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Wenig aussichtsreich

EU-Sondergipfel in Brüssel. Wachstumsimpulse oder Kürzungszwang? Die Widersprüche zwischen Paris und Berlin scheinen unüberbrückbar

Von Rainer Rupp *

In Brüssel fand am Mittwoch abend mal wieder ein EU-Sondergipfel zur xten Rettung des Euro statt. Da dabei zwei gegensätzliche Politik­richtungen, vertreten von den beiden stärksten Ländern Deutschland und Frankreich, aufeinander trafen, war bereits im Vorfeld klar, daß das Treffen ausgehen würde wie das berühmte Hornberger Schießen. Am Ende war’s »viel Lärm um nichts«. Nach Meinung Frankreichs schwächt die von Berlin der kriselnden Euro-Zone verschriebene Kürzungspolitik die Wachstumskräfte in der Region. Der wirtschaftliche Absturz insbesondere der Krisenländer würde nur noch beschleunigt und die gesunden Länder drohten, sich anzustecken. Statt mehr zu sparen und die Wirtschaften »gesund zu schrumpfen« plädiert der neu gewählte ­französische Präsident ­François ­Hollande dafür, der Euro-Zone mit Hilfe von mehr Ausgaben und Schulden mehr Wachstum zu verordnen. Aber wer soll das bezahlen?

Da die Krisenländer an den Finanzmärkten frisches Geld nur noch zu exorbitanten Zinsen oder gar nicht mehr bekommen, hat Hollande als Lösung erneut Eurobonds ins Spiel gebracht. Das sind Schatzbriefe, für die alle europäischen Länder gemeinsam haften und für die es einen gemeinsamen Zins gäbe. Damit könnten die Krisenländer in der Euro-Zone wieder deutlich billiger an frisches Geld kommen und mit den eingesparten Zinskosten wachstumsfördernde Investitionen anschieben. Die Bundesregierung hat derlei Ansinnen in der Vergangenheit stets kompromißlos abgelehnt.

Aus der Sicht Berlins haben gemeinsame Staatsanleihen eine Reihe entscheidender Nachteile. Erstens würden Eurobonds auch die Zinsen für deutsche Staatsanleihen in die Höhe treiben und den Staatshaushalt zusätzlich um einige Milliarden Euro belasten. Zweitens würden die Krisenstaaten durch den neuen Zugang zu billigerem Geld aus der neoliberalen Zwangsjacke befreit. Die Durchsetzung der von Berlin verordneten Maßnahmen wie Sozialabbau, Absenkung des Kündigungsschutzes und Rentenkürzungen würden in Gefahr geraten.

Deutsche Staatsanleihen gelten derzeit weltweit als extrem sicher. Trotz der vergleichsweise geringen Zinsen von eineinhalb Prozent ist die Nachfrage extrem hoch. Bei gemeinsamen Euro-Anleihen würde der Zins wegen der größeren Unsicherheiten um einige Prozentpunkte höher liegen. Durch die jährliche Um- und Neuverschuldung käme das Berlin teuer zu stehen. Der Schuldenberg der Bundesrepublik beträgt aktuell knapp über 2000 Milliarden Euro. Wenn jedes Jahr zehn Prozent der Gesamtschulden, also 200 Milliarden Euro, zurückgezahlt werden, müssen zu deren Deckung (Umschuldung) neue Kredite zu höheren Zinsen als bisher aufgenommen werden. Liegen die Zinsen für Eurobonds etwa um zwei Prozentpunkte höher als die deutscher Staatsanleihen, würde das für Berlin im ersten Jahr Mehrausgaben von vier Milliarden Euro bedeuten. Im darauffolgenden Jahr würden sie um weitere vier auf insgesamt acht Milliarden Euro steigen. Nach zehn Jahren, in denen der gesamte Schuldenberg zu den höheren Eurobondzinsen umgeschuldet wäre, wären alle zwölf Monate Mehrkosten in Höhe von 40 Milliarden Euro fällig.

Ein weiteres Merkmal der Eurobonds läßt Berlin zurückschrecken. Nicht nur, daß Deutschland wenig Kontrolle und schon gar kein Veto-recht über die Aufnahme der Schatzbriefe hätte, das würde von einer neu zu schaffenden EU-Institution erledigt. Vor allem stellt die gesamtschuldnerische Haftung ein für Deutschland unkalkulierbares Risiko dar. Bei einer Gesamtschuld unterliegt jeder Schuldner und damit jedes Mitglied der Euro-Zone der Solidarhaftung. Es hat für die gesamten Verpflichtungen aufzukommen, nicht etwa nur für einen Teil davon. In dieser Situation kann sich der Gläubiger, in diesem Fall die Finanzkonzerne, aussuchen, welchen Schuldner er in Anspruch nimmt. Welches Land für die Solidarhaftung herangezogen würde, wenn z.B. Griechenland, Portugal und Spanien tatsächlich pleite gingen, kann man sich in Berlin an fünf Fingern ausrechnen.

Nicht über Gebühr für die Kosten der Euro- und Bankenrettungen zahlen zu müssen, ist auch entscheidend für Berlins kategorische Ablehnung von Vorschlägen, die etwa auf die massive Finanzierung der Staatsdefizite durch die Europäische Zentralbank (EZB) abzielen. Eine solche Maßnahme wäre in der EU vertraglich verboten und würde zudem die Inflation anheizen. Gleiches gilt für die ebenfalls gesetzlich untersagte, direkte finanzielle Stützung maroder Privatbanken durch die EZB.

Damit wären die Verhandlungspositionen, mit denen Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch abend zum Gipfeldinner erschienen ist, abgesteckt. Allerdings isoliert sich Merkel seit dem Wahlausgang in Griechenland und Frankreich und den zunehmenden sozialen Unruhen in Spanien, Italien und anderen Euro-Ländern mit ihrem eisernen Festhalten am neoliberalen Sparkurs politisch international als auch national immer mehr. Denn die bisher konforme SPD nähert sich dem Kurs ihres französischen Parteikollegen Hollande an.

Vor diesem Hintergrund deutet vieles darauf hin, daß der Gipfel, der bis jW-Redaktionsschluß noch nicht beendet war, abgesehen von Phrasen über Wachstum, mehr Wettbewerbsfähigkeit, Zukunftsinvestitionen und europäische Solidarität, ergebnislos geblieben ist. Ein Wunderelixier, das Sparkurs und Schuldenabbau mit Konjunkturbelebung unter einen Hut bringt, wurde noch nicht erfunden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 24. Mai 2012


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