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EU-Gipfel in Laeken: Startschuss für eine "neue Reformrunde"?

Die wichtigsten Ergebnisse der Tagung der Staats- und Regierungschefs

Im Folgenden dokumentieren wir eine Erklärung des Presseamts der Bundesregierung zum Abschluss des EU-Gipfels in Laeken (Belgien) am 14. und 15. Dezember 2001 in Auszügen. Der Gipfel war begleitet von zahlreichen Protesten von Globalisierungskritikern, Friedensbewegungen und - vor allem - europäischen Gewerkschaftern, die sich gegen die soziale Schieflage der EU und gegen ihre weitere Militarisierung richteten. Doch bdarüber soll an dieser Stelle nicht die Rede sein (die Presseerklärung der Bundesregierung geht mit keinem Wort darauf ein).

Mit der "Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union" setzten die Staats- und Regierungschefs der EU einen Konvent mit dem Vorsitzenden Giscard d´Estaing ein und gaben so den "historischen" Startschuss für eine neue Reformrunde."

Am  14. und 15. Dezember 2001 haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) zu ihrem halbjährlich stattfindenden Europäischen Rat getroffen. Das Treffen im Schloss Laeken bei Brüssel war gleichzeitig der offizielle Abschluss der belgischen Ratspräsidentschaft, die mit dem Jahreswechsel auf Spanien übergeht.

Auf dem Programm standen folgende Themen:

Zukunft der Europäischen Union

Die Staats- und Regierunschefs haben am 15. Dezember eine "Erklärung zur Zukunft Europas" verabschiedet. Der Bundeskanzler bezeichnete die Erklärung in der Abschluss-Pressekonferenz als "historisch". Sie sei rasch angenommen worden, weil sie von der belgischen Präsidentschaft gut vorbereitet worden sei.

In der Erklärung heißt es: "Fünfzig Jahre nach ihrer Gründung befindet sich die Union am Scheideweg, einem entscheidenden Punkt ihrer Entwicklung. Die Einigung ist nahe. Die Union schickt sich an, sich um mehr als zehn neue vor allem mittel- und osteuropäische Mitgliedstaaten zu erweitern und so eine der dunkelsten Seite der europäischen Geschichte endgültig umzuschlagen..."

Die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Mitgliedsstaaten beschäftigten sich mit einem wichtigen Thema: Die Einsetzung eines Gremiums, in der EU-Sprache "Konvent", das einen Vorschlag für die institutionelle Reform der Union erarbeiten wird. Der Konvent erhielt das Mandat, über die Verteilung von Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedsländern sowie zum Verhältnis der europäischen Institutionen Vorschläge zu unterbreiten. Mit diesem Mandat kann der Konvent die im Jahr 2004 geplante Reform des Vertrags von Nizza vorbereiten.

Zweites Thema des Konvents: Die Verfassung der Europäischen Union. Die Grundrechtecharta der Europäischen Union liegt bereits vor und kann in eine Verfassung überführt werden. Dabei sei es für die Bundesregierung unwichtig, ob das Ergebnis den Namen "Verfassung" trage, so der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zum Europäischen Rat in Laeken vom 12. Dezember 2001. Auf die Inhalte komme es an. Deutschland sei entschlossen, einen Vertrag auf den Weg zu bringen, der alle Elemente einer solchen Verfassung enthalte.

Der Europäische Rat hat den ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valérie Giscard d´Estaing zum Vorsitzenden des Konvents ernannt. "Giscard ist ein überzeugter Europäer", sagte der Kanzler. Die Bundesregierung habe bereits bei den deutsch-französischen Konsultationen in Nantes im November den französischen Vorschlag unterstützt. Auch die Vizepräsidenten, der frühere italienische Regierungschef Giuliano Amato  und der ehemalige belgische Ministerpräsident Jean-Luc Dahaene, seien "engagierte Europäer".

Das Präsidium des Konvents hat neun Mitglieder: zwei Vertreter der nationalen Parlamente, zwei Vertreter des Europäischen Parlaments, drei Vertreter der Kommission und drei Regierungsvertreter (der jeweilige Präsident des Eurpäischen Rate, sein Vorgänger und der künftige Ratspräsident). Damit habe der Konvent zwölf Mitglieder und sei arbeitsfähig, sagte der Bundeskanzler.

Die Beitrittsländer sind mit einem Regierungsvertreter und zwei nationalen Abgeordneten im Konvent vertreten. Sie erhalten volles Mitspracherecht, aber kein Vetorecht, wenn sich die Mitglieder der EU einig sind.

Gefragt nach dem Zeitplan für erste Ergebnisse, sagte der Kanzler,  dies sei in der Erklärung des Rates absichtlich offen gehalten worden, damit der Konvent die Möglichkeit habe, sachgerecht und ohne Zeitdruck seine Arbeit zu erledigen.

Internationale Themen

Auf der Tagesordnung des 14. Dezembers standen die Lage in Afghanistan, die Nahost-Krise sowie Gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik.

Afghanistan

Die Staats- und Regierungschefs sind sich einig, dass es für die EU darum gehe, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, sich beim Wiederaufbau zu engagieren und die Übergangsregierung zu schützen. Dass sich die EU engagiere zeige die Benennung des Beauftragten Europas, Klaus-Peter Klaiber, so der Kanzler vor der Presse. Die Europäer seien bereit, sich auf der Grundlage eines Mandats durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an einer multinationalen Friedenstruppe zu beteiligen. Der Beschluss des Sicherheitsrates müsse eine solche Mission zeitlich begrenzen. Klar müsse auch sein, dass der Einsatz auf Kabul und den Flugplatz von Kabul begrenzt wäre. Außerdem sei die Zustimmung der neuen Übergangsregierung in Afghanistan notwendig. Diese Voraussetzungen seien noch zu klären und es mache keinen Sinn, jetzt über das "Wie" zu spekulieren, wie etwa über die Zahl der Soldaten.

Der Bundeskanzler räumte vor der Presse das Missverständnis aus, eine europäische Streitmacht könnte sich an einer Friedenstruppe beteiligen. Eine solche Streitmacht gebe es nicht. Afghanistan sei kein Probelauf für die Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Aber Deutschland  und die Europäer seien bereit, so Gerhard Schröder, wenn die notwendigen Vorraussetzungen vorliegten.

Naher Osten

Die Staats- und Regierungschefs sehen die jüngsten Entwicklungen mit großer Sorge. Bundeskanzler Gerhard Schröder betonte gegenüber der Presse, die EU sehe weiterhin in Palästinenserpräsident Arafat ihren Gesprächspartner im politischen Prozess. Aber er müsse auch den Nachweis bringen, dass er gegen terroristische Strukturen, wie Hamas und Djihad, vorgehe. Im Mittelpunkt der politischen Bemühungen stehe die Deeskalation der Gewalt. Das sei die Aufgabe aller am Konflikt Beteiligten.

Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) sowie
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP)

Der Rat von Laeken hat die "Einsatzfähigkeit" der Europäischen Union prinzipiell festgestellt und ist damit in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einen Schritt weiter gekommen. Damit stehen der EU erste europäische Fähigkeiten zur Krisenreaktion zur Verfügung. Geplant war auch, dass die europäische Eingreiftruppe ab 2003 NATO-Fähigkeiten nutzen kann. Die Türkei als NATO-Mitglied, aber Nichmitgliedstaat der EU, hatte dazu ihre Bereitschaft erklärt. Griechenland hatte Bedenken geäußert. Diese Bedenken konnten bisher nicht ausgeräumt werden. Der Bundeskanzler sagte vor der Presse, er hoffe, es werde möglich sein, durch weitere Gespräche den griechischen Bedenken Rechnung zu tragen, ohne den Kompromiss mit der Türkei in Frage zu stellen. (Siehe hierzu auch EU-Streitmacht: Bis 2003 soll schnelle Eingreiftruppe Kriege führen können.

Justiz- und Innenpolitik

Beim Thema Zuwanderung hat der Bundeskanzler Versuche im Europäischen Rat zurückgewiesen, Begrenzungs- und Steuerungsmöglichkeiten der Zuwanderung zu relativieren, saagte der Kanzler. Deutschland sei für eine gemeinsame europäische Position in den Fragen Asyl und Zuwanderung. Diese gemeinsame Position müsse aber die Unterschiede in den Mitgliedstaaten berücksichtigen und zu einer ausgewogenen Balance zwischen den selbstverständlichen humanitären Verpflichtungen und der Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung führen. Die Integration derer, die kommen, solle schließlich gelingen. Zur Entwicklung einer europäischen Position brauche man Zeit.

Die gegenwärtigen Vorschläge der Kommission - zum Beispiel zu Sicherheitsfragen - bedürften einer gründlichen Überarbeitung. Die Entwicklungen in der Welt nach den Terroranschlägen vom 11. September seien einfach darüber hinweggegangen. Auch die Vorstellungen zum Familiennachzug seien in Deutschland anders. Der Kanzler betonte, er unterstütze in allen Punkten die Vorstellungen des Bundesinnenministers.

Der Europäische Rat hat den gemeinsamen EU-Aktionsplan zur Terrorismusbekämpfung beschlossen, den die Staats- und Regierungschefs am 21. September 2001 in Brüssel entworfen hatten.

Der Rat hat eine positive Bilanz über erste Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus gezogen. Er begrüßte die Harmonisierung der Terrorismus-Strafbestände, die einheitliche Definition von Terrorismus, die Richtlinie zum Kampf gegen die Geldwäsche und die Fortschritte beim weiteren Aufbau von EUROPOL und EUROJUS.

Auch der Europäische Haftbefehl wurde in Laeken verabschiedet, nachdem auch die italienische Regierung dessen Notwendigkeit eingesehen hatte. Der Kanzler sagte zur Aufgabe des Widerstands der Italiener: "Das ist natürlich befriedigend, denn es macht ja keinen Sinn, Terrorbekämpfung zu machen und dann langwierige Auslieferungsverfahren durchführen zu müssen."

Wirtschaft

Einige Themen in Kürze:

Zur Euro-Einführung hat der Bundeskanzler vor der Presse betont, der Euro sei eine stabile Währung und bleibe das auch. Bundesbankpräsident Welteke hatte bereits am 12. Dezember im Bundeskabinett berichtet, dass die Vorbereitungen in Deutschland voll im Plan liegten und es keine Engpässe am 1. Januar 2002 geben werde

Die Finanzminister haben am 13. Dezember eine Erklärung zur Wirtschaftslage vorbereitet, die die Staats- und Regierungschefs auf dem Rat gebilligt haben.

Sozialer Zusammenhalt in Europa: Laeken wird den Rat von Barcelona vorbereiten. Schwerpunkt der spanischen Präsidentschaft wird die Fortführung des Lissabon-Prozesses sein. Auf dem Europäischen Rat in Lissabon hatte die Union ein neues strategisches Ziel festgelegt. Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt sollten als Bestandteile einer wissensbasierten Wirtschaft gestärkt werden.

Beschäftigungspolitik: Die beschäftigungspolitischen Leitlinien, angestoßen durch den Rat in Luxemburg, sollen weiter entwickelt werden. Der Bundeskanzler sagte, die Bundesregierung werde die beschäftigungspolitischen Vorschläge der Europäischen Kommission prüfen, vor allem die Kritik an der Langzeitarbeitslosigkeit. Erste Schritte seien getan, etwa das Job-Aqtiv-Gesetz.

Satellitensystem Galileo: Der Europäische Rat hat das Projekt als wirtschaftlich sinnvoll eingeschätzt. Allerdings muss die Finanzierung noch geklärt werden. Die Wirtschaft wurde aufgefordert, sich substanziell zu beteiligen

Europäisches Gemeinschaftspatent:  Ein solches Patent sei zwar wichtig für den europäischen Wirtschaftsraum, aber nur ohne überzogene Übersetzungsanforderungen. Es sollte bei den drei Sprachen englisch; französisch und deutsch bleiben, ansonsten werde werde das Vorhaben zu teuer, so der Kanzler vor der Presse. Frankreich und Deutschland haetten hier Vorschläge gemacht und er hoffe; der Rat könne sich darauf verständigen.

Erweiterung

Der Europäische Rat hält an dem Fahrplan von Göteborg zur Erweiterung der EU fest. Danach sollen die Beitrittsverhandlungen mit den aussichreichsten Kandidaten im Jahr 2002 abgeschlossen sein.

Der letzte Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission hat allen zwölf Beitrittsländern bestätigt, erhebliche Fortschritte beim Einhalten der Beitrittskriterien erzielt zu haben. Zehn Beitrittskandidaten haben gute Chancen, 2004 in die EU aufgenommen zu werden. Mit der Erweiterung wird die EU gößer und deshalb war es so wichtig in Laeken,  Reformvorschläge auf den Weg zu bringen.


Bundespresseamt, 16. Dezember 2001

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