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Nicht überzeugt, aber diszipliniert

Alle Parteien bis auf die LINKE stimmen mit großer Mehrheit für die Ausweitung des EFSF

Von Aert van Riel *

Obwohl es wie erwartet für das Gesetz zur deutschen Beteiligung an dem erweiterten Rettungsschirm EFSF eine große Mehrheit im Bundestag gab (am 29. Sept.), ging der Abstimmung eine hitzige Debatte voran. Die EFSF-Aufstockung hat trotz allerlei Skepsis den Bundestag passiert. Die Banken werden beim Euro-Krisenmanagement also weiter geschont. Immerhin will Brüssel einige Milliarden über eine neue Finanztransaktionssteuer dort eintreiben.

Wirklich überzeugt über den erweiterten Rettungsfonds EFSF wirkt Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) nicht. Er wolle eine Stabilitätsunion und kein Schuldeneuropa, erklärt der Vizekanzler im Bundestag. Trotzdem ist er bei der abschließenden Debatte über das Gesetz zur deutschen Beteiligung an dem Rettungsfonds bemüht, die Abweichler zur Zustimmung zum EFSF zu überzeugen. Diesen verspricht er indirekt eine harte Linie bei der Umsetzung der neoliberalen Reformen in den europäischen Schuldenländern. »Die Rettungspakete dürfen nur das letzte Mittel und nicht der Ersatz für eine verfehlte Wirtschaftspolitik sein«, ruft er den Abgeordneten zu.

Bei der Abstimmung über den EFSF geht es auch um die Zukunft der Bundesregierung, die in der Krisenpolitik zerstritten ist. Die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit wird letztlich erreicht. In den Regierungsfraktionen gibt es 15 Abweichler. Hätten fünf weitere Parlamentarier der Kanzlerin die Gefolgschaft verweigert, hätte es keine eigene schwarz-gelbe Mehrheit für das Gesetz gegeben. Bei einer Probeabstimmung vor einigen Wochen waren es noch 25 Abweichler gewesen. Einige von ihnen haben sich nun offensichtlich der Fraktionsdisziplin unterworfen.

Ein Gegner des EFSF ist Frank Schäffler (FDP). Er spricht während der Debatte vielen Anhängern seiner Partei aus dem Herzen: »Der Rettungsschirm ist das falsche Signal für die Märkte und die Mitgliedstaaten.« Es würden nur noch mehr Schulden gemacht, während sich die Lage verschärfe, moniert Schäffler. Er verweist zudem auf die »Nichtbeistandsklausel« des Maastrichter Vertrages, wonach ein Land der Währungsunion nicht für ein anderes einspringen soll. Es sei also zu einem kollektiven Rechtsbruch gekommen, so Schäffler.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder betont dagegen das Interesse Deutschlands an der Währungsunion: »Es geht bei dieser Abstimmung auch um unsere Arbeitsplätze und ein Europa, das der Friedenssicherung dient.«

Dies überzeugt zumindest teilweise auch die SPD, die dem EFSF zustimmt. Bei einem seiner derzeit seltenen Auftritte im Bundestag präsentiert sich der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, einst Verfechter der Schröderschen Agenda 2010, als Kritiker des »ungezähmten Kapitalismus«. Dieser neige zu Exzessen, Zerstörungen und schade der Demokratie. Weitere Schritte gegen die Wirtschaftskrise seien notwendig, erklärt Steinbrück. Er fordert, die Finanzmärkte zu regulieren sowie Steuerhinterziehung zu bekämpfen.

Auch die Grünen stimmen dem Rettungsfonds zu. »Wer für Europa ist, darf sich nicht dem Instrument verweigern, das EU-Staaten vor den Spekulationen der Finanzmärkte schützt«, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin vor allem in Richtung der LINKEN.

Diese lehnen den EFSF ab. Fraktionschef Gregor Gysi kritisiert, dass der Rettungsschirm dazu diene, die Verluste der Banken auszugleichen. »Um die Wirtschaft zu stärken, brauchen wir höhere Löhne und Investitionen«, fordert Gysi. Dadurch könne auch die Binnennachfrage gestärkt und die Krise eingedämmt werden. Um gegen die hohe Staatsverschuldung vorzugehen, fordert der LINKE-Abgeordnete unter anderem einen höheren Spitzensteuersatz und eine Millionärssteuer, anstatt Löhne, Renten und Sozialleistungen zu kürzen.

Weitere LINKE-Abgeordnete erklären im Anschluss an die Abstimmung, warum sie sich gegen den EFSF positionieren. Chefvolkswirt Michael Schlecht kritisiert die auf Exporte ausgerichtete deutsche Wirtschaft als eine Ursache für die Krise. Die Folge der deutschen Außenhandelsüberschüsse sei, dass sich andere EU-Staaten verschulden müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2011


Banken bleiben ungeschoren

Bundestag stimmt für deutsche Beteiligung am aufgestockten Rettungsschirm EFSF / LINKE geschlossen dagegen

Von Aert van Riel **

Der Bundestag hat die deutsche Beteiligung am reformierten Euro-Rettungsfonds EFSF mit großer Mehrheit gebilligt. Insgesamt stimmten 523 Abgeordnete für das Gesetz. 85 votierten mit Nein, drei enthielten sich.

Die Bundesregierung sieht sich nach der Abstimmung im Bundestag über die deutsche Beteiligung am erweiterten Euro-Rettungsfonds in ihrer Regierungsfähigkeit bestätigt. 315 Abgeordnete von Schwarz-Gelb votierten bei der namentlichen Abstimmung für das Gesetz. Die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit wurde damit erreicht. Zehn Unions-Abgeordnete stimmten mit Nein, einer enthielt sich, bei der FDP gab es drei Nein-Stimmen und eine Enthaltung. Auch die Fraktionen von SPD und Grünen stimmten mit großer Mehrheit für das Gesetz. Mit Deutschland haben elf Euro-Staaten den Rettungsfonds gebilligt.

Die Abgeordneten der LINKEN votierten dagegen. Fraktionschef Gregor Gysi kritisierte bei der Debatte im Bundestag, der aufgestockte Rettungsschirm diene vor allem den Interessen der Banken.

SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann warf Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) Täuschung über das Ausmaß der Euro-Rettung vor. Schäuble schloss EFSF-Änderungen nicht aus. Dann werde der Bundestag einbezogen.

Der reformierte EFSF sieht vor, dass der deutsche Anteil an den im Notfall übernommenen Kreditbürgschaften auf 211 Milliarden Euro steigt. Der EFSF soll künftig auch Staatsanleihen aufkaufen und Notkredite vergeben können. Das Gesetz sieht zudem ein Mitspracherecht des Parlaments für Euro-Rettungsaktionen vor.

Derweil ist die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds zur Bewertung des griechischen Spar- und Privatisierungsprogrammes nach Athen zurückgekehrt. Allerdings wurden am Donnerstag fast alle wichtigen Ministerien besetzt, deren Mitarbeiter gegen die Sparpolitik Athens protestierten. Der Troika-Bericht ist die Voraussetzung dafür, dass das Land die nächste Rate aus dem Programm mit Milliardenkrediten bekommt. Über die Überweisung in Höhe von acht Milliarden Euro wollen die Euro-Finanzminister im Oktober entscheiden. Das Land soll weitere Hilfen aus dem EFSF erhalten. Athen muss dafür sparen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2011


Nach der EFSF-Aufstockung ist vor ...

Euroland benötigt eine Haftungsunion und einen gezähmten Finanzmarkt

Von Kurt Stenger ***


Schulden sind nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Ohne regelmäßigen Kreditfluss würde jegliche wirtschaftliche Tätigkeit zum Stillstand kommen und Staaten müssten in schlechten Zeiten wichtige Zukunftsinvestitionen einstellen. Eine banale Feststellung, die in der konservativ und marktliberal dominierten Debatte um die EFSF-Aufstockung völlig ausgeblendet wurde. Panikmache und Koalitionstaktik drängten jede Kritik an den Konstruktionsfehlern des Rettungsfonds an den Rand.

Es klingt paradox: Je größer der Rettungsschirm, umso geringer die Wahrscheinlichkeit, dass selbst geringe Garantien der Steuerzahler jemals benötigt werden oder dass immer neue Hilfskredite fließen. Es geht um eine Kampfansage an Spekulanten und um eine hochdosierte Beruhigungspille für die Finanzmärkte. Der EFSF wäre aber auch nach der Aufstockung zu klein, um etwa Italien und Spanien Schutz zu bieten.

Das Thema wäre erst dann vom Tisch, wenn die Euro-Gruppe insgesamt für die Schulden der Euro-Gruppe haften sowie nach und nach auf gemeinsame Kredite (Eurobonds) umstellen würde. Das bisherige Prinzip, jedes Land steht für seine Schulden ein, ist im Rahmen einer Währungsunion grundfalsch – es machte es den Spekulanten leicht, zunächst das schwächste Mitglied, Griechenland, zu attackieren; und jetzt, wo allgemeine Verunsicherung herrscht, auch Schwergewichte.

Im Falle einer Haftungsunion würden die Garantien des deutschen Steuerzahlers gegenüber dem EFSF (211 Milliarden Euro) massiv in die Höhe gehen. Trotzdem würde sich in der Summe nicht viel ändern, denn, was gerne übersehen wird: Der deutsche Steuerzahler ist bereits Garantien in Höhe von rund zwei Billionen Euro eingegangen – so hoch ist nämlich die Gesamtverschuldung Deutschlands.

Eine Haftungsunion, bei der eben auch die anderen Euroländer für die deutschen Schulden einstünden, ist in der aufgeheizten Debatte derzeit kaum durchsetzbar. Daher sind in Brüssel neue Werkzeuge im Gespräch – etwa ein »Hebel«: Der EFSF erwirbt eine Banklizenz und kann dann gekaufte Staatsanleihen als Sicherheiten bei der Europäischen Zentralbank (EZB) hinterlegen, um dort zu Niedrigstzinsen Geld zu erhalten, mit denen er weitere Anleihen kauft. Möglich wäre auch, dass der EFSF mit dem Geld zinsgünstige Kredite an Krisenstaaten vergibt. An dem Vorschlag ist eines wichtig: Er richtet den Fokus auf die Notenbank – nur sie hat die Möglichkeit, bei Bedarf riesige Geldsummen quasi herbeizuzaubern. Auch hier gibt es freilich massive Widerstände – wieder vor allem aus Deutschland, wo die Notenbank als sakrosankt gilt.

Und so wird beim nächsten Börsenzucken wieder hektisch am EFSF herumgedoktert werden. Das führt nicht weiter. Selbst ein effizientes Schuldenmanagement würde nur wirken, wenn auch die Finanzmärkte streng reguliert, Spekulation erschwert und Banken geschrumpft werden. Die Stabilität im Euroraum ist nicht durch Schulden gefährdet, sondern durch den liberalisierten Finanzsektor, riesige Privatvermögen und brutale Sparpakete.

*** Aus: Neues Deutschland, 30. September 2011


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