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"Außenpolitik der EU wird weiter militarisiert"

Europäische Union bekommt Auswärtigen Dienst. Klassische Entwicklungshilfe vermischt sich mit Kriegseinsätzen. Ein Gespräch mit Tobias Pflüger

Tobias Pflüger ist Mitglied des Parteivorstandes der Linkspartei und aktiv in der Informationsstelle Militarisierung.



Das EU-Parlament hat mit 549 zu 78 Stimmen der Einrichtung des »Europäischen Auswärtigen Dienstes« (EAD) unter Führung der Außenbeauftragten Catherine Ashton zugestimmt. Warum lehnt die Linkspartei diese Institution ab?

Mit dem EAD gibt es erstmals auf EU-Ebene eine Behörde mit etwa 8000 Mitarbeitern, die zusätzlich zu den diplomatischen Diensten der Mitgliedsstaaten aufgebaut wird. In ihr werden die Bereiche Auswärtiges, Militärpolitik und Entwicklungspolitik zusammengefaßt und vermischt. Die Verhandlungsführer des Europäischen Parlamentes sprechen von einem »kohärenten auswärtigen Dienst, der die Basis für eine durchsetzungsfähige und handlungsfähige EU auf globaler Ebene bietet.« Das bedeutet eine weitere Militarisierung. Die zivil-militärische Zusammenarbeit für die die EU inzwischen steht, hat nun mit dem EAD einen neuen Höhepunkt erreicht.

Sie lehnen diese »Vermischung von auswärtiger Politik, Entwicklungspolitik und Verteidigungspolitik« ab. Könnte man nicht umgekehrt sagen, mit der Zusammenlegung wird das Militär »eingehegt«?

Nein. Insbesondere die Entwicklungspolitik, aber auch die klassische Außenpolitik wird weiter militarisiert. EU-Auslandseinsätze werden zunehmen. Es wird zu immer mehr militärisch-polizeilich-zivilen Mischeinsätzen kommen. Die »Mission« EULEX im Kosovo vereinigt schon heute Aufstandsbekämpfungspolizei, andere Polizisten, Richter, Gefängnisaufseher und Zollbeamte unter einem Dach. Eine Entwicklungspolitik im klassischen Sinne, also »Hilfe zur Selbsthilfe«, wird immer unwahrscheinlicher. Soldaten sind vorhanden und werden eingesetzt, manchmal kriegerisch oder militärisch manchmal offiziell »zivil«. Die Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten werden mit allen Mitteln bis hin zum Kriegseinsatz weltweit durchgesetzt. Der EAD ist die dazu erforderliche Behörde.

Kritik am EAD gibt es auch von Elmar Brok (CDU) und Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Was ist davon zu halten?

Die beiden haben sich beschwert, daß nicht genug deutsche Beamte in den Spitzenpositionen des EAD eingesetzt würden. Das ist lächerlich. Joseph Fischers ehemalige Büroleiterin Helga Schmid zum Beispiel könnte stellvertretende EAD-Generalsekretärin werden.

Wem ist die Mammutbehörde letztlich unterstellt, wer kontrolliert sie?

Das Europäische Parlament und noch mehr die Parlamente der EU-Einzelstaaten haben äußerst eingeschränkte Rechte. Selbst die konservative Haushaltspolitikerin Inge Gräßle geht davon aus, daß parlamentarische Rechte »ausgehebelt werden«. Das sei »von manchen so gewollt«. Eine politische Kontrolle ist de facto nicht möglich. Hier kann die Hohe Beauftragte Catherine Ashton politisch ziemlich frei handeln: Was sie will, sagt sie: »Wir müssen europäische Interessen verteidigen und europäische Werte in einer ... effizienteren Weise fördern.« Weltweit.

Ihre Kritik an der EU teilen nicht alle in der Linkspartei. Die Vizevorsitzende Halina Wawzyniak hat gerade mit Politikern von Grünen und SPD ein Papier (»Das Leben ist bunter«) vorgelegt, in dem die Europäische Union als »großes Friedens- und Integrationsprojekt auf dem europäischen Kontinent« gewürdigt wird.

Das ist nicht auf dem Stand der Dinge, vielleicht dem Kompromiß geschuldet und eine Position von gestern. Die Kritik und Ablehnung des Lissabonvertrags ist schon etwas länger Programmatik der Linkspartei. Die Europäische Union nach dem Lissabon-Vertrag ist eine andere EU als zuvor. Sie ist mit dem Vertrag von Lissabon auch ein Militärbündnis geworden. Damit ist nicht mehr nur die konkrete Ausformung des Bündnisses ein Problem, sondern die Institution als solches. Im Moment startet in der Linken eine Debatte, wie man mit diesem Umstand auch programmatisch umgehen soll. Der Ausgang davon ist offen. Ich bin für eine neue linke EU-Kritik und gleichzeitig gegen den Rückfall in nationalstaatliches Denken.

Klar sind zwei Dinge: Erstens, die EU braucht einen grundsätzlich anderen Grundlagenvertrag. Und zweitens: Mit unfundierter Europaeuphorie, die auf die EU projiziert wird, wird man der realen Europäischen Union und ihrer Politik nicht gerecht. Das können wir getrost den anderen Parteien überlassen.

Interview: Peter Preiß

* Aus: junge Welt, 12. Juli 2010

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