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Euro gegen Dollar

OPEC-Interessen könnten Konkurrenz zwischen EU und USA verschärfen

Im Folgenden dokumentieren wir eine währungspolitische Analyse, die als Artikel in zwei Teilen (12. und 15. Dezember 2003) in der "jungen Welt" erschienen ist.


Von Karl Unger

Die Aufwertung des Euro führt nicht zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit

Seit Jahresbeginn hat der Euro gut 15 Prozent gegenüber dem Dollar an Wert gewonnen. Ein solcher Höhenflug der Währung löst bei der Exportwirtschaft reflexartig Heulen und Zähneklappern aus. Dem Trio Schröder-Clement-Eichel ist er hingegen recht. Haben sie doch so ein zusätzliches und auf den ersten Blick einleuchtendes Argument für die Notwendigkeit weiterer einschneidender »Strukturreformen«. Doch im Gegensatz zu allen Behauptungen führt die Aufwertung des Euro nicht zum Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Die Direktexporte der Euro-Länder in die USA machen ohnehin weniger als zehn Prozent der Gesamtausfuhren aus. Zudem hat eine starke Währung auch positive Auswirkungen. So sorgt sie tendenziell für eine niedrige Inflation. Sie würde der Europäischen Zentralbank erlauben, die Zinsen weiter zu senken und so den zyklischen Aufschwung zu unterstützen. Und nicht zuletzt verbilligen sich Öl- und zahlreiche Rohstoffimporte, weil sie in Dollar gehandelt werden.

Im übrigen waren es die G-7-Finanzminister selbst, die Ende September für den beschleunigten Abwärtstrend des Dollar gesorgt haben. Ihre Forderung nach mehr Wechselkursflexibilität, mit der sie das Treffen in Dubai beendeten, war nur die verklausulierte Feststellung, daß die Bush-Administration eine Politik des billigen Dollar will. Die Abwertung des Dollar ist aber auch Ausdruck der gravierenden wirtschaftlichen Probleme der USA. Selbst die positiven Konjunkturdaten der letzten Wochen haben keine Dollarnachfrage bzw. Kurssteigerung ausgelöst. Das internationale Finanzkapital ist sich darüber im klaren, daß der jetzige Aufschwung noch kein selbsttragender ist, sondern im wesentlichen vom Staat finanziert wird: durch Militärausgaben und die Kosten der Besetzung des Irak.

Zudem fürchten Anleger weitere Terroranschläge. Die Bereitschaft, Geld in die USA zu pumpen, nimmt auch deshalb ab. Die Spekulanten suchen sichere Häfen: Gefragt sind europäische Staatsanleihen und Gold. Und es gibt auch einen handfesten ökonomischen Grund für ihr Verhalten: das Leistungsbilanzdefizit der USA. Zwar schreibt die größte Volkswirtschaft der Welt seit gut zwanzig Jahren rote Zahlen, weil die Warenimporte regelmäßig die Exporte übersteigen, aber in den letzten Jahren hat sich der Negativsaldo sukzessive auf über 4,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) erhöht. Die Nettoauslandsverschuldung ist dadurch bis Ende 2002 auf 2,4 Billionen Dollar angestiegen, was fast einem Viertel des jährlichen BIP entspricht. Dieses Problem löst sich mit der konjunkturellen Erholung nicht, sondern verschärft sich vielmehr. Erfahrungsgemäß erhöht sich nämlich das Ungleichgewicht der Leistungsbilanz bei einem Aufschwung, da die Nachfrage nach ausländischen Gütern in den USA stärker steigt als die nach »Made in USA« im Rest der Welt. Bereits jetzt übersteigen die Fehlbeträge der Handelsbilanz, die die wichtigste Komponente des Leistungsbilanzdefizits bildet, mit 45 Milliarden Dollar pro Monat diejenigen in der Phase der letzten Hochkonjunktur deutlich.

Damit lautet die zentralen Frage für die weitere Konjunkturentwicklung: Bis zu welchem Punkt ist das internationale Kapital bereit, durch den Kauf von US-Vermögenswerten die laufenden Fehlbeträge zu finanzieren? In den letzten beiden Jahren haben sich die Zuflüsse langsam, aber stetig vermindert. Nachdem jüngste Statistiken zeigen, daß derzeit deutlich weniger US-Anleihen und -Aktien von Ausländern gekauft werden, sieht man bei der Investmentbank Goldman Sachs bereits Anzeichen für Kapitalflucht.

Dieses Problem will die Bush-Regierung durch die Abwertung des Dollar gegenüber Euro und Yen lösen. Wenn sich dadurch das Defizit in der Handelsbilanz verringert, ist die US-Ökonomie nicht mehr so stark von Kapitalzuflüssen aus dem Ausland abhängig. Das klingt zwar theoretisch einleuchtend, ist aber völlig realitätsfern. Die US-Konzerne haben sich schon vor langer Zeit mehrheitlich für eine Investitionsstrategie entschieden, nach der man in aller Welt Produktionsstätten errichtet und von dort aus die internationalen Märkte beliefert. Sie produzieren also gar nicht in den USA, um ihre Produkte ins Ausland zu verkaufen. Das Defizit in der Handelsbilanz erklärt sich also zu einem erheblichen Teil daraus, daß die US-Konzerne die in anderen Ländern gefertigten Produkte in den USA verkaufen. Ein Vorgang, der in der Handelsbilanz als Import ausgewiesen werden muß. Nach verläßlichen Schätzungen machen diese Waren 45 Prozent aller Einfuhren aus.

Die transnationalen Konzerne sind auf diese Strategie festgelegt und werden sie nicht ändern. Kurzfristig können sie das auch gar nicht, weshalb sich das Handelsbilanzdefizit trotz Dollarabwertung nicht nennenswert verringern wird. Andererseits kann US-Präsident Bush nicht zur Politik des starken Dollar zurückkehren. Der würde zwar ausländisches Kapital anziehen, hat aber Zinserhöhungen durch die Zentralbank zur Voraussetzung, und die würden das schnelle Ende aller Konjunkturhoffnungen bedeuten.

OPEC-Interessen könnten Konkurrenz zwischen EU und USA verschärfen

Damit der Welthandel und das globale Finanzsystem sich stabil entwickeln und ein weltweites Wachstum möglich ist, bedarf es einer Währung, die in aller Welt akzeptiert wird und allgemein verfügbar ist. Ihre Hauptfunktion besteht darin, Liquidität sicherzustellen. Einer der Gründe für den Zusammenbruch des internationalen Handels und die große Depression der dreißiger Jahre war, daß es quasi keine internationale Reservewährung gab und damit keine Liquidität. Seit dem zweiten Weltkrieg ist der Dollar weltweit die Leitwährung und hat die finanzielle Hegemonie der USA begründet.

Währungsfragen sind immer auch Machtfragen, und europäische Staaten haben immer wieder versucht, die US-Dominanz in Frage zu stellen. Am spektakulärsten war der Versuch des französischen Premiers Charles de Gaulle, während des Vietnamkrieges die Dollarschwäche zu nutzen, um die Weltwirtschaft wieder an den Goldstandard zu binden. Und dem Euro-Projekt wurde von Anfang an nachgesagt, daß es Ausdruck imperialistischer Konkurrenz ist und letztlich auf die Schwächung des Dollar zielt. Die Ambitionen für einen starken Euro haben deshalb Spekulationen genährt, er könne sich als Alternative zum Dollar zur Reservewährung entwickeln und im globalen Finanzsystem zum Brückenkopf gegen die Dominanz der USA ausgebaut werden. Auf diese Weise würde der US-Finanzmacht ein europäisches Potential entgegengesetzt.

Aber ist das eine realistische Perspektive? Um als Reservewährung dienen zu können, müßte der Euro zwei Bedingungen erfüllen: Zum einen muß für weltweite Liquidität gesorgt sein. Das heißt, der Euro muß in ausreichender Menge zirkulieren, um die globalen Handels- und Finanzströme in Gang zu halten. Zum anderen muß die EU bzw. die Europäische Zentralbank (EZB) die Rolle des sogenannten »lender of last resort« ausfüllen, also als »letzter« Kreditgeber für Länder einspringen, die zu Marktbedingungen keine Kredite mehr bekommen.

Beide Funktionen kann das Reservewährungsland nur erfüllen, wenn es ein angemessenes Wirtschaftswachstum zustandebringt und die Währung stabil hält. Zwar steht die Eurozone, was die Inflationsbekämpfung betrifft, ganz gut da, aber die ist zugleich ein zentraler wachstumshemmender Faktor. Die Maastricht-Kriterien schränken, wie inzwischen auch die Neoliberalen eingestehen, den Spielraum für die staatliche Haushaltspolitik der einzelnen Länder unangemessen stark ein. Mit der Einführung des Euro mußten die nationalen Regierungen zwei der drei maßgeblichen Instrumente, mit denen sie in der Regel das Wirtschaftswachstum beeinflussen, ganz aus der Hand geben: die Geld- und die Wechselkurspolitik. Und das dritte Instrument, die Haushaltspolitik, wurde durch die Begrenzung des zulässigen Defizites auf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ebenfalls untauglich zur Konjunktursteuerung.

Soll der Euro auf lange Sicht zur alternativen Reservewährung werden, brauchen die Länder der Eurozone aber ein kräftiges Wirtschaftswachstum, und das setzt eine grundlegende Änderung der Maastricht-Kriterien voraus. Das wird infolge des relativen Eigenlebens von Ideologie und politischer Propaganda nicht einfach zu bewerkstelligen sein. Jenseits der wirtschaftspolitischen Dimension gibt es zudem ein formal-strukturelles Problem, das mit der Funktion des »lender of last resort« zusammenhängt. Die EZB ist nach ihrer gegenwärtigen Konstruktion mangels Kompetenz überhaupt nicht in der Lage, diese Funktion auszufüllen. Die Kompetenz für die Kreditvergabe liegt nach wie vor bei den einzelnen Zentralbanken der EU-Staaten und ist entsprechend auf das jeweils eigene Land begrenzt. Aber solange es keine Instanz gibt, die als »lender of last resort« für die gesamte Eurozone auftreten könnte, hat der Euro kaum Aussichten, sich als Alternative zum Dollar zu profilieren.

Doch das Mißtrauen des Finanzkapitals gegenüber sowohl der Außen- als auch der Haushaltspolitik der Bush-Administration hat bereits Auswirkungen auf den Währungssektor, die Veränderungen möglich erscheinen lassen. Die weltweit von Staaten gehaltenen Dollarreserven sind wertmäßig leicht zurückgegangen; einige der großen Fonds haben ihre Portfolios teilweise zugunsten von Euro-Anlagen umgeschichtet, und auf dem Rohölmarkt wurden einige größere Geschäfte in Euro getätigt. Erdöl wird bekanntlich weltweit in Dollar pro Faß quotiert, weshalb von der Dollarschwäche auch die Organisation erdölexportierender Staaten (Opec) betroffen ist. Saudi-Arabien beispielsweise, die treibende Kraft des Erdölkartells, bezieht rund zwei Drittel seiner Importgüter aus dem Euro- und dem Yen-Raum und spürt daher die Kaufkrafteinbuße ganz deutlich. Deshalb ist die Opec seit längerem auf der Suche nach einer Alternative zum Dollar.

Für die EU ergibt sich damit eine interessante strategische Möglichkeit. Wenn sie die ölexportierenden Länder dazu bewegen kann, sich in Euro statt in Dollar bezahlen zu lassen, wäre in der Konkurrenz um die Rolle der internationalen Reservewährung eine neue Front eröffnet. Nicht den arabischen Staaten, wohl aber Rußland könnte dabei eine zentrale Rolle zukommen, da die EU eine Reihe interessanter Gegenleistungen zu bieten hätte, wenn Moskau beschließt, seine Ölverkäufe in Euro abzurechnen.

Aus: junge Welt, 12. und 15. Dezember 2003


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