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Dauerdefizit bei Hubschraubern und anderen Waffensystemen - wie die Europäische Verteidigungsagentur EDA das Ausrüstungsproblem lösen will

Ein Beitrag von Christoph Prößl aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderation):
Waffensysteme werden immer komplexer und damit auch immer teurer. Ein Staat allein kann sie kaum noch bezahlen. Deswegen schließen sich immer häufiger mehrere Länder zusammen, wenn neue Systeme beschafft werden sollen. Die Europäische Verteidigungsagentur EDA versucht, diese Rüstungszusammenarbeit zu koordinieren - beispielsweise bei der Entwicklung von Militär-Hubschraubern. Denn viele NATO- und EU-Länder verfügen über eine nur sehr begrenzte Zahl von Hubschraubern, die auch für Auslandsmissionen geeignet sind. Das soll mit Hilfe der Europäischen Verteidigungsagentur geändert werden. Eine nicht ganz einfache Aufgabe, wie Christoph Prößl festgestellt hat:

Manuskript Christoph Prößl

Die Gegend um Zaragossa erinnert ein bisschen an Afghanistan. Staubig, heiß und hoch gelegen. Ein ideales Terrain, um mit Hubschraubern den Einsatz am Hindukusch zu üben, ganz ohne Gefahr, von Raketen beschossen zu werden. Denn Zaragossa liegt im Norden Spaniens, am Fuß der Pyrenäen. Hier veranstaltete die Europäische Verteidigungsagentur EDA im Juni ein dreiwöchiges Training für Hubschrauber-Piloten aus den Ländern der EU. Projektleiter Andrew Gray:

O-Ton Gray (overvoice)
"Es geht bei diesem Training um drei Sachen: Erstens landen bei schlechter Sicht, verursacht zum Beispiel durch Staub. Dann geht es darum, Flüge im Gebirge zu trainieren. Das verlangt vom Piloten viel Können. Zuerst fliegen wir im Mittelgebirge, dann geht es ins Hochgebirge."

Das Ziel: Die Piloten sollen das Fliegen unter extremen Bedingungen üben. Denn das können noch längst nicht alle Besatzungen. Außerdem sind Hubschrauber bei vielen NATO- oder EU-Einsätzen Mangelware. Zum einen, weil die Europäer zu wenig Helikopter haben, zum anderen, weil einige Nationen nicht über die Piloten verfügen, die im schwierigen Gelände fliegen können. An dem Training haben Teams aus neun Ländern teilgenommen - über 700 Personen, mehr als 40 Maschinen. Deutschland schickte nur einen Beobachter. Das Bundesverteidigungsministerium prüft, ob eine Beteiligung an der nächsten Übung im Herbst sinnvoll wäre.

Der Erfolg solcher Übungen stellt sich aber eher langsam ein: Nach einem Ausbildungskurs im vergangenen Jahr entsandte gerade einmal Tschechien zwei weitere Maschinen nach Afghanistan.

Vielen NATO-Staaten und den EU-Mitgliedsländern fehlt es aber nicht nur an geeignetem Personal, sondern auch an Maschinen. Nach Angaben der ISAF sind in Afghanistan 500 Hubschrauber eingesetzt, 600 sollen es bald sein, dazu kommen noch 50 Maschinen der afghanischen Nationalarmee. Die Defizite beim Fluggerät wollte ein ISAF-Sprecher weder kommentieren noch beziffern. Die Bundeswehr verfügt über rund 400 Hubschrauber - aber nur sieben befinden sich im Einsatz in Afghanistan. Weitere mittlere Transporthubschrauber vom Typ CH-53 werden derzeit technisch aufgerüstet - sonst sind sie am Hindukusch nicht einsetzbar. Geeignete Hubschrauber sind Mangelware.

Mehrere Nationen haben bereits vor Jahren reagiert und ein gemeinsames Projekt auf den Weg gebracht: den NH 90. 15 Nationen sind an diesem Vorhaben beteiligt. Das Firmenkonsortium aus Eurocopter, Agusta Westland und Stork Fokker soll knapp 600 Maschinen bauen. Die ersten wurden bereits ausgeliefert. Doch das gemeinsame, gut gemeinte Projekt ist alles andere als ein positives Beispiel für die Zusammenarbeit. Dick Zandee, Projektleiter bei der Europäischen Verteidigungsagentur EDA nennt den NH 90 einen Lost case, einen verlorenen Fall:

O-Ton Zandee (overvoice)
"Ein anderes Problem mit dem NH 90: Am Anfang hat es eine Bestellung für einen Hubschrauber-Typ gegeben, beschlossen von allen Mitgliedsstaaten. Und während der Produktion haben dann alle Extrabestellungen für bestimmte Ausstattungen eingereicht. Das Ergebnis: Am Ende hatten wir 24 Versionen des NH 90. Das ist nicht nur ein Alptraum für die Industrie, die unterschiedliche Produktionsstraßen bereit stellen muss. Vor allem treibt das die Kosten nach oben und sorgt dafür, dass gemeinsame Einsätze der Maschinen wieder schwieriger sind."

Dick Zandee kennt das Problem: Tag für Tag bekommt die Europäische Verteidigungsagentur die Fragmentierung Europas zu spüren. Zwar existiere die Europäische Union, aber die EU sei eben nicht die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach wie vor gebe es nationale Armeen, die Ausschreibungen erfolgten auf nationaler Ebene und viele Staaten wollten eigene Rüstungsbetriebe schützen. Es gebe nach wie vor zu wenig Kooperation über die Grenzen hinweg. Ein weiteres Beispiel: die sogenannten Flugtüchtigkeitsprüfungen:

O-Ton Zandee (overvoice)
"Das wird alles national durchgeführt. Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir, dass 25 Prozent der Kosten bei großen Anschaffungen wie Flugzeugen oder Helikoptern für die Zertifizierung ausgegeben werden. Wenn sie das harmonisieren, wenn es eine Luftsicherheitsbehörde gibt, dann können sie 25 Prozent der Kosten sparen. Wenn sie den NH 90 nehmen - das ist ja ein einfaches Rechenbeispiel. 600 Maschinen werden derzeit von 15 Staaten gekauft. Alle führen die Flugtüchtigkeitsprüfungen rein national durch. Die Maschinen zusammen genommen kosten 20 Milliarden Euro. Wenn wir 25 Prozent sparen könnten, dann sind das fünf Milliarden Euro. Das ist viel Geld."

Die Europäische Verteidigungsagentur, möchte es jetzt besser machen. 2007 vereinbarten Deutschland und Frankreich, den Bau eines Hubschraubers voranzutreiben, der schwere Lasten befördern kann. Arbeitstitel: Future Transport Helicopter. Diese Maschine soll bis zu 15 Tonnen Material oder Personal in Einsatzgebieten transportieren können - ein Bereich, in dem die europäischen Armeen Defizite haben. Derzeit liefen Gespräche mit Deutschland, Frankreich und anderen interessierten Nationen, sagt Dick Zandee. Dabei gehe es darum, nicht erneut zahlreiche unterschiedliche Versionen eines Modells zu bestellen. Hilmar Linnenkamp, Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik war bis 2007 stellvertretender Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur. Er glaubt, dass die EU-Staaten aus dem Fall NH 90 gelernt haben:

O-Ton Linnenkamp
"Vor allem die Lehre, dass man am Ende in der Bedarfsformulierung erstens bescheidener und zweitens gemeinsamer sein muss. Bescheidener heißt: nicht vielleicht die 110 prozentige Lösung in allen technischen Einzelheiten dieser Projekte zu verlangen."

Neu an dem Projekt ist auch, dass die Auftraggeber den amerikanischen Hubschrauber-Hersteller Sikorsky beteiligen wollen. Das Unternehmen hat Erfahrung mit schweren Maschinen. Damit wäre der Future Transport Helicopter ein transatlantisches Projekt.

Nach wie vor bezahlen die einzelnen Mitgliedsstaaten ihre Maschinen. Je nachdem, wie die Verträge formuliert sind teilweise auch schon während der Entwicklung. Überlegungen, die Verteidigungsagentur mit einem eigenen Budget für die Hubschrauber auszustatten, hält Linnenkamp für falsch. Das würde den Charakter der Agentur verändern, sie wäre dann ein Beschaffungsamt:

O-Ton Linnenkamp
"Mehr Gemeinsamkeit zu organisieren und damit rationeller umzugehen, mit den 200 Milliarden Euro, die die europäischen Länder jedes Jahr ausgeben für ihre Verteidigung, diese Möglichkeit hat die Agentur, in dem sie immer wieder den Nationen einen Spiegel vorhält über das kollektive Verhalten in der Rüstungs- Verteidigungs- und Fähigkeitsplanung. Dass die Verteidigungsminister sehen, nicht nur was sie einzeln in ihrem eigenen Land machen, sondern was sie gemeinsam tun. Und da gibt es viel Potenzial für Einsparungen, viel Potenzial für Rationalisierungen. Da kann die Agentur als Katalysator wirken, um diese Gemeinsamkeit voranzubringen."

Die Europäische Verteidigungsagentur arbeitet noch an einem dritten Projekt, um die Knappheit bei Helikoptern zu beseitigen. Projektleiter Gray:

O-Ton Gray (overvoice)
"Ich wurde beauftragt, die Verfügbarkeit von Hubschraubern zu verbessern. Das kann man machen, indem man neue Hubschrauber kauft, alte Maschinen wieder herrichtet oder solche, die wir fliegen, besser nutzt. Die Situation ist ähnlich wie vor einigen Jahren, als wir zu wenig Transportflugzeuge hatten - Stichwort C 17 - und deswegen frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, wenn die Nationen zusammentreten und eine gemeinsame Hubschrauber-Einheit bilden. Wir sind da noch ganz am Anfang. Aber ich möchte untersuchen, was das kosten würde und welche Länder Interesse haben."

Der gemeinsame Verband hätte den Vorteil, dass sich gerade auch kleinere Streitkräfte finanziell beteiligen könnten, ohne eine eigene Hubschrauber-Flotte aufbauen zu müssen. Die Nationen hätten dann Kapazitäten für ihre Einsätze, beispielsweise in Afghanistan oder in anderen Krisengebieten. Im Herbst will Gray ein Konzept fertig stellen, das er dann den EU-Mitgliedsstaaten vorlegen wird. Aber auch hier ist die Europäische Verteidigungsagentur auf den guten Willen der Mitgliedsstaaten angewiesen.

Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 3. Juli 2010; www.ndrinfo.de


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