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"Besonderes Augenmerk gilt den schnell verlegbaren, europäischen Gefechtsverbänden"

Der außen- und sicherheitspolitische Teil des Arbeitsprogramms der deutschen EU-Präsidentschaft im Wortlaut

Im Folgenden dokumentieren wir den außen- und sicherheitspolitischen Teil des Arbeitsprogramms der deutschen EU-Präsidentschaft für das erste Halbjahr 2007.



IV. Gestaltung der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, der Außenwirtschaftspolitik und der Entwicklungspolitik

Gerade in den Außenbeziehungen müssen die Mitgliedstaaten enger zusammenarbeiten, um Wohlstand und Sicherheit zu gewährleisten. Die Europäische Union hat in den vergangenen Jahren ein umfassendes Instrumentarium zur Konfliktbewältigung und Friedenssicherung geschaffen, das einen weiten Bogen von der Prävention bis zur Nachsorge spannt. Hierauf gilt es aufzubauen.

Vor dem Hintergrund internationaler Krisen, des Terrorismus, der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionaler Konflikte, des Scheiterns von Staaten und organisierter Kriminalität wurde im Jahr 2003 die Europäische Sicherheitsstrategie verabschiedet. Gemäß den darin enthaltenen Vorgaben wird sich die deutsche Präsidentschaft für eine effizientere und kohärente Außenpolitik und eine vertiefte Zusammenarbeit mit den Partnern einsetzen. Der Vorsitz strebt ferner weitere Schritte der militärischen Zusammenarbeit in der langfristigen Perspektive einer gemeinsamen europäischen Verteidigung an.

Europas Wohlstand und politisches Gewicht in der Welt fußen entscheidend auf den Erfolgen europäischer Unternehmen auf den Weltmärkten. Die EU ist mit 20% Anteil am Welthandel der größte Handelspartner und verfügt damit über einen Einfluss, der weit über die Möglichkeiten der einzelnen Mitgliedstaaten hinausreicht. Der internationale Handel fördert unsere Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum. Dabei fällt der Fortentwicklung fairer multilateraler Regeln für die weitere Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit eine Schlüsselrolle zu.

Erweiterung der EU und Ausbau des europäischen Raumes der Sicherheit und Stabilität

Die deutsche Präsidentschaft wird den Erweiterungsprozess unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der EU fortsetzen und sich an den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom Dezember 2006 orientieren. Die laufenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei und Kroatien wird Deutschland nach Maßgabe der Fortschritte der Kandidaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen fördern.

In der europäischen Nachbarschaft wird das Schwergewicht des Engagements des Vorsitzes – entsprechend der vom Europäischen Rat am 12. Dezember 2003 verabschiedeten Europäischen Sicherheitsstrategie – auf der Stabilisierung des Westlichen Balkans liegen, insbesondere durch Unterstützung der Kosovostatusverhandlungen oder der Absicherung einer dann bereits gefundenen Lösung. Hierfür wird die EU ihre bisher größte zivile ESVP-Mission mit den Schwerpunkten Justiz und Polizei durchführen.

Die EU-Beitrittsperspektive und ihre weitere Konkretisierung durch den Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess – bei strikter Einhaltung der Kriterien des Stufenplans der Kommission und unter Berücksichtigung der Aufnahmefähigkeit der EU – bleibt für die Stabilisierung des Balkans unersetzlich. Dies gilt angesichts des zu erwartenden politischen Wandels in Kosovo und der vollzogenen Unabhängigkeit Montenegros in besonderem Maße für Serbien. Die Verhandlungen über die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU mit Serbien, Montenegro und mit Bosnien und Herzegowina könnten während der deutschen Präsidentschaft abgeschlossen werden.

Die Europäische Nachbarschaftspolitik leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung von Stabilität und Demokratie. Die Europäische Union sollte ihren Gestaltungsspielraum nutzen und den Partnerländern in ihrer Nachbarschaft ein attraktives und breites Angebot der Zusammenarbeit unterbreiten. Die deutsche Präsidentschaft wird die Initiative ergreifen und konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung der Nachbarschaftspolitik vorlegen.

Parallel sollen die Partnerschaft mit Russland im Rahmen der vier „Gemeinsamen Räume“ vertieft und die Verhandlungen über die Nachfolge des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens begonnen werden. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland, insbesondere im Energiebereich, sollen verstärkt werden. Die Kooperation im internationalen Krisenmanagement soll ausgebaut werden.

Die Präsidentschaft wird besonderes Augenmerk auf die strategisch bedeutsame zentralasiatische Region richten. Mit der Verabschiedung einer Zentralasienstrategie soll die EU ihre Interessen und Ziele bestimmen. Der politische Dialog mit der Region soll ausgebaut werden.

multilaterales Engagement, aktives Krisenmanagement und Nichtverbreitung

Die Vereinten Nationen bleiben die zentrale Institution eines effektiven Multilateralismus. Der deutsche Vorsitz wird sich insbesondere für eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen EU und VN im Bereich Krisenmanagement einsetzen sowie, in Umsetzung des Artikels 19 des EU-Vertrags, auf eine enge Abstimmung zwischen den EU-Mitgliedern des VNSicherheitsrats und den übrigen Mitgliedstaaten hinarbeiten.

Der Vorsitz wird sich für die weitere Stabilisierung der Lage im Libanon einsetzen und gemeinsam mit den Partnern in der EU und im Nahost-Quartett intensiv nach Möglichkeiten suchen, den Nahostkonflikt einer umfassenden Friedenslösung entgegenzuführen. Eine der drängendsten Herausforderungen wird daneben die Fortsetzung der Bemühungen um eine friedliche Lösung der Auseinandersetzung über das Nuklearprogramm des Iran sein. Die Präsidentschaft wird Vorschläge zur Vertiefung der Partnerschaft mit dem Golfkooperationsrat entwickeln. Sie wird den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbauprozess im Irak weiter unterstützen. In Afghanistan wird sich Deutschland für eine Stärkung des EUEngagements im Rahmen des Programms „Afghanistan Compact“ einsetzen.

Deutschland wird sich zugunsten einer Stärkung der Rolle der Afrikanischen Union, insbesondere bei der Konfliktprävention und -beilegung, engagieren. Besonders die Lage im Sudan, in Somalia, und in der DR Kongo nach den Wahlen werden weit oben auf der afrikapolitischen Agenda der EU stehen.

Im Bereich Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung gilt das strategische Interesse der weiteren Stärkung des multilateralen Regelwerks. Die Präsidentschaft wird ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf die Vorbereitung der Überprüfungskonferenz zum Vertrag über nukleare Nichtverbreitung sowie auf weitere konkrete Schritte zur Verbesserung der weltweiten Transferkontrolle von Kleinwaffen richten.

Stärkung von GASP und ESVP

Auf Grundlage der Arbeiten der finnischen Präsidentschaft sollen in allen Bereichen der EUAußenbeziehungen Maßnahmen zur Verbesserung der Kohärenz zwischen den Instrumenten der GASP und denen der Europäischen Gemeinschaft beschlossen werden, zum Beispiel im Bereich der Zusammenarbeit zwischen dem Hohen Repräsentanten und der Kommission.

Die Fähigkeit der EU, zivile und militärische Instrumente zur Krisenvorbeugung und - bewältigung einzusetzen, soll u.a. im Rahmen der Planziel-Prozesse (Streitkräfteplanziel 2010, Ziviles Planziel 2008) gestärkt werden. Besonderes Augenmerk gilt den schnell verlegbaren, europäischen Gefechtsverbänden, die vom 1. Januar 2007 an für Einsätze in Krisengebieten zur Verfügung stehen. Bei der Planung und Durchführung von ESVP-Operationen soll die zivil-militärische Koordinierung gestärkt werden, um die autonome Handlungsfähigkeit der ESVP zu verbessern. Das ab Anfang 2007 einsatzbereite Operationszentrum wird bei Bedarf aktiviert werden. Schließlich soll die strategische Partnerschaft zwischen EU und NATO durch die Intensivierung des politischen Dialogs und der Zusammenarbeit in den Bereichen Einsatz und Fähigkeitenentwicklung ausgebaut werden.

strategische Partnerschaften und aktive Außenwirtschaftspolitik

Die deutsche Präsidentschaft wird sich für eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen im politischen und im wirtschaftlichen Bereich einsetzen. Mit den USA und mit Kanada wird es je ein Gipfeltreffen geben. Im Mittelpunkt der Vertiefung des Dialogs und der Zusammenarbeit mit den USA sollen ausgewählte Themen wie Nahost, Osteuropa, Kampf gegen Terrorismus oder Energiesicherheit stehen. Deutschland strebt eine Vereinbarung über Zusammenarbeit der EU und der USA im zivilen Krisenmanagement an. Schwerpunkte der Umsetzung der gemeinsamen Wirtschaftsinitiative werden auf regulatorischer Zusammenarbeit, Innovation und Technologie, Handel und Sicherheit, Kapitalmärkte, Energie und Schutz geistigen Eigentums liegen.

Die Präsidentschaft wird die politische und wirtschaftliche Dimension der Beziehungen zu Asien weiterentwickeln. In diesem Kontext sollen die Verhandlungen über ein EU-China- Rahmenabkommen vorangebracht werden. Beim Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen wird sich der Vorsitz auf die Themen Freiwilligkeit beim Technologietransfer, Verbesserung der Rechtssicherheit beim Schutz geistigen Eigentums, verstärkte Öffnung der chinesischen Märkte auch für Dienstleistungen sowie Abbau von Wettbewerbsverzerrungen im Rohstoffbereich konzentrieren. Regionale Kooperation und Integration in Nord-Ostasien sowie der Austausch zur Lage in Nordkorea und die Verstetigung des Dialogs über Zukunftsfragen sollen Schwerpunkte beim EU-Japan-Gipfel sein. Die strategische Partnerschaft mit Indien soll durch konsequente Umsetzung des EU-Indien „Joint Action Plan“ weiter vertieft werden. Die Beziehungen EU-ASEAN sollen durch stärkere Akzente in der Handelspolitik sowie einen Aktionsplan mit außen- und sicherheitspolitischen Schwerpunkten ausgebaut, der ASEMProzess gestärkt werden.

Die Präsidentschaft wird im Dialog mit den afrikanischen Partnern die EU-Afrika-Strategie im Interesse Europas an Frieden und stabiler Entwicklung in Afrika vorantreiben.

Die Beziehungen zu Lateinamerika und der Karibik sollen weiter vertieft werden. Die Verhandlungen über ein Assoziationsabkommen mit dem Mercosur sollen abgeschlossen, die mit den zentralamerikanischen Staaten und der Andengemeinschaft begonnen werden.

Stärkung von Handel und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Europas

Wachstum, Beschäftigung und der Lebensstandard in Europa hängen auch von der Fähigkeit der europäischen Unternehmen ab, auf den globalen Märkten zu bestehen. Der deutsche Vorsitz unterstützt die Initiativen zur Steigerung der externen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft.

Deutschland wird die Bemühungen zur weiteren Öffnung der internationalen Märkte für europäische Güter, Dienstleistungen und Investitionen fortsetzen und misst dabei einem erfolgreichen Abschluss der Doha-Entwicklungsrunde weiterhin große Bedeutung bei. Darüber hinaus können aber auch bilaterale oder biregionale Handelsvereinbarungen mit ausgewählten Partnern eine sinnvolle Ergänzung multilateraler Regeln darstellen. Bereits begonnene Verhandlungen sollen daher intensiviert bzw. vollendet, sowie bilaterale und biregionale Optionen weiter geprüft werden. Die Präsidentschaft strebt auf Basis einer Anfang 2007 erwarteten Mitteilung der Kommission die Verabschiedung einer überarbeiteten EUMarktzugangsstrategie an.

Auch auf Drittmärkten gilt es, gleiche Bedingungen für konkurrierende Unternehmen und die Einhaltung anerkannter Regeln sicherzustellen. Nur die EU insgesamt, nicht die Mitgliedstaaten alleine, verfügt über ausreichendes Gewicht, um fairen Wettbewerb zu erreichen. Wettbewerbswidrigem Verhalten sowie unfairen Handelspraktiken wie Dumping, rechtswidrigen Subventionen, Verletzung geistiger Eigentumsrechte oder erzwungenem Technologietransfer wird die deutsche Präsidentschaft entschlossen entgegentreten. Die zweite Phase der EUInitiative zur Umsetzung geistiger Eigentumsrechte und die ergebnisoffene Überprüfung einzelner handelspolitischer Instrumente (z. B. bei den handelspolitischen Schutzinstrumenten und im öffentlichen Beschaffungswesen) müssen fortgeführt werden.

Stärkung nachhaltiger Entwicklung

Die deutsche Präsidentschaft fällt in einen Zeitraum von strategischer Bedeutung für die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit der EU, dem wichtigsten Geber weltweit. Die EU ist aufgerufen, ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung, Armutsreduzierung und zur Erreichung der Milleniums-Entwicklungsziele zu leisten. Handlungsleitende Elemente der Präsidentschaft sind – in engem Dialog mit der Zivilgesellschaft - die Umsetzung des Europäischen Entwicklungskonsenses, die Steigerung von Höhe, Wirksamkeit und Effizienz der Zusammenarbeit, die Verbesserung der Kohärenz der Gemeinschaftspolitiken im Interesse von Entwicklung sowie die Stärkung der Rolle von Frauen im Entwicklungsprozess. Mit der Ausgestaltung der neuen Finanzierungsinstrumente der EU (Instrument für Entwicklungszusammenarbeit; 10. Europäischer Entwicklungsfonds) wird die operative Zusammenarbeit mit den Partnerländern für die nächsten Jahre präzisiert.

Die Vereinbarungen aus der Paris-Erklärung zur besseren Arbeitsteilung zwischen Kommission und Mitgliedstaaten sollen mit Leben erfüllt und operative Grundsätze entwickelt werden. Im Rahmen des jährlichen Monterrey-Follow-up wird der Stand der Umsetzung der Millenium-Entwicklungsziele, insbesondere des Stufenplans zur Erhöhung der offiziellen Entwicklungshilfe und der qualitativen Verpflichtungen, überprüft. Im Zusammenhang mit der Umsetzung der EU-Afrikastrategie wird sich der Vorsitz insbesondere für die Initiativen in den Bereichen Energie, Governance und für das Thema HIV/AIDS einsetzen.

Um die Integration der Partnerstaaten in die Weltwirtschaft zu erleichtern, müssen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der EU mit den AKP-Ländern (Partnerstaaten der EU in Afrika, in der Karibik und im Pazifik) rechtzeitig abgeschlossen werden und fristgerecht Anfang 2008 in Kraft treten. Dabei wird Deutschland auf die entwicklungsförderliche Ausrichtung der Abkommen achten, die den AKP-Staaten den Zugang zum EU-Binnenmarkt über 2007 hinaus sichern sollen. Zudem wird die Präsidentschaft auf die Umsetzung der Selbstverpflichtungen der EU im Bereich der handelsbezogenen Zusammenarbeit („Aid for Trade“) achten.

* Aus: "Europa gelingt gemeinsam". Präsidentschaftsprogramm 1. Januar - 30. Juni 2007.
Hier gibt es das gesamte Programm als pdf-Datei: www.eu2007.de



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