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Umstrittene EU-Battlegroups – Vom nie eingesetzten Kampfverband zu einer Ausbildungseinheit?

Ein Beitrag von Janine Albrecht in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Andreas Flocken (Moderator):
In der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, dass die Europäische Union für Krisenfälle seit Jahren einen multinationalen Kampfverband in Bereitschaft hält. Diese sogenannten EU-Battlegroups haben eine Stärke von bis zu 2.000 Soldaten. Sie sollen in der Lage sein, innerhalb weniger Tage in einen bis zu 6.000 Kilometer entfernten Konflikt einzugreifen. Doch bisher ist dieser Gefechtsverband nie eingesetzt worden – auch nicht im Mali-Konflikt. Die Stimmen werden daher lauter, die am Sinn der Battle Groups zweifeln. Janine Albrecht zu den Perspektiven der EU-Truppe:


Manuskript Janine Albrecht

Tausende Flüchtlinge haben sich vor einem Bürgerkrieg in das Land gerettet, extremistische Gruppen gewinnen immer mehr Einfluss, organisierte Kriminalität und Korruption machen dem Land zu schaffen - in der Republik „Fontinalis“ kriselt es. Fontinalis liegt 5.000 Kilometer von Brüssel entfernt und ist das fiktive Einsatzgebiet der EU-Battlegroups. Mit dieser Militärübung wurde im vergangenen Jahr im hessischen Wildflecken getestet, ob die bis zu 2.000 Mann starke europäische Eingreiftruppe einsatzbereit ist.

O-Ton Roßmanith:
„Es waren nicht alle in Wildflecken. Wir benötigen für diese Überprüfung nicht jeden einzelnen Soldaten, aber es war dennoch ein größeres Paket vorhanden. Hier geht um die Führung, das Einüben der Verfahren der Führung der zwischen den Headquarters, zwischen der Führung der Battlegroup runter bis auf die Einheitsebene und das wurde alles intensiv gut zwei Wochen in Wildflecken im letzten Jahr geübt.“

Das in Ulm stationierte Kommando von Generalleutnant Richard Roßmanith hat sich bereits sieben Mal an den Battlegroups beteiligt. Ein Verband, der für das schnelle Eingreifen in Krisen geschaffen wurde. Pro Halbjahr stellen dafür mehrere Nationen je zwei Kampfgruppen bereit. Das bedarf einiger Vorbereitung, wie der Befehlshaber des „Multinationalen Kommando Operative Führung" aus Erfahrung weiß. Insgesamt dauere es etwa 20 Monate bis die Truppe schließlich einsatzbereit sei. Doch bisher blieb es für die Soldaten bei der Bereitschaft. Seit ihrer Aufstellung 2007 wurden die Battlegroups nicht ein einziges Mal eingesetzt. Dabei gab es dazu genug Krisen und Gelegenheiten. Doch bisher hat es den EU-Mitgliedsstaaten am politischen Willen gefehlt, wie Christian Mölling von der Stiftung Wissenschaft und Politik erläutert:

O-Ton Mölling:
„Sicherheits- und Verteidigungspolitik ist auf Europäischer Ebene ein Freiwilligenverein. Da ist niemand verpflichtet, da legen die Staaten auch Wert drauf. Niemand ist bereit, sich über ein für ihn gefühlt erträgliches Maß hinaus zu ‚committen‘, irgendetwas zur Verfügung zu stellen oder einen Automatismus zuzulassen, der es der EU ermöglichen würde, tatsächlich standhaft und auch sichtbar in Krisen agieren zu können.“

Dabei war genau das das Ziel, als 2003 die EU-Staaten die Gründung der Battlegroups beschlossen hatten. Doch die unterschiedlichen Interessen haben bisher den Einsatz dieser Truppe verhindert. Das wurde zuletzt im vergangenen Jahr beim Konflikt in Mali deutlich: Da sich Deutschland strikt gegen einen eventuellen Einsatz aussprach, forderte Frankreich die EU-Battlegroups erst gar nicht an. Die Krise in dem westafrikanischen Land habe zudem gezeigt, wie Deutschland sein Engagement in Konflikten derzeit verstehe, wie Christian Mölling sagt:

O-Ton Mölling:
„Die Formel, die bei allen ziemlich gut durchgeht, ist: wir machen ziviles Krisenmanagement, wir machen Training für andere Soldaten, und damit die auch ordentlich schießen können, kriegen sie deutsche Waffen. Das sind die drei Möglichkeiten, die wir haben.“

Für Hans-Georg Ehrhart vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hat der Mali-Konflikt zudem ein anderes Problem der Battle groups deutlich gemacht: Die Truppe hätte dort gar nicht so schnell eingesetzt werden können.

O-Ton Ehrhart:
„Theoretisch müssen die Battlegroups innerhalb weniger Tage einsatzbereit sein und entsendet werden können. Das Problem ist eher der politische Entscheidungsprozess vorneweg. Der gestaltet sich manchmal länger, als es die Krise erlaubt.“

Denn auch wenn man sich auf EU-Ebene auf einen Einsatz geeinigt hat, muss noch jedes einzelne der 28 Mitgliedsstaaten dieser Mission binnen fünf Tagen zustimmen. In vielen Ländern muss dazu auch das Parlament sein Ok geben. In Deutschland etwa gilt beim bewaffneten Einsatz von Streitkräften der Parlamentsvorbehalt. Neben diesen Gründen dürften auch die Kosten die Zurückhaltung erklären. Denn den größten Teil eines Einsatzes müssen die Staaten bezahlen, die gerade die Battlegroups stellen. Kein Wunder, dass angesichts fehlender Einsätze der Nutzen dieser Eingreiftruppe immer wieder bezweifelt wird. Das deutsche Verteidigungsministerium hat daher einen Vorschlag gemacht, der den Battlegroups mit neuen Aufgaben neuen Aufschwung bringen soll.

O-Ton Tettweiler:
„Wir hatten vorgeschlagen, zu der einen Battlegroup, wie wir sie bisher haben, eine zweite auszuplanen, die spezialisiert ist auf Trainingsmissionen. Weil sich die Missionstypen der gegenwärtigen Battlegroups - also das wären zum Beispiel Trennen von Konfliktparteien mit Waffengewalt oder Einsatz für militärische Evakuierungsoperationen - sehr sehr stark unterscheiden von dem, was wir vorgeschlagen haben.“

Berichtet Oberstleutnant Falk Tettweiler aus der Abteilung Politik des Verteidigungsministeriums. Doch gleich nach Bekanntwerden des Non-Papers im April hagelte es Kritik. Deutschland wolle sich aus der EU-Verteidigungspolitik zurückziehen. So ist dieser Vorschlag für Verteidigungsexperten Mölling ein weiterer Schritt auf einem Weg, der Europa immer weniger handlungsfähig macht.

O-Ton Mölling:
„Es gibt bisher keinen Fall in der militärischen Geschichte, in der man am Freitagnachmittag entschieden hat, am Montagmorgen in einen Notfalltrainingseinsatz zu gehen. Also das hat nichts mehr mit Krisenreaktion oder Prävention zu tun.“

Anders als Mölling begrüßt der Konfliktforscher Ehrhart, die EU-Battle Groups für neue Aufgaben zu öffnen:

O-Ton Ehrhart:
„Grundsätzlich finde ich den Gedanken nicht schlecht, die Battlegroups auch im Bereich der Ausbildung einzusetzen, in bestimmten Krisenländern, was ja auch schon gemacht wird, z.B. in Mali, wo die malische Armee ausgebildet wird, wo bestimmte Kontingente ausgebildet werden, was den militärischen Teil angeht, bis hin zum Mentoring, das wir in Afghanistan kennen.“

Auch im politischen Berlin trifft der Vorschlag von Verteidigungsminister de Maiziere überwiegend auf Zustimmung. Nicht nur bei der Unionsfraktion. Die Grünen begrüßen den Vorschlag der Bundesregierung ebenfalls. Ihr Verteidigungsexperte Omid Nouripour sieht in dieser Initiative keineswegs eine Schwächung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Im Gegenteil. Vielmehr bekämen die Battlegroups dadurch weitere Einsatzmöglichkeiten:

O-Ton Nouripour:
„Deshalb ist die Idee von de Maiziere - nirgendwo in meiner Jobbeschreibung steht, dass ich ihn loben soll - die Idee an sich, dass er sagt, wir fangen erstmal mit der Ausbildung an, ist nicht falsch. Damit realisieren die Mitgliedsstaaten, dass es da etwas gibt, womit man arbeiten kann. Ausbildung sollte nicht die einzige und alleinige Aufgabe sein, aber sie ist eine niedrigschwellige, mit der man diese Routine einläuten kann.“

Die SPD hingegen fordert, die EU-Battlegroups schlicht abzuschaffen. Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, hält den Wandel zur Ausbildungs-Truppe für den falschen Schritt. Ausbildung könne immer erst dann stattfinden, wenn bereits ein gesichertes, stabiles Umfeld geschaffen wurde. Arnold schlägt etwas anderes vor:

O-Ton Arnold:
„Stehende Fähigkeiten gemeinsam in Europa, und die werden dann von Fall zu Fall sicherlich abzurunden sein und ergänzt durch nationale Fähigkeiten. An dieser Idee gefällt mir zusätzlich, dass man darüber so etwas wie einen kleinen Nukleus an europäischer Sicherheitspolitik und Streitkräfte schaffen könnte. Ein erster Anfang wirklich multinationale Fähigkeiten in Europa so zu haben, dass sie einsatzfähig sind.“

Einsatzfähige europäische Streitkräfte wurden von der EU bereits vor 20 Jahren angestrebt. Damals wurde im Vertrag von Maastricht 1993 das Ziel einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik formuliert. Denn die Kriege im ehemaligen Jugoslawien Anfang der 90er Jahre hatten den Europäern schmerzhaft vor Augen geführt, dass sie militärisch handlungsunfähig sind, auf die Nato und vor allem auf die USA angewiesen waren. Mit dem Vertrag von Amsterdam kam daher sechs Jahre später auch die gemeinsame Verteidigungspolitik hinzu.

Im Juni 1999 wurde schließlich in Köln die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geboren. Noch im Dezember desselben Jahres bekräftigten die EU-Staatschefs auf ihrem Gipfeltreffen in Helsinki ihren Entschluss zur ESVP. In der Abschlusserklärung heißt es, die Union solle in die Lage versetzt werden, eigenständige Militäroperationen durchzuführen. Dazu hat die Europäische Union mittlerweile einige Instrumente geschaffen, eines davon sind die Battlegroups. Sollten die europäischen Verteidigungsminister dem nun auf EU-Ebene weiterentwickelten deutschen Ausbildungsvorschlag zustimmen, muss sich aber noch zeigen, ob dieses Instrument dann wirklich zum Einsatz kommt.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 16. November 2013; www.ndr.de/info


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