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Rettungsschirm per Banklizenz?

Sahra Wagenknecht zu linken Alternativen *


Der Bundestag stimmt heute (29. Sept.) über die Änderungsvorschläge zum Euro-Rettungsfonds EFSF ab. Im Parlament gibt es eine bunte Gemengelage. Das "Neue Deutschland" sprach mit Sahra Wagenknecht.


ND: Der DGB hat die Bundestagsabgeordneten aufgefordert, der Aufstockung des Rettungsschirms EFSF zuzustimmen. Es gehe um die Zukunft Europas und um gemeinsame Anstrengungen der Länder der Euro-Zone. Ist Ihre Fraktion, die gegen das Gesetz stimmen will, gegen solche Anstrengungen?

Wagenkecht: Ich bin sehr dafür, dass wir uns gemeinsam anstrengen, damit in Europa der Lebensstandard der Bevölkerung mindestens gesichert wird. Gerade deshalb bin ich dagegen, dass wir jetzt schon wieder Steuermilliarden verpulvern, um die Profite der Finanzmafia abzusichern. Denn nur darum geht es. Dieser Euro-Rettungsschirm wird die Krise allenfalls hinauszögern, aber nicht lösen. Er bringt vielmehr Europa und die europäische Währung in akute Gefahr.

Wie müsste ein wirklicher Rettungsschirm aussehen?

Erstens müssten die Staaten die Möglichkeit haben, sich zinsgünstig über eine Bank für öffentliche Anleihen direkt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) Kredit zu verschaffen. Das Hauptproblem von Griechenland und anderen Ländern in Schwierigkeiten ist ja vor allem die Höhe der Zinsen. Die Zinsen explodieren, wenn Ratingagenturen und Investmentbanker den Daumen senken. Auch Deutschland wäre im Nu pleite, wenn der Bund plötzlich 10 oder 15 Prozent Zinsen auf seine Anleihen zahlen müsste. Der zweite Punkt ist, das Casino zu schließen. Banken gehören in öffentliche Hand und strikt reguliert. Es kann doch nicht sein, dass die Ackermänner mit Hochrisikospekulationen grandiose Renditen einfahren, aber jedes Mal, wenn es schief geht, der Steuerzahler blutet. Drittens fordert die LINKE eine europaweite Vermögensabgabe für Millionäre.

... weil über höhere Einnahmen eine Haushaltskonsolidierung besser funktionieren würde als über die aktuellen Sparmaßnahmen?

In den letzten Jahren sind eben nicht nur die öffentlichen Schulden explodiert, sondern auch die privaten Vermögen. Und zwar aus den gleichen Gründen. Wer Schulden reduzieren will, muss auch Vermögen reduzieren, er muss nur die Richtigen treffen. Die drakonischen Sparprogramme dagegen verringern die Schulden überhaupt nicht. Griechenland hat heute 20 Milliarden mehr Schulden als zu Beginn der angeblichen Rettung, weil die Wirtschaft in die Knie gegangen ist. Dadurch sinken die Einnahmen noch schneller, als die Ausgaben je gekürzt werden können. Es entsteht eine Spirale nach unten, völlig verantwortungslos.

Die von Ihnen geforderte Europäische Bank für öffentliche Anleihen würde sich anders als der EFSF nicht über die Finanzmärkte, sondern über die EZB finanzieren. Welchen Vorteil hätte dies?

Eine solche Bank könnte sich bei der EZB Geld leihen – aktuell zu 1,5 Prozent Zinsen – und dieses entsprechend billig weiterreichen. Der EFSF zahlt heute um die drei Prozent Zinsen, und auch das nur im Rahmen der bestehenden Bürgschaften. Italien, Spanien zahlen ungleich mehr. Es gibt bereits Ökonomen, die fordern, dem EFSF eine Banklizenz zu geben. Das oft geäußerte Gegenargument, dies sei inflationstreibend, ist Quatsch. Es wäre ja nicht automatisch mehr Geld im Umlauf als jetzt, wo es sich die Banken bei der EZB holen und mit einem saftigen Aufschlag an die Staaten oder an den Rettungsschirm weitergeben. Wenn man diesen Umweg über die Privatbanken vermeidet, würden viele Milliarden gespart, die jetzt für Zinsen und damit für die Profite der Banken verpulvert werden.

Der europäische Steuerzahler müsste prinzipiell aber auch dann für den – unwahrscheinlichen – Fall haften, dass ein Staat die Kredite der Bank für öffentliche Anleihen nicht bedienen kann ...

Natürlich darf es keine unbegrenzte Kreditvergabe geben. Deshalb fordert die LINKE ja auch, endlich den europaweiten Dumpingwettlauf bei Unternehmenssteuern, Spitzensteuersätzen und Vermögenssteuern zu beenden. Eine europaweit höhere Besteuerung von Gewinnen, Kapitalerträgen und Spekulation wäre die beste Schuldenbremse. Wer letztere fordert und ersteres unterlässt, der heuchelt.

Sie sprechen sich darüber hinaus für einen Schuldenschnitt für Griechenland aus, was unter linken Ökonomen, aber auch in Ihrer Partei umstritten ist. Die Kritiker warnen vor allem vor Ansteckungsgefahren für richtig große Länder wie Italien und Spanien.

Die Gefahr ist real, wenn man das heutige System beibehält. Würde Griechenland heute die Bedienung seiner Schulden aussetzen, wären sehr wahrscheinlich auch Italien und Spanien pleite, weil keine Bank mehr ihre Anleihen kaufen würde. Deswegen sagen wir ja: Direktfinanzierung über eine öffentliche Bank, dann gibt es auch keine Ansteckungsgefahr, weil dann nicht mehr die Zocker über die Zinshöhe entscheiden. Zweitens: Auch bei einem Schuldenschnitt brauchen wir die Vermögensabgabe, denn viele Banken werden dann staatlich rekapitalisiert werden müssen. Allerdings müssten sie dann auch ins Eigentum der Steuerzahler übergehen.

Ihr Gesamtkonzept wäre eher mittel- bis langfristig zu realisieren. Griechenland braucht aber sofort frisches Geld und neue Kreditzusagen ...

Um den EFSF mit einer Banklizenz zu versehen, bräuchte es lediglich einen Beschluss der Euro-Länder. Gleiches gilt für eine europaweite Vermögensabgabe oder die Frage, das Casino zu schließen und Banken – auch zwangsweise – zu rekapitalisieren. Dies alles könnte man noch in diesem Jahr machen. Sofort aber müsste man diese drakonischen Sparprogramme stoppen, denn wir steuern ja auf eine akute Realwirtschaftskrise hin.

Interview: Kurt Stenger

* Sahra Wagenknecht (geb. 1969) ist wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Aus: Neues Deutschland, 29. September 2011


Lexikon

Die Bundestagsabgeordneten stimmen heute über Änderungen am Stabilisierungsmechanismus-Gesetz ab. Damit werden die Beschlüsse des Euro-Krisengipfels von Mitte Juli umgesetzt, was in allen 17 Euro-Ländern erforderlich ist. Dabei geht es um die Aufstockung des Garantierahmens des bis Mitte 2013 befristeten Euro-Rettungsfonds EFSF (offizieller Name: Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) von 440 Milliarden auf 780 Milliarden Euro. Damit würde das Maximalvolumen der Kredite, die an angeschlagene Euroländer ausgereicht werden könnten, auf 440 Milliarden Euro steigen. Die Kreditvergabe ist nur bei Gefahren für die Stabilität der Euro-Zone insgesamt möglich und an harte Auflagen für die Haushaltskonsolidierung gebunden. Ferner darf der EFSF künftig Anleihen angeschlagener Staaten kaufen. Das Gesetz regelt ferner die Beteiligungsrechte des Parlaments neu: Künftig ist eine Zustimmung des Bundestags bzw. bei dringenden Beschlüssen die eines speziellen Gremiums des Haushaltsausschusses nötig. ND




Die Angst vor dem Domino-Effekt

Bei dem Votum über den Euro-Rettungsschirm geht es nicht nur um die Zukunft der Währungsunion

Von Aert van Riel **


Die heutige Abstimmung zum erweiterten Euro-Rettungsschirm EFSF im Bundestag wird mit Spannung erwartet. Zwar gilt die Zustimmung des Parlaments aufgrund der erwarteten Ja-Stimmen von SPD und Grünen als sicher, aber wenn es Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht gelingen sollte, eine eigene schwarz-gelbe Mehrheit zu erreichen, wäre ihre Position massiv geschwächt.

Viele Abgeordnete von Union und FDP wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Abstimmung über die deutsche Beteiligung am Euro-Rettungsschirm EFSF die Gefolgschaft verweigern. Bei der Probeabstimmung der CDU/CSU-Fraktion am Dienstag gab es 13 abweichende Stimmen. Die Kanzlerin übt sich derweil in Zweckoptimismus. »Ich bin sicher, dass wir eine eigene Mehrheit erreichen werden«, wiederholt sie gebetsmühlenartig. Im Regierungslager dürfen nur 19 Stimmen für die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit fehlen.

Bei der FDP, deren Parteichef Philipp Rösler nach seinen Äußerungen zu einer möglichen Insolvenz Griechenlands nun wieder auf den Merkel-Kurs umgeschwenkt ist, erwartet Fraktionschef Rainer Brüderle weniger als sechs Gegenstimmen. Die Abstimmung wird somit auch zu einem Test, wie groß der Rückhalt für die Kanzlerin in der Koalition überhaupt noch ist.

Die Uneinigkeit in den eigenen Reihen hat Merkel indes selbst zu verantworten. Sie hatte einst die populistische Losung »keinen Cent für Griechenland« ausgegeben und später einen Kurswechsel vollzogen.

Die Rettungsschirm-Gegner in den Regierungsparteien, unter ihnen CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach und FDP-Mann Frank Schäffler, argumentieren gemäß der neoliberalen Logik. Nach dieser soll der Markt sich selber regulieren, der Staat Eingriffe in die Wirtschaft vermeiden. Die Folge wäre: Griechenland geht pleite und könnte die Währungsunion verlassen. Die Krise des südosteuropäischen Landes wäre damit zwar nicht gebannt. Aber die Abweichler wollen verhindern, dass der deutsche Anteil an den im Notfall übernommenen Kreditbürgschaften auf 211 Milliarden Euro steigt. So ist es im bis Mitte 2013 befristeten EFSF vorgesehen. Zudem gehen sie davon aus, dass sich der Euro stabilisiert, wenn Griechenland die Währungsunion verlässt.

Das bezweifeln die Befürworter des Rettungsschirmes. Denn auch wenn Griechenland zur Drachme zurückkehren würde, gebe es weitere kriselnde Euro-Länder wie etwa Italien, denen als Spekulationsobjekt das gleiche Schicksal droht wie den Griechen. Die Folge wäre ein Domino-Effekt: Immer mehr verschuldete Staaten müssten aus der Eurozone aussteigen, die Währungsunion stünde vor ihrem Ende. Dieses Szenario will Merkel vor allem im Interesse der deutschen Wirtschaft verhindern. Die Unternehmen hierzulande sind wegen ihrer billigen Exporte in andere EU-Länder die großen Profiteure der Währungsunion.

Der EFSF soll künftig mehr Kredite vergeben sowie Staatsanleihen kaufen können. Verschuldeten Staaten sollen zur Beruhigung der Märkte vorsorglich Kreditlinien versprochen und Darlehen für die Stärkung der Banken vergeben werden. Allerdings gibt es bisher keine Anzeichen dafür, dass sich die griechische Wirtschaft wieder erholt. Merkel und ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble fordern nämlich einen strikten Sparkurs des Landes als Voraussetzung für weitere Zahlungen. Die Konjunktur wird dadurch gehemmt.

Die SPD hat ebenso wie die Grünen ihre Zustimmung zum aufgestockten EFSF signalisiert. SPD-Chef Sigmar Gabriel bezeichnete diesen als »ersten richtigen Schritt der Regierung in der Eurokrise«. In den Reihen der SPD werden zudem zusätzliche Maßnahmen gefordert. Etwa ein Schuldenschnitt Griechenlands mit einem Forderungsverzicht von 40 bis 50 Prozent der privaten Gläubiger. Zudem setzen sich SPD und Grüne für gemeinsame Staatsanleihen der Euro-Staaten, sogenannte Eurobonds, ein. Durch diese würden sich die hohen Zinskosten für verschuldete Euro-Staaten verringern und die Spekulationen gegen die Krisenstaaten gestoppt werden. Im Unterschied zu Schwarz-Gelb fordert der ehemalige Finanzminister Peer Steinbück (SPD) eine Art Marshall-Plan für Griechenland, um dort die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Die Grünen wollen sich als proeuropäische Partei profilieren und befürworten den EFSF. Auch die im Zuge der »Rettungspakete« durchgesetzten Privatisierungen griechischer Staatsunternehmen hat Grünen-Chef Cem Özdemir grundsätzlich begrüßt. »Aber die finden hier auf Ramschniveau statt«, kritisierte er. Zur Stabilisierung der Eurozone streben die Grünen einen »Green New Deal« an. Dieser sieht unter anderem Investitionen in den ökologischen Umbau der Wirtschaft vor.

** Aus: Neues Deutschland, 29. September 2011


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