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Euro-Rettung lohnt sich

Kreditanstalt: Euro bringt Deutschland 50 bis 60 Milliarden ein

Von Hermannus Pfeiffer *

Trotz aller Rettungspakete zahlt sich der Euro unterm Strich für Deutschland und seine Wirtschaft aus. Die europäische Gemeinschaftswährung bringt nach Berechnungen der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) einen Wohlstandsgewinn von 50 bis 60 Milliarden Euro. Um diesen Betrag wäre die wirtschaftliche Leistung mit der D-Mark in den vergangenen beiden Jahren kleiner ausgefallen.

Die KfW hat die wirtschaftliche Entwicklung mit und ohne den Euro durchgerechnet. Das Ergebnis zeigt, dass die Währungsunion Deutschland nicht schade, sondern nutze, betonte der Chefvolkswirt der staatlichen Bankengruppe, Norbert Irsch. Der Euro bringt danach derzeit einen Wohlstandsgewinn von jährlich bis zu 30 Milliarden Euro, sagte Irsch der »Frankfurter Rundschau« (Donnerstagsausgabe). »Um diesen Betrag«, so Irsch, »wäre die wirtschaftliche Leistung weniger gestiegen, wenn wir die D-Mark gehabt hätten.«

Irschs Aussagen basieren auf einer »Abschätzung des quantitativen Vorteils des Euro für Deutschland gegenüber einer fiktiven D-Mark«, die bereits im Juli erstellt wurde. Dieser Vorteil resultiere daraus, heißt es in dem zweiseitigen Papier, »dass das deutsche Wachstum mit einer eigenen Währung in den letzten beiden Jahren durch höhere Zinsen und eine härtere Währung niedriger ausgefallen wäre«. Im Klartext: Nutzen zieht Deutschland aus den niedrigeren Zinsen, die Unternehmen und auch die Bundesregierung seit der Euro-Einführung für Kredite und Anleihen zu zahlen haben. Ein weiterer Vorteil ist die im Vergleich zur Deutschen Mark weichere Währung. Durch den niedrigeren Wechselkurs des Euro können hiesige Firmen Autos, Medikamente und Werkzeugmaschinen preiswerter im Ausland anbieten. Von Niedrigzinsen und Weichwährung profitiert besonders die deutsche Wirtschaft, weil sie extrem auf den Export ausgerichtet ist.

Ein weiterer Vorteil der Währungsunion ergibt sich aus den geringeren »Transaktionskosten«. So entfallen die Umtauschgebühren, wenn Chemikalien, Autos oder Kraftwerksturbinen nach Frankreich oder Italien geliefert werden. Zudem müssen sich BASF, Daimler oder Siemens nicht mehr gegen Währungskursschwankungen teuer versichern, wenn sie Produkte innerhalb des Euroraumes exportieren. Dieser Aspekt blieb in der vorliegenden Notiz ebenso unberücksichtigt wie etwaige Belastungen, aber auch zusätzliche Krediteinnahmen aus den Staatsschuldenkrisen in Irland, Griechenland und Portugal.

Im Ergebnis hat Deutschland durch die Mitgliedschaft in der Eurozone in den letzten beiden Jahren laut KfW einen Wachstumsvorteil zwischen 2,0 und 2,5 Prozentpunkten erreicht. Umgerechnet habe das Wirtschaftswachstum von Mitte 2009 bis Mitte 2011 zwischen 50 und 60 Milliarden Euro mehr zugelegt, als es unter der D-Mark gegebenenfalls passiert wäre. Trotz aller Sorgfalt gibt die KfW, die dem Bund (80 Prozent) und den Bundesländern (20 Prozent) gehört, »die große Unsicherheit« in ihrem Modell zu.

Chefvolkswirt Irsch sieht indes nicht nur die Bundesrepublik auf der Gewinnerseite: »Die Euro-Rettung lohnt sich für jedes einzelne Mitgliedsland der Euro-Zone«, betonte er. Diese These beißt sich allerdings mit dem eigenen D-Mark-Papier. Danach müsste sich ein Teil der Gewinne Deutschlands als Verluste in anderen Euro-Staaten niedergeschlagen haben.

Krisengewinner

Die Euro-Krise lohnt sich besonders für den Bundesfinanzminister. Dank der Unruhe an den Märkten sind sichere Anlagen gefragt, wozu auch deutsche Staatsanleihen gehören. Die große Nachfrage sorgt dafür, dass der Bund seit Ausbruch der Euro-Schuldenkrise extrem niedrige Zinsen zu berappen hat. Er profitiert auch vom Krisenmanagement: durch die hohen Strafzinsen, die Griechenland für die EU-Hilfskredite entrichten muss, und durch die Anleihenkäufe der EZB, die für die erworbenen Papiere gute Zinsen kassiert. Alles in allem dürfte jährlich ein zweistelliges Milliardensümmchen für den Bund herausspringen. KSt



* Aus: Neues Deutschland, 9. September 2011


Euro-Gewinner

Von Kurt Stenger **

Es gibt wohl kaum ein Thema, bei dem öffentliche Wahrnehmung und die Fakten derart weit auseinanderklaffen wie bei allem rund um den Euro. Deutschland ist der Zahlmeister der Gemeinschaft, lautet ein auch regierungsamtlich befördertes Vorurteil, und mit dem Rettungsschirm könnte es nun richtig knüppeldick für uns kommen, wenn wir nicht die Hilfeempfänger ans Gängelband nehmen. In Wirklichkeit profitiert kein Mitglied so stark von der 17-Länder-Währung wie die Bundesrepublik – insbesondere dank der massiven Exportförderung. Entgegen einem weiteren gängigen Klischee ist es zudem nicht allein das Kapital, welches Vorteile zieht, sondern auch der Facharbeiter bei Siemens oder die Außenhandelskauffrau bei VW. Und die aktuelle Schuldenkrise zahlt sich für den deutschen Steuerzahler etwa durch künstlich niedrige Zinsen in Heller und Pfennig – Entschuldigung in Heller und Cent aus.

Aber weil das alles nicht ins Vorurteil passt, schimpfen Regierung und Stammtisch lieber über sündige Griechen und Spanier. Und übernehmen damit die von den Finanzmärkten vorgegebene Hackordnung in Euroland. Dort werden die massiven sozialen Unterschiede durchs Krisenmanagement noch verschärft, statt für einen fairen Ausgleich zwischen Euro-Gewinnern und -Verlierern – zwischen den Staaten und innerhalb dieser – zu sorgen. Stand bei der Euro-Einführung nicht das Versprechen im Raum, die Lebensverhältnisse einander anzunähern?

** Aus: Neues Deutschland, 9. September 2011 (Kommentar)


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