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Europas Diplomaten - auf dem Königsweg oder auf dem Kriegspfad?

Der Europäische Auswärtige Dienst ist umstritten

Von Wolfgang Kötter *

Ab heute (1.12.) verfügt die „Außenministerin Europas“ Catherine Ashton auch über einen diplomatischen Dienst. Damit bestimmt die Beauftragte für die Außenpolitik der Europäischen Union künftig über rund 5.400 Mitarbeiter. Etwa sechzig Prozent von ihnen werden europäische Beamte sein, mindestens ein Drittel der Diplomaten kommt aus den Mitgliedstaaten. Die 135 Delegationen, die die EU gegenwärtig auf der ganzen Welt unterhält, werden in den Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) überführt und er soll die Union auch bei internationalen Organisationen vertreten. In der neuen Behörde werden die Bereiche Auswärtiges, Militärpolitik und Entwicklungspolitik zusammengefasst. Der Dienst wird deshalb auch einen Militärstab mit etwa 150 Personen umfassen.

Langwierige Kontroversen um Kompetenzen

Bereits im Jahr 2009 legte der Vertrag von Lissabon die Einrichtung eines diplomatischen Dienstes für die EU grundsätzlich fest. Europa soll nach außen hin geschlossener auftreten, so das Anliegen. Der neue Dienst wird als ein wesentlicher Bestandteil dieser Außenpolitik „aus einem Guss“ angesehen und soll dazu beitragen, dass die Positionen der Mitgliedstaaten besser abgestimmt, koordiniert und einheitlich kommuniziert werden. Doch der Machtkampf, der um die neue diplomatische Vertretung entbrannte, verdeutlicht, wie schwierig eine gemeinsame europäische Außenpolitik in der Realität ist. Die Kontroversen zeigen, dass die Regierungen kaum bereit sind, Kompetenzen in der Außenpolitik abzugeben. Rat und Kommission wollen jegliche Machtverschiebung auf ihre Kosten vermeiden.

Monatelang lieferten sich EU-Kommission, Mitgliedstaaten und Europäisches Parlament erbitterte Schlachten. Gestritten wurde zu den Kompetenzen wie auch über die Kontrollrechte der einzelnen Institutionen über Organisation und Budget des Dienstes. Ashton hatte dabei der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament große Zugeständnisse bei der Struktur der neuen Behörde machen müssen. Die Parlamentarier haben zwar keine Entscheidungsbefugnis über den Außendienst und müssen laut Lissabon-Vertrag vor seiner Einrichtung auch nur „konsultiert“ werden. Aber sie hatten damit gedroht, die Behörde indirekt über die Haushaltskompetenz des Parlaments scheitern zu lassen, wenn ihre Wünsche nicht berücksichtigt werden. Die Finanzierung des Dienstes und seine Personalstruktur unterliegen der Mitentscheidung des Parlaments. In der Diskussion um das „Personalstatut“ ging es vorrangig um Quotenregelungen beispielsweise für Regionen, Frauen oder Bewerber aus der Kommission. Dass unter den ersten neuernannten EU-Botschaftern nur ein Viertel Frauen waren, kommentierte die außenpolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament Franziska Brantner mit der deutlichen Warnung: „Für einen Zigarre-rauchenden Altherren-Club wird Frau Ashton vom Parlament kein Geld erhalten“.

Der schließlich getroffene Kompromiss bestimmt, dass der Auswärtige Dienst zwar eine eigenständige Behörde ist, das Parlament die Kontrolle jedoch über seine Haushaltsmacht ausübt. Bemängelt wird insbesondere die Zwitterstellung des Dienstes, der teilweise den Weisungen der Gemeinschaft und teilweise den Mitgliedstaaten unterworfen ist, und sich durch alle Dienststellen zieht. So werden die Handelsattachés in den EU-Vertretungen an den Handelskommissar in Brüssel berichten, während zum Beispiel die Energieaußenpolitik in den Händen der nationalen Regierungen bleibt und mit dem Rat abgestimmt werden muss.

Streit ums Personal

Erwartungsgemäß gab es auch ein heftiges Gerangel um die Besetzung der Spitzenpositionen. Werden Chefposten bei internationalen Organisationen vergeben, spielen Faktoren wie politische Ausrichtung und geographische Verteilung eine herausragende Rolle. Die nationalen Regierungen achten einerseits auf ihr Prestige, wollen aber andererseits multilaterale Konkurrenten auch nicht zu stark werden lassen. Das verwundert nicht, denn die internationalen Apparate üben, wenn auch subtil, mehr Einfluss aus als gewöhnlich von außen sichtbar wird. In der Regel hochkompetent mit langjähriger Erfahrung und Sachkenntnis sind die Mitarbeiter den inhaltlich und geographisch zumeist rotierenden nationalen Diplomaten oftmals überlegen. Sie können Themen vorgeben, Ideen lancieren und Gremienbeschlüsse je nach Engagement forcieren oder versanden lassen. Schließlich bestimmt die Führungspersönlichkeit die inneren Arbeitsabläufe, Aufgabenverteilung und nicht zuletzt das Betriebsklima für die in diesem Fall sogar Tausenden Angestellten.

Die Regierungen insbesondere in London und Paris haben erreicht, dass die ursprünglich mächtigste Person, der Generalsekretär des Dienstes, deutlich an Gewicht verloren hat. Nicht er, sondern der für den jeweiligen Bereich zuständige EU-Kommissar oder ein nationaler Außenminister vertritt Ashton bei Abwesenheit. Damit, so befürchten Kritiker, werde das personelle Chaos in der europäischen Außenpolitik noch schlimmer als es bisher ohnehin war. Das Parlament hält aber diese Verlegenheitslösung gegenüber dem französischen Modell eines politischen Beamtenapparats immer noch für das kleinere Übel. Den Posten des nunmehr vornehmlich für die Verwaltung zuständigen Generalsekretärs hat der bisherige französische Botschafter in Washington, Pierre Vimont bekommen. Paris kassierte auch die Leitung der Einheit für militärisches und ziviles Krisenmanagement für seine EU-Politikerin Véronique Arnault. Großbritannien, das neben Ashton vier weitere Spitzenposten erhält, ist im neuen Dienst ebenfalls prominent vertreten. Demgegenüber beklagen deutsche Kritiker, man habe zu wenig getan, um Deutschland an führender Stelle zu platzieren. Helga Schmid, die bisherige Direktorin der Strategieplanungs- und Frühwarneinheit beim Rat der EU und ehemalige Büroleiterin von Ex-Außenminister Joschka Fischer, wurde immerhin stellvertretende Generalsekretärin. Der zweite Vize-Posten ging an Polen für Maciej Popowski, den langjährigen Kommissionsdirektor für Entwicklungshilfe und bisherigen Kabinettschef des polnischen Parlamentspräsidenten. „Aus deutscher Sicht ist es personell hochgradig unerfreulich gelaufen", beklagt der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff und wirft dem Auswärtigen Amt vor, es habe die Personalfrage ebenso verschlafen wie das Kanzleramt. Der CDU-Außenpolitiker Elmar Brok stimmt dem zu. Die Berliner Koalition, so meinen beide, sei eben zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Kritik von vielen Seiten

Auch grundsätzlich kommt harsche Kritik an der Einrichtung des Europäischen Außenamts und zwar gleich aus mehreren Richtungen. Eine große Chance vertan wurde nach Meinung der Opponenten bei der Friedenspolitik. Der EAD hätte Europa endlich zu einer Zivilmacht für Frieden machen können, die sich vorrangig auf gestärkte zivile Fähigkeiten stützt. Die Gelegenheit, in Europa integrierte Strukturen für einen ganzheitlichen Ansatz bei Konfliktprävention, Krisenmanagement und Peacebuilding zu schaffen, wurde verpasst. Aus Sicht der Linken war es ein eklatanter Fehler, den EAD mit militärischen Strukturen zu verknüpfen. „Das bedeutet eine weitere Militarisierung“, moniert Tobias Pflüger von der Linkspartei, „die zivil-militärische Zusammenarbeit für die die EU inzwischen steht, hat nun mit dem EAD einen neuen Höhepunkt erreicht.“ Der europaskeptische britische Abgeordnete David Campbell Bannerman sieht seinerseits den EAD als weiteren negativen Schritt zur „Entstehung der Vereinigten Staaten von Europa" und somit als „Bedrohung der Nationalstaaten". Der EU-Abgeordnete Franz Obermayr von der rechtspopulistischen FPÖ Österreichs, meint: "Häuptlinge wird es im neu zu schaffenden Europäischen Auswärtigen Dienst viele geben, aber nur wenige Indianer, die die tägliche Arbeit erledigen!“ Damit erfülle der EAD sämtliche Befürchtungen von EU-Skeptikern.

Die Grünen ziehen eine gemischte Bilanz: "Für einen wirklich großen Wurf fehlte den Mitgliedstaaten der Mut, und manche wollten beim Krisenmanagement sogar einen großen Schritt zurück machen", bemängelt Franziska Brantner. Dem Dienst fehle es an Visionen und Ambitionen, aber Dank dem Druck des Parlaments könne er doch zumindest den Grundstein für eine kohärentere und effektivere Außenpolitik bilden. Das Europäische Parlament will jedenfalls weiterhin wachsam bleiben: „Wir wollen nicht die Außenpolitik der EU machen, aber wir wollen sie kontrollieren", versichert der Berichterstatter des Parlaments für den EAD Elmar Brok.

Der Lissabon-Vertrag (Artikel 27 Abs. 3) zum EAD:

Bei der Erfüllung seines Auftrags stützt sich der Hohe Vertreter auf einen Europäischen Auswärtigen Dienst. Dieser Dienst arbeitet mit den diplomatischen Diensten der Mitgliedstaaten zusammen und umfasst Beamte aus den einschlägigen Abteilungen des Generalsekretariats des Rates und der Kommission sowie abgeordnetes Personal der nationalen diplomatischen Dienste. Die Organisation und die Arbeitsweise des Europäischen Auswärtigen Dienstes werden durch einen Beschluss des Rates festgelegt. Der Rat beschließt auf Vorschlag des Hohen Vertreters nach Anhörung des Europäischen Parlaments und nach Zustimmung der Kommission.



* Dieser Beitrag erschien - gekürzt - unter dem Titel "Diplomaten mit EU-Pass" im "Neuen Deutschland" vom 1. Dezember 2010.

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