäischen Währungssystem gemacht hat, müssen dabei genutzt werden.

** Website von Oskar Lafontaine, Dienstag, 30. April 2013; www.oskar-lafontaine.de


Pressekommentare zu Lafontaine:

Stefan Reinecke lässt sich in der taz auf die guten und weniger guten Argumente Lafontaines ein:

(...) Lafontaines Begründung hat so gar nichts chauvinistisch Aufgeheiztes, wie man es von manchen seiner künftigen Mitkombattanten auf diesem Feld kennt. Sie liest sich eher wie ein deprimiertes Resümee. Und im Kern ist daran vieles richtig: Die Medizin, die Angela Merkel der EU verabreicht, löst die struktuellen Widersprüche der EU keineswegs. Das Sparen verelendet den Süden.

Das einzig wirksame Gegenmittel, das die Fliehkräfte bändigen könnte, ist eine gemeinsame Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik in der EU. Und die ist fern, sehr fern. Da hat Lafontaine recht. Deshalb will er lieber eine Rückkehr zu D-Mark, Drachme und Lira. Damit hat er gefährlich unrecht.

Lafontaine schickt eine doppelt lesbare Botschaft hinaus. Man kann in seiner Begründung mit etwas Wohlwollen den enttäuschten Staatsmann wahrnehmen, der nur noch Vergeblichkeiten sieht. Wer sich nicht so sehr für fiskalpolitische Debatten interessiert, wird indes nur den groben Slogan hören: Zurück zur D-Mark. (...)


Markus Decker in der Frankfurter Rundschau lässt sich erst gar nicht auf eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Lafontaines Vorschlag ein, sondern rechnet mit ihm ab. Ein Auszug aus seinem "Kommentar":

(...) Der Mann kann einfach nicht ertragen, dass sie ihn 2012 nicht zum Parteivorsitzenden ausriefen und ihm auch jetzt nicht den roten Teppich auslegten, als es um eine erneute Bundestags-Kandidatur ging. Deshalb macht er dem Rest der Partei jetzt Probleme. Das Kernproblem besteht nicht in Lafontaines neuer Positionierung an und für sich, sondern in der Tatsache, dass die eher rechts-konservative Allianz für Deutschland zu derselben Schlussfolgerung kommt: Weg mit dem Euro!

Dass sie dabei von einer nationalen Grundposition ausgeht, ist Lafo völlig schnuppe. Er hat vielmehr Freude daran, dass die armen Kippings, Riexingers und Gysis dem staunenden Wahlvolk fortan den Unterschied zu einer linken Denke erklären müssen. (...)


Ohne den Namen Lafontaine zu nennen, dreht sich der Kommentar von Uwe Kalbe im "neuen deutschland" (Titel: "Vergifteter Rat") doch um dessen Vorschlag:

Beim Geld hört die Freundschaft bekanntlich auf. Auch die von viel Weihrauch verhangene Gemeinschaft europäischer Länder verliert sehr schnell alle Gemeinschaftlichkeit, wenn es darin so provozierend leicht zu identifizierende Sieger und Verlierer gibt.

Wenn nicht mehr nur die in allen Ländern Prekarisierten zum Opfer werden, sondern ganze Länder selbst. Angela Merkels vergifteter Rat, Wachstum und Austerität als zwei notwendige Seiten einer Medaille zu akzeptieren, weckt mittlerweile nicht nur bei denen Missfallen, die ihre Empörung am 1. Mai auf die Straßen trugen - in vielen Ländern deutlicher als in Deutschland. Sondern auch in der politischen Klasse jener Länder, die gegen Deutschland als wirtschaftliche Konkurrenten bisher nicht bestehen, aber in seine Umarmung gezwungen sind.

Dass jetzt auch in der Linkspartei die Ansichten auseinander gehen, ist folgerichtig, wenn nicht wünschenswert. Ist doch die Frage, welche Alternativen sich in dieser Situation für Europa bieten, keine in einem Lehrbuch nachlesbare. Wenn auch zu hoffen wäre, dass ihrer Debatte einige »Alternativen für Deutschland« erspart bleiben. Zugleich zeigt die Form der Auseinandersetzung das Problem der Linken, zumindest in Deutschland. Sie ist ihrer Aufgabe noch immer nicht gewachsen. Der Euro, der gern als Synonym für den Konflikt diskutiert wird, ist nur ein Aspekt. Ein anderer wäre die Kultur. Trotzdem scheint er das einzig Wichtige zu sein. Beim Geld hört die Freundschaft auf.


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