Eingreifverbände ohne Einsatzbefehl? EU-Battlegroups auf dem Prüfstand
Ein Beitrag von Christoph Prössl aus der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *
Andreas Flocken (Moderator):
Die EU will auch auf dem internationalen Parkett mit einer Stimme
sprechen. In diesem Zusammenhang ist immer wieder von der ESVP die Rede,
von der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Über einige
der hierfür notwendigen militärischen Instrumente verfügt die
Europäische Union bereits. So gibt es seit einigen Jahren zwei
Eingreifverbände: die sogenannten EU-Battlegroups. Eingesetzt wurden
diese Verbände bisher allerdings noch nie - obwohl es schon mehrmals
Anfragen gegeben hat. Ende des Monats wollen die
EU-Verteidigungsminister nun darüber beraten, ob das gegenwärtige
Battlegroup-Konzept noch zeitgemäß ist. Hören Sie Christoph Prössl:
Manuskript Christoph Prössl
Im Dezember des vergangenen Jahres war die Situation für viele
Flüchtlinge im Osten des Kongo besonders schlimm. Mehr als 250.000
Menschen waren auf der Flucht - weil Rebellen um den Anführer Laurent
Nkunda und die kongolesische Armee sich Kämpfe lieferten. Schicksale in
Flüchtlingslagern gab es viele, wie das von Marie Gorett:
O-Ton (overvoice)
"Wir sind seit einem Jahr auf der Flucht. Jetzt haben wir uns hierher
durchgeschlagen und sitzen schon wieder in der Falle. Überall wird
gekämpft, aber ich weiß nicht mehr wohin."
Ihr Verschlag war in einem Flüchtlingslager zwischen den Fronten.
Die Vereinten Nationen machten damals Druck auf Europa. Die EU sollte
Kampftruppen in den Osten des Kongo entsenden. Angesichts einer nahezu
vollständigen Auflösung der kongolesischen Streitkräfte sei eine
umgehende Stationierung europäischer Einheiten die einzige Chance, eine
humanitäre Katastrophe zu verhindern, hieß es ungewöhnlich deutlich in
einem Brief des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon an
den EU-Chefdiplomaten Javier Solana.
Damals waren bereits 17.000 Blauhelm-Soldaten aus verschiedenen Ländern
im Kongo stationiert. Ban Ki Moon forderte, 3.000 europäische Soldaten
für eine Übergangszeit von zunächst vier Monaten zu stationieren - bis
zur weiteren Aufstockung der UN-Truppe.
Beim Treffen der EU-Außenminister am 8. Dezember 2008 schlugen einige
EU-Staaten vor, die beiden europäischen Battlegroups in den Kongo zu
schicken. Diese Kampfgruppen von je 1.500 Mann sind in ständiger
Einsatzbereitschaft. Die erste Battlegroup bildeten Großbritannien und
Frankreich 2005. In jedem Halbjahr wechseln die Truppensteller. Das
Ziel: Die EU soll schnell auf Krisen und Konflikte reagieren können. In
erster Linie geht es um Einsätze mit einem Mandat der Vereinten
Nationen. Die Soldaten sind innerhalb von 10 Tagen einsatzbereit.
Doch im Dezember 2008 kamen die EU-Battlegroups nicht zum Einsatz. Er
war politisch nicht gewollt. Deutschland stimmte dagegen und der
luxemburgische Außenminister Jean Asselborn brachte es auf den Punkt:
Kein politisch Verantwortlicher schicke seine Soldaten in den Kongo, um
dort zu sterben. Die Battlegroups blieben zu Hause. Das ist bis heute so
geblieben. Elmar Brook, Europaabgeordneter der CDU:
O-Ton Brook
"Nun, wenn die Europäische Union doch an verschiedenen Teilen der Erde
Einsätze fährt, Kongo, Darfur, West-Balkan, und dafür auch die
Battlegroups aufgestellt hat, dann ist es sinnvoll, dass sie auch
eingesetzt werden können, und dass es nicht immer einen endlosen Streit
gibt, welche nationalen Gruppen wie zusammen gesetzt werden, unter
welchem Kommando, dann sollte man dieses Instrument wirklich nutzen. Und
deswegen müssen wir Wege finden, dass einzelne Staaten dies nicht
blockieren können."
Darum geht es der schwedischen Ratspräsidentschaft. Deswegen steht das
Thema Ende des Monats auf der Agenda der Verteidigungsminister. Den
Schweden ist das Thema besonders wichtig. In den vergangenen Jahren hat
das Land seine militärischen Fähigkeiten reduziert. Mehr als in anderen
Ländern schaut Stockholm auf die Verteidigungsausgaben: Im ersten
Halbjahr 2008 - als Schweden mit anderen nordischen Staaten eine
Battlegroup stellte, habe das 100 Millionen Euro extra gekostet, heißt
es von Offiziellen. Geld für nichts und wieder nichts, klagen
Diplomaten. Die Lastenverteilung war eigentlich auch eine zentrale Idee
bei der Gründung der EU-Kampfgruppen. Wolfgang Kreissl-Dörfler,
Europaabgeordneter der SPD:
O-Ton Kreissl-Dörfler
"Ein Vorteil ist natürlich auch, das muss man sehen, wenn man so was
will, dass auch kleinere Länder teilnehmen können und nicht immer sagen
können: das machen jetzt mal die Großen, die haben sowieso die Armeen,
die sollen das mal regeln. Aber das ist natürlich ein Vorläufer oder ein
Bestandteil einer gemeinsamen Europäischen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik. Nur, jetzt sind die Minister aufgefordert, endlich
mal klar zu definieren, was sie wollen."
Schwedische Diplomaten sagen, es soll um klare Regeln gehen, wann die EU
Battlegroups eingesetzt werden können. Denkbar seien auch
Entscheidungsmechanismen, die nicht mehr die Zustimmung aller EU-Staaten
erforderlich machen. Doch diese Idee dürfte zu ehrgeizig sein. Die
meisten Staaten wollen eigene Soldaten nicht ohne ihre Zustimmung in
Konfliktregionen schicken:
O-Ton Kreissl-Dörfler
"Eines ist auch klar, das gilt gerade für Deutschland, und das ist sehr
wichtig: dass bei jedem Einsatz der Deutsche Bundestag daran beteiligt
ist und darüber entscheiden muss. Ich höre diese Mär schon wieder von
der Linken, die dann kommt: ja die Militarisierung der EU-Außenpolitik.
Das ist natürlich Quatsch. Der Deutsche Bundestag muss immer zustimmen.
Und so soll es auch sein."
Mit Entscheidungen auf der Tagung der EU-Verteidigungsminister am 28.
und 29. September in Göteborg ist daher nicht zu rechnen. Damit bleibt
der Einsatz der EU-Eingreifverbände als Instrument einer gemeinsamen
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ungewiss. Wenn wir zu lange
warten, sagte ein Diplomat, dann könnte es die Battlegroups bald nicht
mehr geben. Eine Befürchtung, die nicht aus der Luft gegriffen ist.
Bereits jetzt ist die Truppe manchmal nur bedingt einsatzbereit. Denn
einige Staaten sind inzwischen zu einer fragwürdigen Praxis
übergegangen: Es werden zwar Einheiten für die EU-Battlegroups benannt.
In Wahrheit sind diese aber nicht innerhalb von zehn Tagen
einsatzbereit. Es könnte also dauern, bis diese Einheiten in ein
Krisengebiet verlegt werden.
* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 19. September
2009; www.ndrinfo.de
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