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Griechenland abgehängt

Allianz-Reichtumsreport: Aktuelle Krise verstärkt das Wohlstandsgefälle innerhalb der Europäischen Union

Von Wolfgang Pomrehn *

Das private Geldvermögen ist im vergangenen Jahr weltweit kräftig gewachsen. Dies berichtet der Versicherungskonzern Allianz Group in seinem jüngst veröffentlichten »Global Wealth Report 2011«. Für die Reichen und Superreichen rund um den Globus scheint die Krise bereits ausgestanden. In den untersuchten 50 Industrie- und Schwellenländern gab es insgesamt rund 95 Billionen (95000 Milliarden) Euro privates Bruttogeldvermögen, wobei Immobilien- und Aktienbesitz nicht mitgerechnet und Schulden nicht berücksichtig wurden. Das entspricht etwas mehr als dem Doppelten des Bruttoinlandsprodukts aller Staaten 2010. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Summe um sechs Prozent, womit das Privatvermögen im globalen Maßstab schneller als die Weltwirtschaft wuchs und das Vorkrisenniveau überstiegen hat.

Interessant dabei: Auf den ersten Blick hat es den Anschein, daß die Reichen von der Krise im besonderen Maße profitiert haben. Immerhin war in den Jahren seit 2000, so die Autoren, das globale Privatvermögen etwas langsamer als die Weltwirtschaft gewachsen. Tatsächlich ist es aber eher so, daß die Entwicklung in den Regionen höchst unterschiedlich verlief. In den reichsten Ländern hatte 2010 das Vermögen das Vorkrisenniveau noch nicht wieder erreicht, während es in den ärmsten untersuchten Staaten, meist Schwellenländer wie China, Brasilien und Südafrika, kräftig zugelegt hatte. In dieser Gruppe lagen die durchschnittlichen Pro-Kopf-Geldvermögen im vergangenen Jahr 50 Prozent über dem Niveau von 2007. Mit anderen Worten: Auch beim Vermögen ist abzulesen, daß diese Länder von der Krise weit weniger betroffen waren und gestärkt aus ihr hervorgingen. Wer in den jeweiligen Gesellschaften davon im einzelnen profitierte ist freilich eine ganz andere Frage.

Zwar ist der Abstand zwischen den Industrie- und Schwellenländern noch immer gewaltig, dennoch hat sich dieser im vergangenen Jahrzehnt deutlich verringert. Bis zu einer Angleichung ist es jedoch ein langer Weg. 37 Prozent des Geldvermögens sind im Besitz von US-amerikanischen Haushalten. Es folgen Japan mit 14,8, dann Großbritannien und Deutschland mit 5,3 und 5,2 Prozent. Insgesamt sind 87 Prozent des Privatvermögens auf die reichen Länder konzentriert, zu denen übrigens auch die ehemaligen Entwicklungsländer Singapur und Taiwan zählen.

Etwas relativiert wird diese Betrachtung dadurch, daß sie auf Grundlage der offiziellen Wechselkurse angestellt wurde, was insbesondere in Hinblick auf China problematisch ist. Dessen Währung hat nämlich im Gegensatz zu denen der meisten anderen Schwellenländer in den vergangenen zwei Jahren nur sehr moderat zugelegt und ist daher unterbewertet. Das wird sich in den kommenden Jahren mit Sicherheit ändern. Wenn dann der Yuan aufwertet, würde den chinesischen Privatvermögen, die heute lediglich rund 4,7 Prozent des weltweiten Bestandes ausmachen, mehr Gewicht verliehen.

Was die Verteilung in den einzelnen Ländern angeht, gibt es dem Allianz-Bericht zufolge nach wie vor die größte Ungleichheit in Lateinamerika. Während in den USA und in Deutschland auf das reichste Zehntel der Bevölkerung 55 beziehungsweise 44 Prozent des privaten Geldvermögens entfielen, sind es in den fünf untersuchten Ländern Lateinamerikas – Mexiko, Kolumbien, Brasilien, Argentinien und Chile – 60 bis 70 Prozent. Immerhin habe es dort bei der Armutsbekämpfung deutliche Fortschritte seit 2000 gegeben. Die Anteile der in Armut lebenden Bevölkerung seien in Chile, Argentinien und Brasilien erheblich zurückgegangen. Spitzenreiter ist hingegen immer noch Kolumbien mit einer Rate von 45 Prozent, gefolgt von Mexiko mit rund 35 Prozent. Aber auch in Brasilien, das zur Regionalmacht aufgestiegen ist, lebt weiterhin jeder Vierte unterhalb des Existenzminimums.

Für Europa bieten die Daten des Allianz-Berichtes ebenfalls interessante Einblicke. Hier hat sich das private Pro-Kopf-Vermögen in der Krise sehr unterschiedlich entwickelt und zeigt ein ausgesprochenes Nord-Süd-Gefälle. Während die skandinavischen Länder zwischen 6,6 (Norwegen) und 10,6 Prozent (Schweden) zulegten, vermehrten die Deutschen und Briten ihre durchschnittlichen Vermögen immerhin noch um jeweils 5,7 Prozent. Auch in Belgien, Frankreich, Österreich und der Schweiz gab es Zuwächse. In Irland, Spanien und Griechenland hat dagegen der private Geldbesitz noch nicht das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Schlußlicht sind dabei die Hellenen, deren durchschnittliche Vermögen im letzten Jahr um 4,1 Prozent zurückgingen und derzeit 15 Prozent unter dem Wert von 2007 liegen. Ein leichtes Minus gab es 2010 auch in Irland, Italien und Spanien.

Fazit: Die gegenwärtige Schuldenkrise, die vielleicht eher eine Zins-Krise zu nennen wäre, denn diese stellen das eigentliche Problem dar, führt in Europa nicht nur zu einer weiteren Umverteilung von unten nach oben, sondern vertieft auch die Gräben zwischen Peripherie und Zentrum.

* Aus: junge Welt, 21. September 2011


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