Merkel gibt der EU die Linie
EU will permanenten Krisenmechanismus in unbegrenzter Höhe schaffen / Euro-Anleihen kamen nicht auf die Tagesordnung
Von Dieter Janke *
Trotz heftigen Widerstandes im Vorfeld des gestern zu Ende gegangenen Euro-Krisengipfels hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit der von ihr favorisierten Lösung zur Änderung des Lissabonner Vertrages durchsetzen können. Damit soll für die Jahre nach 2013 ein permanenter Krisenmechanismus geschaffen werden.
Trotz der jüngsten Zuspitzung der Euro-Krise wollen die Regierungschefs weder das bestehende, 750 Milliarden Euro schwere Schutzprogramm aufstocken noch gemeinsame Euro-Anleihen ausgeben. Details der künftigen Finanzhilfen sind allerdings noch offen. So soll der neue Rettungstopf anders als bisher in seiner Höhe unbegrenzt sein. »Wenn man einen permanenten Mechanismus hat, kann er nicht limitiert sein. Ein ständiger Krisenmechanismus muss in der Höhe unbegrenzt sein«, hieß es aus EU-Kreisen.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel setzte in Brüssel eine Verschärfung des vorbereiteten Beschlussentwurfs durch. Zwei Sätze, die in Artikel 136 des Lissabonner Vertrags eingefügt werden, sollen die Währungsunion verändern: »Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, wenn dies unerlässlich ist, um die Stabilität der Eurozone als Ganzes zu gewährleisten. Die Gewährung finanzieller Hilfe unter dem Mechanismus unterliegt strikter Konditionaliät.« Damit soll für die Zeit nach dem Ende des derzeitigen Rettungsschirms überschuldeten Ländern des Euroraumes Unterstützung gewährt werden. Auf speziellen deutschen Wunsch wurde in den Text eingefügt, dass die Hilfe nur dann gewährt wird, »wenn dies unabdingbar ist«. Die Bundesregierung will damit vermeiden, dauerhafte Transferzahlungen an finanzschwache Euro-Staaten leisten zu müssen. Beim nächsten Treffen der Regierungschefs der Euroländer im März soll die Vertragsänderung beschlossen und unterzeichnet werden. Anschließend muss sie noch die 27 nationalen Parlamente passieren.
Am Donnerstag war indes das hoch verschuldete Spanien in weitere finanzielle Schwierigkeiten geraten. Die Regierung in Madrid gab Anleihen aus, die nur mit sehr hohen Risikoaufschlägen an Investoren verkauft werden konnten. Erst vor zweieinhalb Monaten wurde die Kreditwürdigkeit Spaniens gesenkt, nun droht die nächste Rüge durch die Rating-Agentur Moody's. Die aktuelle Note von »Aa1« werde auf eine zusätzliche Herabstufung geprüft, hatte die Agentur bereits am Mittwoch in London mitgeteilt. Ende September hatte die Agentur Spanien die Bestnote »AAA« bereits entzogen und den Ausblick auf »stabil« gesetzt. Normalerweise deutet dies darauf hin, dass mittelfristig keine weitere Abwertung droht.
Trotz der Einigung in Brüssel sind die Debatten um die zukünftige Gestaltung der Eurozone vor diesem Hintergrund nicht gänzlich verstummt. Zwar spielten die Euro-Bonds offiziell keine Rolle. Beobachter gehen für das kommende Jahr von der Möglichkeit einer weiteren Zuspitzung der Probleme um die gemeinsame Währung aus, wenn auch Spanien und Italien von weiteren Refinanzierungsproblemen betroffen sein sollten. Dann werde die Diskussion um gemeinsame Anleihen und Kreditbedingungen neue Nahrung erhalten. So sagte der belgische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident Yves Leterme am Rande des Treffens, Euro-Bonds seien »ein Instrument, dass wir mit Sicherheit in der Zukunft nutzen müssen«. Im Vorfeld des Treffens hatte auch das Europaparlament in einer Resolution an die EU-Kommission gefordert, die Einführung von Euroanleihen »ernsthaft zu prüfen«.
Gleichzeitig gehen die Proteste in Europa weiter. In Athen traten gestern die Journalisten in einen zweitägigen Ausstand. Zudem legten die Beschäftigten bei Bus und Bahn in Griechenlands Hauptstadt für fünf Stunden die Arbeit nieder.
* Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2010
Retten als Dauerauftrag
EU gibt sich Krisenmechanismus
Von Klaus Fischer **
Von nun an wird immer gerettet. Das beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel in Brüssel und brachten ein seltsames Vehikel auf den Weg: Permanenter Krisenmechanismus soll heißen, was Staatspleiten von Euro-Staaten verhindern und deren Fähigkeit zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten erhalten soll.
Das klingt besser als Euro-Rettungsschirm, oder gar Notfallhilfe für extreme Schuldenmacher. Der Begriff verschleiert jedoch, daß es sich bei dem, was jene Spitzenpolitiker beschlossen haben, im Grunde um eine Verschwörung gegen den Vertrag von Lissabon handelt. Denn der wird kurzerhand geändert, ohne das Volk um seine Meinung zu fragen.
Die Regierungen wähnen sich gern in einer Art babylonischer Gefangenschaft jener, die als »Finanzmärkte« bezeichnet werden. Doch die Rolle als Geisel von Banken, Fonds, Versicherungen, also »Investoren« jeglicher Coleur, ist beabsichtigt, denn sie verwandelt letztlich öffentliche Gelder in private Gewinne. Nur so ist zu erklären, daß genau jene Institutionen, die jetzt Dauerdruck machen, erst vor kurzem mit gewaltigem Aufwand ebenfalls »gerettet« wurden.
BRD-Kanzlerin Merkel sieht die EU nun auf dem Wege zu einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung. Aber sie meint Konzerneuropa und die Stabilität von dessen Heimatbasis. Diese gewaltige Verwertungsmaschine generiert aus der Arbeit von Millionen Beschäftigten lukrative Profite, und allen voran stürmt die Deutschland AG. Nun ist die Stabilität in Gefahr, weil ohne das Pressions- und Regulierungsinstrument Staat auch die schönsten Aussichten auf »Superrenditen« schwinden.
Gerettet werden also primär die Profitaussichten der Kapitaleigner. Und es ist nicht so, daß dies in Permanenz erst jetzt beginnt. Es ist ein Dauerzustand, der im Moment lediglich gut sichtbar wird. »Retten« erfordert auch, daß reiche Staaten für Pleitekandidaten Transferleistungen über das übliche Maß hinaus erbringen, sei es durch Garantien, Nachschüsse zum Eigenkapital der EZB oder demnächst mit Ausgabe von »Euro-Bonds«. Was aber für die Nutznießer als Marktpflege gelten kann, ist dem durchschnittlichen Steuerzahler eher schwer zu vermitteln. Angela Merkel nennt »Solidarität«, was eine Alimentierung der Reichen und Superreichen auf Rechnung künftiger Steuerzahlungen ist – ein Modell auf tönernen Füßen. Selbst die EU-Wirtschaftssupermacht Deutschland ist längst ein Problemfall. 2010 wird deren Gesamtverschuldung nach Berechnung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft zwei Billionen Euro übersteigen. Überbordender Rettungseifer hat demnach allein in diesem Jahr den Schuldenberg um 325 Milliarden Euro erhöht – mehr als 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wenn der ökonomisch stärkste EU-Staat kaum noch finanzielle Spielräume hat, ist Furcht vor Aktionen im Rahmen des neuen Krisenmechanismus angebracht. Dann könnte das »Retten« den direkten Weg in die Pleite aller ebnen.
** Aus: junge Welt, 18. Dezember 2010 (Kommentar)
Pyrrhussieg
Von Dieter Janke ***
Die deutsche Bundeskanzlerin kann mit sich zufrieden sein. Trotz des heftigen Gegenwindes im Vorfeld des Gipfeltreffens der Euro-Länder hat sie sich im Inhalt wie auch im Stil durchgesetzt. Über gemeinsame Staatsanleihen – die Euro–Bonds – wurde offiziell gar nicht erst debattiert. Die von Angela Merkel favorisierte Minimalvariante einer Änderung des Lissabonner Vertrages wurde ziemlich geräuschlos als Konsens präsentiert. Die vielfach beklagte deutsche Dominanz hat so nicht nur eine zusätzliche Bestätigung erfahren, sondern auch eine weitere Ausprägung. Für Merkel selbst könnte sich das indes bald als Pyrrhussieg erweisen. Die gerade in der deutschen Vormacht zu suchenden Ursachen der Verwerfungen in der Währungsgemeinschaft wurden damit zementiert und sollen im kommenden Jahr endgültig im Vertragstext festgeschrieben werden.
Es ist jedoch mehr als zweifelhaft, ob jener vor allem an bundesdeutschen Kurzfristinteressen orientierte Weg eine längerfristig tragfähige Lösung der Eurokrise bringt. Denn der rigide Sparkurs, der Ländern wie Griechenland und Irland auferlegt wurde, birgt Risiken für die gesamte Gemeinschaft in sich. Dabei könnten die konjunkturellen Verwerfungen noch das kleinere Übel sein. Sollten die Rosskuren bei dem einen oder anderen Partner gar ein Ausbrechen aus der monetären Klammer erzwingen, bliebe das nicht ohne Folgen für den Bestand des Euro selbst.
*** Aus: Neues Deutschland, 18. Dezember 2010
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