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Ist der Euro noch zu retten?

Heike Joebges: Nach Bewältigung der akuten Krise muss die Wirtschaftspolitik stärker koordiniert werden


Am Donnerstag und am Freitag (23./24. Juni) treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU zum Gipfel in Brüssel. Eigentlich stehen die Wirtschaftspolitik, Migration und die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien auf der Tagesordnung. Doch nun werden die griechische Schuldenkrise und ihre Auswirkungen auf den Euro breiten Raum einnehmen. Heike Joebges ist seit 2010 Professorin für Allgemeine Volkswirtschaftslehre (Schwerpunkt International Economics) an der Fachhochschule Technik und Wirtschaft in Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Finanz- und Währungskrisen sowie die (Handels-)Ungleichgewichte im Euroraum. Über die Griechenland und Euro-Krise sprach mit der 39-Jährigen für "Neues Deutschland" (ND) Martin Ling.

ND: Die griechische Schuldenkrise sollte ursprünglich nicht Gegenstand des EU-Gipfels sein. Nun kommen die Staats- und Regierungschefs nicht umhin, sich mit einem neuen Hilfspaket zu beschäftigen. Ist die andauernde Krise in Hellas eine Gefahr für den Euro als Gemeinschaftswährung?

Joebges: Ja, und zwar vor allem wegen der drohenden Ansteckungseffekte auf andere Länder wie Irland, Spanien, Portugal und Italien sowie möglicher Kettenreaktionen durch Forderungsausfälle auf das Bankensystem des Euroraumes. Denn europäische Banken inklusive der Europäischen Zentralbank halten hohe Volumina der von Zahlungsausfall bedrohten griechischen Staatsanleihen.

Sind immer neue Hilfspakete in Kombination mit Sparhaushalten ein adäquater Weg aus der Krise?

Sie stellen definitiv keine optimale Antwort auf die Krise dar und werden auch nur bei viel Glück am Ende erfolgreich sein. Es gilt das Prinzip Hoffnung, dass die Wirtschaft in den betroffenen Ländern so sehr anspringt, dass sie in der Lage sein werden, ihre Schulden zu bedienen und zu reduzieren.

Inwiefern ist ein Investitionsprogramm für Griechenland notwendig, weil ein Sparhaushalt eher selten dazu führt, dass die Konjunktur wieder anspringt?

Das wäre sicher sinnvoll, wie alles, was dazu beitragen würde, die Wirtschaft in Griechenland wieder zu beleben. Nur bei einem Wirtschaftsaufschwung würden die Steuereinnahmen steigen und die krisenbedingten Sozialausgaben wieder sinken. Nur dann hätte Griechenland wirklich eine Chance, die Schulden zu reduzieren.

Was ist von einer Schuldenreduktion zu halten?

Ein Teilverzicht der Gläubiger würde Griechenland helfen, die Schuldenlast abzubauen. Wegen der drohenden Ansteckungseffekte auf weitere Länder und Kettenreaktionen auf das Bankensystem ist es aber leider zu riskant, private Gläubiger dazu zu zwingen. Deshalb wird es darauf hinauslaufen, dass der Anteil der öffentlichen Geldgeber – Internationaler Währungsfonds, EU-Länder – immer weiter erhöht wird und diese letztlich zumindest die Rückzahlung zeitlich immer mehr strecken werden und am Ende möglicherweise auf vollständige Rückzahlung verzichten müssen.

Böte ein Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion einen Ausweg aus der Krise?

Nein, weder für Griechenland noch für die in der Währungsunion verbleibenden Länder. Für Griechenland würde eine neue Währung zwar eine Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Exporte bedeuten. Gleichzeitig würde aber die bisherige Euro-Verschuldung – gemessen in der neuen Währung – zu einer viel höheren realen Schuldenlast führen. Da gleichzeitig mit massiver Kapitalflucht zu rechnen wäre, wäre die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands auf Jahre hinaus belastet. Und für die anderen Länder der Währungsunion dürften sich die Krisen in Irland Portugal, Spanien und Italien verstärken, da Anleger für das Risiko einer ähnlichen Entwicklung wie in Griechenland hohe Zinsen als Kompensation verlangen würden. Der Euroraum hätte nichts gewonnen.

Die Schuldenkrise ist nicht auf Griechenland beschränkt, sondern trifft auch einstige Musterschüler wie Irland, das jahrelang Haushaltsüberschüsse aufwies. Worin liegen die zentralen Ursachen der Euro-Krise?

Zentrale Ursache ist, dass man die ökonomische Auseinanderentwicklung der einzelnen Länder im Euroraum zugelassen hat. Weder die Kriterien aus dem Maastricht-Vertrag noch der später verabschiedete Stabilitäts- und Wachstumspakt SWP reichen für eine kohärente Entwicklung aus. Noch waren die Anstrengungen und der politische Wille auf nationaler Ebene ausreichend, der offensichtlich starken Auseinanderentwicklung bei Lohn- und Preisentwicklung und bei den Leistungsbilanzsalden wirtschaftspolitisch entgegenzusteuern.

Wie bewerten Sie den dauerhaften Stabilisierungsmechanismus ESM, der Krisenländern mit Notkrediten helfen soll?

Notwendig, aber nicht ausreichend. Der ESM wäre wirkungsvoller bei glaubwürdigem und einheitlichem politischen Willen, den Euroländern beim Schuldenabbau zu helfen. Dazu müsste auch deren Wachstum gefördert statt durch Sparpakete abgewürgt zu werden.

Was ist vom Euro-Plus-Pakt zu halten, der im März verabschiedet wurde und eine enge Abstimmung in Sozial-, Steuer- und Haushaltspolitik vorsieht? Sinnvoll?

Das geht in die richtige Richtung, aber es besteht die Gefahr eines zahnlosen Tigers, wenn es bei Appellen an die Mitgliedsländer bleibt.

Bedarf es einer europäischen Wirtschaftsregierung?

Das wäre zumindest eine Möglichkeit für eine stärkere wirtschaftspolitische Koordination. Es müsste nicht zwingend eine Wirtschaftsregierung sein, aber es bedarf klarer, verbindlicher Regeln für eine stärkere wirtschaftspolitische Koordination, die diese Auseinanderentwicklung der Wirtschaftsräume begrenzt. Das ist für eine dauerhafte Stabilität des Euro unumgänglich.

* Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2011


Knirschende Achse Berlin-Paris

Streit um Griechenland-Hilfen überschattet auch den EU-Gipfel

Von Andreas Wehr **


Es gibt Streit innerhalb der Eurostaaten über die Hilfe für Griechenland. Wieder einmal knirscht es dabei zwischen Paris und Berlin – kein gutes Omen für den EU-Gipfel.

Die deutsche Bundesregierung verlangt eine »angemessene Beteiligung privater Gläubiger« an »neuen Finanzhilfen für Griechenland«. So beschloss es der Bundestag auf Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP Anfang Juni. Die französische Regierung will hingegen von einer Beteiligung Privater nichts wissen. Der Streit überschattet die Auszahlung der fälligen Tranche von 12 Milliarden Euro aus dem im Mai 2010 geschnürten 110 Milliarden Euro schweren Rettungspaket an Hellas. Die Finanzminister der Euroländer stellten Griechenland bei ihrem Treffen Anfang der Woche die Auszahlung lediglich in Aussicht. Ein definitiver Beschluss darüber soll erst am 3. Juli fallen. Athen kann jetzt aber zumindest hoffen, die ansonsten drohende Zahlungsunfähigkeit noch einmal abwenden zu können.

Anfang Juli wird es dann um sehr viel mehr Geld gehen. Seit Wochen drängt der als Kreditgeber mit am Tisch sitzende Internationale Währungsfonds (IWF) darauf, bereits jetzt über die Anschlussfinanzierung des bis Ende 2013 befristeten ersten Rettungspakets zu entscheiden. Nach seinen Statuten darf er der jetzt fälligen Teilzahlung nur zustimmen, wenn klar ist, wie sich Griechenland nach 2013 finanziert. Doch schon jetzt ist klar, dass das Land auf absehbare Zeit keine Anleihen zu akzeptablen Kreditbedingungen auf dem Markt aufnehmen kann. Ein weiteres, von den Euro-Staaten finanziertes Rettungspaket wird also fällig. Man spricht von einer Größenordnung zwischen 80 und 120 Milliarden Euro. Darüber muss nun zügig entschieden werden.

Doch diese neue Finanzhilfe soll nur beschlossen werden, wenn zuvor, so der Bundestag, eine »faire Lastenverteilung zwischen der öffentlichen und privaten Seite erreicht werden kann«. Diese Bedingung soll einige Hinterbänkler in den Regierungsfraktionen beruhigen, auf die man bei anstehenden Entscheidungen über eine neue Griechenland-Hilfe und bei der Installierung eines dauerhaften Europäischen Stabilisierungsmechanismus angewiesen ist. Doch so richtig ernst scheint man die eigene Forderung im Bundeskanzleramt nicht zu nehmen. Bei ihrem jüngsten Treffen ließ sich Bundeskanzlerin Angela Merkel das Verlangen bereits leichten Herzens vom französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy abhandeln. Und in der von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble mitgetragenen Erklärung der Eurogruppe vom 20. Juni ist nur noch von einer »freiwilligen Beteiligung der Privaten« die Rede, etwa durch Verlängerung der Laufzeiten bestehender Kreditlinien.

Die verlangte Beteiligung Privater passt natürlich den Banken gar nicht, die dabei sind, ihr Engagement in den europäischen Krisenländern zu verringern. Sie verkaufen ihre griechischen Anleihen bzw. verlängern auslaufende nicht, so wie sie es auch mit portugiesischen, irischen und spanischen tun. Im vergangenen Jahr haben sich allein deutsche Kredithäuser von solchen Anleihen im Wert von fast fünf Milliarden getrennt. Noch schneller reduzierten allerdings die französischen Banken ihren Bestand in den Defizitländern: von 27 auf 15 Milliarden Dollar. Da hat man natürlich in Paris kein Interesse daran, sich ausgerechnet dort wieder neu zu engagieren. Die Hilfen soll vielmehr der Steuerzahler ganz allein schultern.

** Aus: Neues Deutschland, 23. Juni 2011


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