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Agrarexporte gefährden das Menschenrecht auf Nahrung

Von Armin Paasch *

Seit Jahrzehnten verdrängen europäische Agrarexporte afrikanische Kleinbauern von ihren Märkten. Der jüngste Reformvorschlag der EU-Kommission wird daran nichts ändern. Durch Dumping in der EU und Marktöffnung in Afrika drohen weitere Verletzungen des Rechts auf Nahrung. In Zeiten der globalen Hungerkrise ist das ein Skandal.

»Letztes Jahr ist ein Teil meiner Tomaten auf dem Feld verrottet, weil ich sie nicht los wurde«, klagt Johannes Klopka, ein Tomatenbauer aus dem ghanaischen Dorf Koluedor. »Die Händler sagen, in der Hauptstadt isst man keine Tomaten mehr.« Die Aussage ist weniger absurd als sie klingt. Tatsächlich verzehren die Städter immer mehr Tomatenpaste aus dem Ausland, während der Absatz heimischer Frischtomaten sinkt. Grund ist ein astronomischer Anstieg der Importe, wovon ein Großteil aus der EU stammt.

Zwei Ursachen sind dafür verantwortlich: Zum einen hatte der Internationale Währungsfonds Ghana 1992 eine radikale Marktöffnung verordnet. Zum anderen bezuschusst die EU ihre Tomatenproduktion jährlich mit über 300 Millionen Euro und legt für den Export einer Tonne Tomatenpaste zusätzlich noch 45 Euro drauf. Kein Einzelfall. Ähnliche Importfluten aus der EU erleiden in Ghana die Geflügelzüchter, aber auch Schweinezüchter in der Elfenbeinküste, Kongo oder Angola. Für viele Kleinbauernfamilien bedeutet dies dramatische Einkommensverluste und häufig eine Verletzung ihres Menschenrechts auf angemessene Ernährung.

Für alle, die auf ein Ende der europäischen Dumpingpolitik gehofft hatten, ist der jüngste Reformvorschlag der EU-Kommission eine Enttäuschung. Denn zum einen sollen die jährlichen Agrarsubventionen von rund 50 Milliarden Euro nicht abgebaut, sondern lediglich umgeschichtet werden. Zum anderen zielt der Vorschlag vor allem auf eine Steigerung von Produktion und Exporten. Beispiel Milchquote. Schon jetzt liegt diese Produktionsobergrenze mehr als zehn Prozent über dem europäischen Verbrauch. Nun will die Kommission die Quote jährlich um einen Prozentpunkt anheben und sie 2015 dann ganz abschaffen. »Allgemein wird erwartet«, so die Kommission, »dass das Auslaufen der Milchquote zu einem Anstieg der Produktion, zu sinkenden Preisen und zu mehr Wettbewerbsfähigkeit für den Milchsektor führen wird.«

Eine Wohltat für deutsche Milchbauern also? Mitnichten! Der Bundesverband deutscher Milchviehhalter hatte schon die letzte Quotenerhöhung im März 2008 als »fatale Fehlentscheidung« gegeißelt und angesichts sinkender Erzeugerpreise mit einem Lieferboykott gedroht. Nutznießer seien vor allem die großen Molkereien, welche die Erzeugerpreise drückten und sich anschickten, »auf Kosten der Milcherzeuger weltweit Marktanteile zu erobern«.

Und dies wiederum ist für Milchbauern in Afrika eine Hiobsbotschaft. Denn eine Exportsteigerung verspricht sich die EU nicht zuletzt auch für Magermilchpulver, welches in der Vergangenheit immer wieder auch in größeren Mengen auf afrikanischen Märkten abgesetzt wurde. Wenn der europäische Milchpreis sinkt, so das Kalkül der Kommission, werden europäische Milchprodukte auch ohne Exportsubventionen ihren Weg auf den Weltmarkt finden. Falls jedoch nötig, so der Kommissionsvorschlag, soll die EU auch in Zukunft jederzeit auf das ungeliebte Instrument der Exportsubventionen wieder zurückgreifen können. Ein Skandal! Hatte die EU im Rahmen der Welthandelsorganisation doch ein definitives Ende der Exportsubventionen bis 2013 zugesagt.

Sorge bereiten afrikanischen Hühnerzüchtern, Tomaten- und Milchbauern zudem die sogenannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), denen viele ihrer Regierungen im Dezember 2007 unter erheblichem Druck der EU zugestimmt haben. Länder wie Ghana und Uganda werden damit verpflichtet, ihre Einfuhrzölle für 80 Prozent der europäischen Einfuhren in den nächsten Jahren ganz abzuschaffen und die restlichen Zölle auf dem jetzigen, oft zu niedrigen Niveau einzufrieren. Damit sind diesen Staaten künftig die Hände gebunden, ihre Bauern gegen steigende Importe aus der EU zu schützen.

Dumping im Norden und Marktöffnung im Süden? Nichtregierungsorganisationen, Bauern und Gewerkschaften haben die EU vor diesem Hintergrund zu einer entwicklungs- und menschenrechtlichen Folgenabschätzung und Revision der Freihandelsabkommen aufgefordert. Schützenhilfe erhielten sie jüngst durch eine Erklärung des UN-Menschenrechtsrats: Alle Staaten müssten sicherstellen, »dass ihre internationalen Handelsabkommen keine negativen Auswirkungen auf das Recht auf Nahrung in anderen Ländern haben«.

Noch sind die EPAs nicht ratifiziert, und auch der Kommissionsvorschlag zur Agrarreform muss erst noch im EU-Ministerrat abgestimmt werden. Wenn die europäischen Regierungen ihre Absichtsbekundungen zur Bekämpfung des Hungers ernst meinen, müssen sie jetzt die Chance zu einer grundlegenden Wende in der Landwirtschafts- und Handelspolitik ergreifen. Eine echte Reform hieße, die landwirtschaftliche Überproduktion und Dumpingexporte der EU definitiv zu beenden. Überfällig sind die definitive Abschaffung aller Exportsubventionen und eine Kopplung der Direktzahlungen an strikte soziale und ökologische Kriterien sowie an die Anzahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitskräfte.

Einsicht wäre der erste Schritt zur Besserung. Ob diese bei den europäischen Regierungen vorhanden ist, muss jedoch bezweifelt werden. »Die Gemeinsame Agrarpolitik ist gesund. Sie braucht lediglich ein paar Stärkungstropfen«, heißt es in einer Stellungnahme des zuständigen Bundesministers Horst Seehofer vom Dienstag. An dem Kommissionsvorschlag kritisiert der Minister vor allem die geplante Kürzung der Beihilfen für Großbetriebe, einen der wenigen Lichtblicke im Kommissionspapier. Ein Dorn im Auge sind ihm auch die angeblich strengeren Auflagen im Umweltbereich. Wie Dumpingexporte und die Schädigung von afrikanischen Kleinbauern vor dem Hintergrund der Welthungerkrise verhindert werden sollen, darüber ist in der Stellungnahme nichts zu lesen.

* Armin Paasch wurde 1974 in Belgien geboren und studierte in Köln Geschichte und Germanistik. Er ist Welthandelsreferent bei der deutschen Sektion von FIAN (Food First Informations- und Aktionsnetzwerk), einer internationalen Menschenrechtsorganisation für das Recht auf Nahrung. Armin Paasch ist außerdem Mitglied im Leitungskreis des Forums Umwelt und Entwicklung, in der verschiedene Entwicklungshilfeorganisationen zu einer Arbeitsplattform zusammengeschlossen sind.

Aus: Neues Deutschland, 23. Mai 2008



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