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Dicke Luft vor EU-Gipfel

Merkel-Position zur Lösung der Eurokrise wird heftig kritisiert

Von Dieter Janke *

Auf dem heute in Brüssel beginnenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten wird die Euro-Krise das beherrschende Thema sein. Angesichts grassierender Sorgen über eine weitere Zuspitzung hat sich der Ton im Streit um die gemeinsame Währungs-Strategie verschärft.

Die harte Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sachen gemeinsamer Anleihen der Euro-Staaten stößt bei kleinen Staaten weiter auf offene Kritik. So warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn einen Tag vor dem EU-Gipfel die Regierungen in Berlin und Paris, die sich in den vergangenen Tagen bilateral auf gemeinsame Positionen verständigten, vor einem »Machtanspruch, der eine gewisse Überheblichkeit und Arroganz ausdrückt«. Die Marschroute der EU müsse von allen 27 Mitgliedern gemeinsam getragen werden und könne nicht von den großen Ländern vorgeschrieben werden, sagte Asselborn der »Welt«.

Debatte über Euro-Bonds

Die Kritik gilt der brüsken Zurückweisung des Vorschlags sogenannter Euro-Bonds, der von zahlreichen Regierungen kleiner Euro-Staaten wie auch weiten Teilen des Europaparlaments unterstützt wird. Mit gemeinsamen Anleihen verbindet Asselborn »etwas ganz Europäisches: Solidarität«. Sie würde den globalen Märkten zeigen, dass die Europäer trotz aller Probleme zusammenhalten. Zugleich betonte der luxemburgische Außenminister seine Zuversicht, dass die Debatte um die Eurobonds mit dem zu erwartenden negativen Ausgang des Brüsseler Gipfels nicht beendet sei: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Euro-Bonds in Zukunft in irgendeiner Form eingeführt werden.«

Tatsächlich ist dieses äußerst kontrovers diskutierte Thema in den kommenden zwei Tagen offiziell überhaupt Gegenstand der Gipfelgespräche. Um das zu verhindern, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich den Schulterschluss mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy gesucht. Dabei und bei weiteren Gelegenheiten hat die deutsche Seite unmissverständlich signalisiert, dass man nicht nur die Idee gemeinsamer Anleihen ablehne, sondern auch keine Debatten dazu beim Gipfel wünsche.

Als wichtigster Debatten- und Beschlusspunkt gilt für Berlin dagegen die Veränderung des EU-Vertrages von Lissabon, um den nach 2013 geplanten permanenten Krisenmechanismus für angeschlagene Euroländer rechtlich zu verankern. Ein entsprechender Formulierungsvorschlag liegt seit Ende der vergangenen Woche vor. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll der Krisenmechanismus nur als ultima ratio genutzt werden können: Eine Inanspruchnahme der Hilfen aus dem ständigen Fonds solle an »strikte Auflagen« geknüpft werden, sagte Kanzlerin Merkel in ihrer gestrigen Regierungserklärung im Bundestag.

Voraussetzung sei eine »Gefährdung der Euro-Zone insgesamt«, Gelder sollten nur nach einem einstimmigen Beschluss und einer »umfassenden Analyse« der Schulden eines Landes gewährt werden. Dagegen forderte SPD-SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier statt Einzelmaßnahmen und einer »kleinen Vertragsänderung, die niemandem so richtig weh tut«, einen »europäischen Sprung«. Steinmeier und Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hatten zuvor in der »Financial Times« für die Ausgabe von Euro-Bonds geworben.

Uneuropäische Art

Angesichts des immer heftigeren Gegenwindes gegen die sture Berliner Regierungsposition wollen auch die Befürworter der Euro-Anleihen ihre Vorstellungen beim EU-Gipfel ins Gespräch bringen. So bekräftigte der Chef der Eurogruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, seine Forderung noch einmal. Ferner kündigte er an, das Thema beim Treffen der Staats- und Regierungschefs ansprechen zu wollen. »Eine neue Idee ohne jede Diskussion zurückzuweisen ist eine uneuropäische Art, europäische Probleme zu regeln«, äußerte Juncker gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Ein Auseinanderbrechen der Währungszone schloss er aber aus.

Der US-Ökonom Nouriel Roubini, der unter anderem durch die relativ exakte Vorhersage der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise von sich reden gemacht hatte, will ein solches Szenario dagegen nicht ausschließen. Abhilfe kann nach Roubinis Ansicht nur eine deutliche Ausdehnung des Rettungsfonds der Euro-Länder für die verschuldeten Länder bringen.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Dezember 2010


Souveränität gegen Geld

Am heutigen Donnerstag beginnt ein EU-Gipfel in Brüssel. Es gibt Streit, aber auch klare Pläne in Berlin und Paris

Von Andreas Wehr **


Die Krise hält die EU weiter fest in ihrem Griff. Beim heute beginnenden Ratsgipfel in Brüssel geht es einmal mehr um die Zukunft der Eurozone. Ihre Krisenbilanz ist ernüchternd. Die »Hilfsmaßnahmen« für Griechenland und Irland haben ihre Wirkung verfehlt. Irland wurde inzwischen erneut, diesmal von der Ratingagentur Fitch, herabgestuft. Dabei ging es gleich um drei Noten auf BBB+ runter. Griechenland versinkt in der Depression. Auch im dritten Quartal 2010 schrumpft seine Wirtschaft, diesmal um 4,6 Prozent. Das einzige, was in den europäischen Peripheriestaaten noch wächst, ist die Arbeitslosigkeit. In Irland und Griechenland liegt sie nun bei über 12 Prozent. Noch höher ist sie in Spanien und in den baltischen Ländern. Hier hat sie die 20 Prozentmarke bereits erreicht.

Streit um Euro-Bonds

Angesichts einer solchen »Erfolgsbilanz« liegen die Nerven der europäischen Spitzenpolitiker blank. Nur so ist der Streit um den Vorschlag des luxemburgischen Chefs der Eurogruppe, Jean-Claude Juncker, zur Einführung von Euro-Bonds zu erklären. Geht es nach ihm, so sollen wirtschaftlich starke Staaten zusammen mit schwächeren gemeinsam Anleihen aufnehmen. Von Italien, Portugal und Griechenland wird er dabei unterstützt, denn die hohen Renditezinsen für diese Länder ließen sich so reduzieren. Allerdings erhöhen sich dann im Gegenzug auch die Zinsen für daran beteiligte solvente kerneuropäische Staaten wie etwa Frankreich oder Deutschland. Nach einer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung verbreiteten Studie würden auf den Bundeshaushalt dadurch jährliche Mehrkosten in Höhe von 17 Milliarden Euro zukommen. Die Transferunion wäre Realität. Wen wundert es da, daß der Vorstoß von Juncker sogleich in Berlin und in Paris mit schroffen Worten zurückgewiesen wurde. Juncker zahlte mit gleicher Münze zurück und warf der Bundesregierung »eine sehr uneuropäische Art«, sprich eine antieuropäische Haltung, vor. Das wollte man sich dort nicht bieten lassen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt verlangte in Bild umgehend eine Entschuldigung. Bis auf weiteres ist jedenfalls der in Deutschland bisher so beliebte Karlspreisträger Juncker hier kein gern gesehener Gast mehr.

Die Auflegung solcher Euro-Bonds bietet aber keine Lösung des Problems. Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, hat darauf hingewiesen: »Die Euro-Anleihen sind vielmehr äußerst attraktiv für die Banken. (…) Außerdem entsteht die akute Gefahr, daß sich schwächere Länder als Gegenleistung zur Inanspruchnahme der Euro-Bonds in ihre Haushaltspolitik hineinreden lassen müßten.« (junge Welt vom 10. Dezember) Wie dieses »Hineinreden« konkret aussehen würde, kann man bereits in den Vereinbarungen studieren, die Griechenland und Irland im Gegenzug für die ihnen gewährten Stützungen mit der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds abschließen mußten. Darin wurden den beiden Ländern bis ins letzte Detail genaue Vorgaben für die Haushalts, - Arbeitsmarkt-, Sozial- und Rentenpolitik diktiert. Selbst über Infrastrukturmaßnahmen entscheiden nun Brüssel und Washington mit. Die nationale Souveränität mußte dementsprechend in wichtigen Bereichen aufgegeben werden. Völlig richtig wurde im Fall Irlands davon gesprochen, daß »ein Land de facto unter ausländisches Protektorat gestellt wird«. (FAZ vom 22. November)

Diktatpolitik

So ist die Ablehnung der Euro-Bonds durch Berlin und Paris auch nur vorläufig. Liegen erst einmal die Instrumente für eine dauerhafte Bevormundung der Defizitländer vor, so ließe man mit sich auch über gemeinsame Anleihen und damit über eine gewisse Transferunion reden. Nach Merkel muß aber zuvor »die Wirtschaftsregierung ›noch sehr viel stärker und massiver werden‹. Merkel und Sarkozy deuteten an, daß das Steuerrecht und das Arbeitsrecht in der Euro-Zone stärker vereinheitlicht werden könnten. Die Kanzlerin sprach von ›Kohärenz der Wirtschaftspolitik‹.« (Financial Times Deutschland vom 13. Dezember) Auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble forderte, »nationale Hoheiten an die Gemeinschaften abzugeben. (…) Ohne das eine sei das andere nicht zu haben. Die Bundesregierung stehe jedenfalls bereit, über alles zu reden.« (Souveränität gegen Geld, in: Süddeutsche Zeitung vom 9. Dezember) Mit anderen Worten: Vor jeder Hilfszusage verlangen wir die Anhebung des Renteneintrittsalters auf deutsches und französisches Niveau, die Senkung der Lohnquote nach deutschem Vorbild und die Absenkung der Sozialleistungen auf die entwürdigen deutschen Hartz-IV-Sätze. Seitdem Sarkozy kürzlich verkündete, daß die »Reformpolitik« Deutschlands nun auch für sein Land Vorbild sei, hat Merkel einen festen Verbündeten für ihre Position gefunden, daß zukünftig in der EU nur noch der bestimmen darf, der auch anschafft. Europa wird damit noch deutscher! Der Gipfel in Brüssel wird in diesem Sinne die Kommission ermutigen, weitreichende Maßnahmen zur Kontrolle der Haushaltspolitik der Mitgliedsstaaten zu verabschieden. Damit wird zugleich der zukünftige Weg der EU klarer. Der Tausch, Hilfen für die Defizitländer nur gegen deren Souveränitätsverzicht, wird institutionalisiert.

Nichts Neues wird man hingegen vom Brüsseler Gipfel über die von Merkel noch im Herbst erhobene Forderung nach einer Beteiligung privater Gläubiger, hier vor allem der Banken, an der Reduzierung der Schulden der Defizitländer hören. An dieser Stelle wurde vorausgesagt, daß es sich nur um eine »geniale Täuschung« (junge Welt vom 15. Oktober) handelte, mit der lediglich eine über die dreisten Spekulationsgewinne der Banken empörte Öffentlichkeit beruhigt werden sollte. So ist es gekommen. Aus der Forderung nach einem »Haircut« ist inzwischen eine harmlose Bitte zur Beteiligung der Banken an einem möglichen Forderungsverzicht geworden. Und auch diese Bitte soll erst nach 2013 an sie herangetragen werden dürfen.

** Von Andreas Wehr erschien im Oktober: Griechenland, die Krise und der Euro. PapyRossa Verlag, Köln 2010, 179 Seiten, 12,90 Euro.

Aus: junge Welt, 16. Dezember 2010



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