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François Hollande und der Gordische Euro-Knoten

In den Wahlergebnissen vom Wochenende steckt eine klare Botschaft an die EU-Politik und die Finanzmärkte: Ein "Weiter so" kann es nicht geben

Von Kurt Stenger *

Als die Eurokrise 2009 ihren Lauf nahm, ging es um zwei zentrale Fragen: Wie geht man mit dem Versuchslabor Griechenland um? Und wie können die Krisenstaaten zu niedrigen Zinsen Geld erhalten? Die bisherigen Antworten waren falsch.

Nach den Parlamentswahlen in Frankreich steigen in Europa die Hoffnungen, dass der politisch gestärkte Präsident François Hollande in die Rolle Alexanders des Großen schlüpfen kann - dem war es einst gelungen, den Gordischen Knoten zu durchschlagen. Beim Euro-Knoten hatte Hollandes Vorgänger Nicolas Sarkozy zusammen mit der deutschen Kanzlerin immer an einem einzigen Strang gezogen: Wie sich herausgestellt hat, wurde der Knoten dadurch nur noch fester gezurrt. Krisenländer wie Griechenland, Portugal und Spanien stürzte die verlangte Politik der Austerität (strenge Sparsamkeit), tiefer in die Rezession. Dadurch verschärfte sich die Haushaltslage, die Defizite sind weiter gestiegen.

Das Versuchslabor ist Griechenland - hier sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen am massivsten zu spüren. Dass es so nicht weiter gehen kann, scheint man in Brüssel und Berlin mittlerweile zu begreifen. Trotz des griechischen Wahlergebnisses wird über die Lockerung der Sparauflagen nachgedacht. Eine Neuverhandlung aller Details möchte man zwar verhindern, zumal der Internationale Währungsfonds (IWF) kaum mitziehen würde. Eine moderate Variante könnte in der zeitlichen Streckung liegen. Dies deutete mit Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nun erstmals auch ein Vertreter der deutschen Regierung an.

Entscheidungen müssen rasch her - direkt nach einer Regierungsbildung kommt die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und IWF nach Athen, um die Sparfortschritte unter die Lupe zu nehmen - diese liegen offenbar nicht im Plan. Dies gefährdet die Auszahlung der nächsten Tranche aus dem Hilfspaket, ohne die Athen in den nächsten Wochen pleite wäre. Ohne Lockerung der Auflagen würde dieser Fall eintreten. Dann käme es vermutlich zum »Greek Exit« - Griechenland muss den Euro verlassen, ein Szenario, dessen Folgen in der EU schon durchgerechnet werden. Dabei würden die Euro-Partner ihr geliehenes Geld von rund 70 Milliarden Euro verlieren, auch die Kredite der Notenbanken an griechische Geschäftsbanken, rund 100 Milliarden Euro, gingen flöten. Und dann ist da noch die Ansteckungsgefahr. In der Erwartung, dass weitere Länder wegen gescheiterter Austeritätsprogramme irgendwann den Euro verlassen und die Gläubiger ihr Geld verlieren, würden Investoren solche Staaten meiden. Von einer solchen Zuspitzung wären die meisten Mitglieder der Währungsunion betroffen. Das Näherrücken der Exit-Strategie hatte zuletzt zum Anstieg der Risikoaufschläge für Zypern, Italien und Spanien geführt. Auch gestern ging es mit den Zinsen Madrids bergauf - bei zehnjährigen Anleihen stiegen sie über die kritische Marke von sieben Prozent. Dies wiederum verstärkt die allgemeine Unsicherheit darüber, ob der Rettungsschirm groß genug sein wird.

Es ist offenkundig, dass das monetäre Hauptproblem nicht in der Höhe der Schulden, sondern der Zinsen in den Krisenstaaten liegt. Der älteste Vorschlag für deren Senkung sind »Eurobonds«, Anleihen aller Eurostaaten. Für Deutschland würde dies aber höhere Zinsen bedeuten - daher stemmt sich die Bundesregierung gegen eine gemeinschaftliche Haftung für Schulden. Aktuell soll in Brüssel eine Miniaturausgabe im Gespräch sein - »Eurobills« mit nur zweijähriger Laufzeit könnten nur zur Refinanzierung eines Teils der Schulden eingesetzt werden. Da hier nicht mit raschen Entscheidungen zu rechnen ist, blickt man in Madrid wieder Richtung EZB. Man hofft auf die Wiederaufnahme des Programms zum Staatsanleihenkauf. Auch hiergegen stemmen sich die deutschen Vertreter in der Zentralbank.

Ohnehin kann die Geldpolitik die Lage höchstens kurzzeitig beruhigen. Es braucht finanzpolitische Weichenstellungen, wobei sich vor dem EU-Gipfel kommende Woche viele Blicke auf François Hollande richten. Allerdings ist bei ihm noch vieles unklar. Sein Finanzminister Pierre Moscovici fordert von Griechenland die Einhaltung der Verpflichtungen, setzt aber auch auf Wachstum. Beides zusammen wäre die Quadratur des Kreises - diese ist im Unterschied zum Durchschlagen des Gordischen Knotens unmöglich.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 19. Juni 2012


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