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Grenzer zu Seerettern!

Von Ska Keller *

Die EU-Institutionen haben gerade das FRONTEX-Mandat verhandelt. FRONTEX ist die europäische Agentur zur Koordinierung der Grenzsicherung. Wenn es also irgendwo Probleme gibt, wird FRONTEX gerufen. FRONTEX kümmert sich auch um Risikoanalyse, den Einsatz neuer Technologien.

Obwohl FRONTEX viel mit Flüchtlingen in Berührung kommt, hat es nicht das Mandat, Asylanträge anzunehmen. Dafür sind die Mitgliedsstaaten zuständig.

Der Arbeitsauftrag der Agentur wird gerade überarbeitet. Das Parlament hat bereits schon vor Monaten den Vorschlag der Agentur überarbeitet und jetzt müssen diese Vorschläge mit dem Rat verhandelt werden. Dabei geht es vor allem um Menschenrechte, die das Parlament stärker berücksichtigen will. Es geht z.B. darum, dass internationale Organisationen FRONTEX in Menschenrechtsfragen beraten sollen und dass Operationen abgebrochen werden, wenn der Verdacht einer Menschenrechtsverletzung besteht. Eines der Hauptprobleme, das wir Grüne sehen, und das mit der Reform nicht gelöst wird, ist die Frage der Zuständigkeit.

Momentan ist es oft nicht klar, wer jetzt für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Agentur? Die Mitgliedsstaaten? Die Kommission? In der Regel zeigen alle Beteiligten mit dem Finger auf die jeweils anderen. Das führt dann dazu, dass Untersuchungen, wie bei dem Refoulement-Fall 2009, überhaupt nicht angegangen werden. Zu diesem speziellen Fall der Zurückweisung von Migranten gab es aber immerhin eine Anhörung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Juni.

Was sich verschlechtern wird, ist, dass FRONTEX in Zukunft Daten verarbeiten kann und Arbeitsabkommen mit Drittstaaten abschließen kann. Dabei handelt es sich zwar um operative und nicht politische Abkommen, aber es wird wohl immer eine Grauzone geben.

Eine weitere Reform bezieht sich auf die Anschaffung von Einsatzmaterialien wie Schiffe und Hubschrauber. Bisher muss sich die Agentur solches Material immer von den Mitgliedsstaaten ausleihen – und diese machen immer gerne noch einen Rückzieher in letzter Minute. Demnächst soll die Agentur die Möglichkeit haben, selbst Geld zum Einkauf beizusteuern und dann das Schiff gemeinsam mit dem Mitgliedsstaat zu besitzen. Das soll Engpässe bei den Operationen vermeiden, verschlechtert aber die Eindeutigkeit in den Fragen der Zuständigkeit. Auch sollen sich Mitgliedsstaaten demnächst verpflichten, eine bestimmte Anzahl von GrenzbeamtInnen für FRONTEX-Operationen zur Verfügung zu stellen.

Ob die neuen Vorgaben im Bereich Menschenrechte zur Verbesserung der Situation und zur Aufdeckung und Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen führen, wird sich in der Praxis zeigen müssen.

Rat und Parlament haben sich vor wenigen Tagen auf die Reform des Arbeitsauftrages verständigt. Jetzt muss noch das Parlament abstimmen – erst der Innenausschuss und dann das Plenum.

Weiterhin sind für die Grenzsicherung die Mitgliedsstaaten zuständig. FRONTEX ist nur dafür da, gemeinsame Operationen zu koordinieren oder im Notfall (wie bei Griechenland) einzugreifen. Was aber nicht funktioniert an den Außengrenzen, ist die Seerettung. Erst vor wenigen Wochen gab es den Fall, dass Dutzende Flüchtlinge gestorben sind, weil Italien und Malta sich nicht auf die Zuständigkeit einigen konnten. So etwas darf nicht passieren. Bei der Seenotrettung geht es immer um Menschenleben, da darf nichts schiefgehen, niemals. Warum kann sich nicht FRONTEX mehr darum kümmern?

* Die Autorin ist Abgeordnete des Europaparlaments (Grüne) und unter anderem Mitglied im Entwicklungsausschuss.

Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2011 (Rubrik: "Brüsseler Spitzen")


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