Bürger sollen EU-Politik gestalten
EU-Kommission lanciert Grünbuch zur Mitsprache in europäischen Angelegenheiten
Von Stefan Tolza, Brüssel *
Im Lissabon-Vertrag ist die Möglichkeit für Bürger vorgesehen, der EU-Kommission
Handlungsvorschläge zu unterbreiten. Wie das praktisch funktionieren soll, ist aber noch weitgehend
offen.
Bürger, erhebt eure Stimme und macht selbst EU-Politik! Das ist die Botschaft, die in der
vergangenen Woche noch einmal in aller Deutlichkeit von EU-Kommunikations-Kommissarin Margot
Wallström in die Öffentlichkeit gebracht wurde. Dabei ist der Aufruf eigentlich keine Neuigkeit: Die
Bürgerinitiative als künftiges Instrument der EU-Politik ist schon längst bekannt als Bestandteil des
Lissabon-Vertrags, der die politischen Spielregeln innerhalb der EU neu ordnen soll. Doch konnte
man sich bislang nicht genau vorstellen, wie das aussehen soll.
Das kann man allerdings auch weiterhin nicht. Denn der Lissabon-Vertrag bleibt in seinen
Formulierungen sehr vage: »Unionsbürgerinnen und Unionsbürger, deren Anzahl mindesten eine
Million beträgt und bei denen es sich um Staatsangehörige einer erheblichen Anzahl von
Mitgliedsstaaten handeln muss, können die Initiative ergreifen und die Europäische Kommission
auffordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen
es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge
umzusetzen.« Soweit Artikel 11, Paragraf 4 des Lissabon-Vertrags. Viel zu schwammig, um daraus
schon ein funktionierendes Instrument zu machen. Was heißt zum Beispiel »erhebliche Anzahl von
Mitgliedsstaaten«? Wie viele müssen das sein? Wer ist mit »Unionsbürgerinnen und
Unionsbürgern« gemeint? Alle Bürger oder nur Bürger ab einem bestimmten Alter? Offene Fragen,
die Wallström und ihr Beamtenteam beantworten wollen.
Dabei möchten sie jedoch genau diejenigen befragen, die künftig von der Bürgerinitiative Gebrauch
machen sollen: die Menschen in der EU nämlich. Deshalb präsentierte die Schwedin jetzt in Brüssel
ein sogenanntes Grünbuch. Also noch keine konkreten Pläne, wie eine Bürgerinitiative ablaufen soll,
sondern erste Ideen, zu denen die EU-Bürger bis Ende Januar 2010 ihre Meinung abgeben können.
Zehn Fragen formuliert die EU-Kommission. Zunächst diskutiert sie eine Problematik – zum Beispiel
die Anzahl der Mitgliedsstaaten, aus denen die Unterzeichner einer Bürgerinitiative kommen müssen
– um dann eine konkrete Frage zu stellen, zu der sich jeder EU-Bürger äußern darf. Aus den
Ergebnissen will die EU-Kommission dann einen konkreten Gesetzesvorschlag erarbeiten, der Ende
2010 als Verordnung, also als direkt in allen EU-Staaten geltendes Recht, vom EU-Parlament und
Rat verabschiedet werden soll.
Als einen »sehr positiven« und »echten Schritt nach vorn« bezeichnete Wallström die neue
Möglichkeit der Bürger, selbst aktiv in das politische EU-Geschehen mit eingreifen zu können. Nicht
uneingeschränkt positiv sind dagegen die Kommentare einiger EU-Abgeordneter, die sich zu dem
Grünbuch äußerten. In einer rechtlichen Grauzone sieht der CSU-EU-Parlamentarier Markus Ferber
die Bürgerinitiative. Er warnt davor, dass Bürger aus einem EU-Land in mehreren Mitgliedsstaaten
ein Anliegen mit ihrer Unterschrift unterstützen könnten, ohne dass dies kontrollierbar sei. Auch
befürchtet Ferber, dass über das neue Instrument nationale Interessen ohne berechtigte Grundlage
auf EU-Ebene gebracht werden könnten. Was sich nach Fundamentalkritik an der Bürgerinitiative an
sich anhört. Denn die angesprochenen Punkte sind genau solche, die das Grünbuch diskutieren will,
um Missbrauch zu verhindern.
Nur lobend äußern sich dagegen die Liberalen. »Das Grünbuch stellt genau die richtigen Fragen«,
sagte der Brite Andrew Duff im Namen seiner politischen Gruppierung. Die Liberalen würden alles
daran setzen, damit dieses Instrument der Bürgerbeteiligung tatsächlich im Dezember 2010
verwirklicht sein kann. Für die Grünen begrüßte der bayerische EU-Abgeordnete Gerald Häfner die
Wallström-Pläne. Er sieht in dem Grünbuch eine »ernsthafte und glaubwürdige Einladung zum
Dialog«, wie er in einer Pressemitteilung schreibt. Bedauernd weist er allerdings darauf hin, dass die
EU-Kommission nicht dazu verpflichtet ist, eine künftige Bürgerinitiative auch tatsächlich
aufzugreifen und sie zum Anlass für einen Gesetzesvorschlag zu nehmen.
* Aus: Neues Deutschland, 20. November 2009
Siehe hierzu auch den Beitrag:
"Ein ganz besonderer Tag"
Volksbegehren könnten künftig zur europäischen Politik gehören. Noch aber gibt es mehr Fragen als Antworten. Auch in Brüssel.
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