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Wegen "falscher" Meinung vor Gericht

nd-Autor Hannes Hofbauer schrieb ein Buch über Erinnerungsgesetze und politische Rechtsprechung in der EU *

Gerade ist das Thema wieder in die Schlagzeilen geraten: Die französische Nationalversammlung hat ein Gesetz verabschiedet, das Haft- und Geldstrafen für die Leugnung jedes in Frankreich anerkannten Völkermords (Genozids) vorsieht.

Da Frankreichs Parlament schon 2001 die Verfolgung der Armenier im zerfallenden Osmanischen Reich der Jahre 1915 bis 1917 zum Völkermord erklärt hatte, empörte sich insbesondere die türkische Regierung, die das armenische Massensterben jener Zeit auf Kriegswirren und Seuchen zurückführt, den Begriff »Völkermord« dafür jedenfalls nicht gelten lassen will. Aber auch in der heutigen Türkei lebende Armenier und französische Historiker sind über das Gesetzesvorhaben, das noch der Bestätigung durch den Senat bedarf, alles andere als glücklich. Nicht weil sie die Verbrechen jener Jahre bestreiten würden, sondern weil sie ein solches Gesetz als Angriff auf die Meinungsfreiheit betrachten. Ihr Argument: Es kann nicht die Sache wechselnder Parlamentsmehrheiten und auch nicht die von Gerichten sein, historische Wahrheiten festzuschreiben - und dies womöglich unabhängig von Geschichtsforschung und politischer Diskussion. Eben diese Meinung vertritt auch nd-Autor Hannes Hofbauer in seinem neuesten Buch »Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument«.

Zu Zeiten des Kalten Krieges war des einen Terrororganisation des anderen Befreiungsbewegung. Auch heute werden der Charakter des »Massakers von Srebrenica«, die Massenmorde in Ruanda und Darfur oder der Konflikt in Palästina höchst unterschiedlich bewertet, wie Hofbauer ausführlich dokumentiert. In der Ukraine streitet man darüber, ob das Massensterben im Hungerwinter 1932/33 - der »Holodomor« - Folge eines geplanten Völkermords war. Das Kambodscha-Tribunal soll entscheiden, in welchen Fällen die überlebenden Führer des Pol-Pot-Regimes wegen Genozids zu verurteilen wären.

Von der UNO erst nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Konvention gefasst, wird der Begriff des Völkermords inzwischen geradezu inflationär verwendet, denn er ist als politisch brauchbar erkannt worden. Ist ein Verbrechen erst einmal als Genozid gebrandmarkt, am besten durch die UNO, ersatzweise durch ein vermeintlich unparteiisches Gericht, unterliegt es dem höchsten Grad der Verdammung und ist damit weiterer historischer Forschung und politischer Debatte entzogen. »Der Vorwurf des Völkermords wird zum Instrument politischer Propaganda«, schreibt Hofbauer. Kein Wunder, dass der türkische Premier auf den französischen Gesetzesvorstoß mit dem Vorwurf reagierte, Frankreich habe in Algerien Völkermord begangen.

Das Pariser Parlament kann sich indes bei seinen »Erinnerungsgesetzen« - Hofbauer nennt eine ganze Reihe davon - auf einen Rahmenbeschluss der EU-Justizminister aus dem Jahre 2007 berufen, in dem neben Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch die Leugnung von Völkermord als strafwürdig definiert wurde. Besonders eifrig wird dieser Beschluss übrigens in osteuropäischen EU-Staaten aufgegriffen.

Im ungarischen Strafgesetzbuch etwa heißt es seit 2010: »Wer vom kommunistischen System begangenen Völkermord (was immer damit gemeint ist - d.A.) oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, in Zweifel zieht oder in ihrer Bedeutung herabmindert, wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren belegt.« Ähnliches bestimmen Gesetze in Polen, Litauen und Tschechien. Fallweise soll schon die »Verharmlosung totalitärer Verbrechen« geahndet werden. Nicht nur, dass auf diese Weise wieder einmal Faschismus und Kommunismus gleichgesetzt werden und dass die Einzigartigkeit des Holocaust gleichsam aufgehoben wird. Derlei Gesetze öffnen darüber hinaus einer Gesinnungsjustiz - in diesem Fall einer antikommunistischen - Tür und Tor.

Die Meinungsführerschaft einer politischen Elite wird juristisch zementiert, wenn schon die Äußerung einer »falschen« Meinung über historische und gegenwärtige Ereignisse zur Straftat erklärt werden kann. Hannes Hofbauer macht mit seinem Buch eindringlich auf die Gefahr aufmerksam, dass durch »Erinnerungsgesetze« ein »zutiefst bürgerliches Gut«, nämlich die Meinungsfreiheit, ausgehebelt wird.

Detlef D. Pries

Hannes Hofbauer: Verordnete Wahrheit, bestrafte Gesinnung. Rechtsprechung als politisches Instrument. Promedia Verlag, Wien 2011. 264 Seiten, 17,90 €; ISBN 978-3-85371-329-7

* Aus: neues deutschland, 30. Dezember 2011


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