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EU-Staaten stellen die entscheidenden Weichen auf dem Weg zur Militärunion

Battle-Groups und EU-Einsatztruppen - Deutschland kräftig dabei - Das neutrale Österreich mischt mit

Die Homepage des Verteidigungsministeriums verkündete am 23. November 2004 in aller Kürze:

Berlin, 22.11.2004 - Zukünftig sollen die Staaten der Europäischen Union auch militärisch schneller und flexibler bei internationalen Krisen reagieren können. Am Montag, 22. November, einigten sich die Verteidigungsminister der Union in Brüssel auf die Schaffung von 13 so genannten Battle Groups.

Diese Einsatzgruppen ("Battle Groups") haben die Größenordnung von 1.500 Soldaten, die innerhalb einer Reaktionszeit von 15 Tagen unter anderem für Einsätze der Vereinten Nationen zur Verfügung stehen sollen.

Deutschland wird sich an der Umsetzung des Konzeptes aktiv beteiligen. Bereits in der Übergangsphase 2005 und 2006 wird die Bundeswehr Ressourcen für die Battle Groups zur Verfügung stellen. Ab 2007 wird das Konzept so weit vorangeschritten sein, dass eine Kooperation mit europäischen Partner vollzogen werden kann.

Deutschland wird sich an vier Battle Groups beteiligen:
  • Gemeinsam mit den Niederlanden, unter Beteiligung von Finnland.
  • Im Rahmen der Deutsch-Französischen Brigade als Kern einer weiteren gemeinsamen Battlegroup. Belgien, Luxemburg und Spanien sollen sich daran beteiligen.
  • Unter polnischer Führung gemeinsam mit lettischer, litauischer und slowakischer Beteiligung.
  • Zusammen mit Österreich und Tschechien.
Quelle: Homepage des Verteidigungsministeriums (www.bmvg.de)



Und hier geht es zu dem verabschiedeten Dokument:

DECLARATION ON EUROPEAN MILITARY CAPABILITIES




Die Deutsche Welle (Autor: Rafael Heiling) informierte umfassender über das Militarisierungsprojekt (Auszüge):

(...)
Auf ein ehrgeiziges Projekt haben sich die Außen- und Verteidigungsminister der 25 EU-Staaten schon geeinigt: Am Montag (22.11.2004) gaben sie in Brüssel ihren Segen für die so genannten "Battle Groups" - kleine Soldaten-Verbände mit maximal 1500 Mann.

"Das sind spezielle Truppen, die schnell abrufbereit und schnell verlegbar sind", erklärt Matthias Dembinski von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. "Sie sollen den Einsatz größerer Truppen vorbereiten. Und das vor allem unter schwierigen Bedingungen, in unwegsamem Gelände oder bei unsicherer Lage, wie Widerständen im Land."

Wenn die EU einen Einsatz beschlossen hat, sollen die Klein-Kampfgruppen spätestens 15 Tage später in der Kriegsregion landen und bis zu vier Monate lang bleiben. Und das nicht nur auf EU-Gebiet, sondern in einem Radius von 6000 Kilometern. Schon 2005 will die EU die erste Gruppe einsetzen können.

13 "Battle Groups" sind geplant - Italien, Frankreich, Spanien und Großbritannien bilden zum Beispiel jeweils eine; Deutschland beteiligt sich an drei multinationalen Gruppen: mit den Niederlanden und Finnland (2007), mit Frankreich, Belgien, Luxemburg und Spanien (2008) sowie mit Polen, der Slowakei, Lettland und Litauen (2009 oder 2010). Schweden, Finnland und Norwegen (letzteres in der NATO, aber nicht in der EU) wollen eine eigene Gruppe aufmachen.

Doch die "Battle Groups" sollen nicht das einzige militärische Instrument der Europäischen Union bleiben. "Die EU soll bis zu 60.000 Soldaten bereitstellen können", sagt Dembinski. Das sei 1999 in Helsinki beschlossen worden. "Die sind aber eher eine robuste Truppe für Peacekeeping-Einsätze", erklärt Marco Overhaus vom Lehrstuhl für Außenpolitik an der Universität Trier. "Robust" heißt: eine bewaffnete Truppe. Und Overhaus betont: "Sie sind nicht als Konkurrenz zur NATO gedacht."

Allerdings: "Es hapert noch bei der Ausrüstung", sagt Dembinski, "insbesondere bei Langstrecken-Transportflugzeugen, bei Kommunikationseinrichtungen, luftgestützten Nachrichtensystemen und mobilen Kommandozentralen." Als Flugzeug solle der Airbus A400 M die Lücke schließen, erklärt der Experte. Außerdem fehle es den EU-Truppen an Präzisionswaffen, ergänzt Overhaus.

Bei der Einkaufstour für das Material soll die neue Europäische Rüstungsagentur helfen, in der die EU-Staaten gemeinsam als Käufer auftreten - also mit mehr Durchsetzungskraft. (...)
(...)
Auch, wenn es die einheitliche europäische Armee noch nicht gebe: Nach Dembinskis Worten steht die Europäische Union militärisch schon jetzt nicht mit leeren Händen da. EU-geführte Truppen hätten bereits (abgesehen von Einsätzen in Afrika, zum Beispiel im Kongo) eine Polizei-Mission in Bosnien-Herzegowina von der UNO übernommen sowie eine NATO-Mission in Mazedonien. "Und sie werden auch die NATO-Mission in Bosnien-Herzegowina übernehmen", sagt Dembinski. Also sei das Ziel realistisch, die EU-Truppen bis 2010 komplett zu machen. "Das Ding ist sozusagen einsatzfähig. Auch wenn jetzt noch was fehlt."

Deutsche Welle, 23. November 2004

"Wien plant Beteiligung an EU-Einsatztruppen - Keine Probleme mit der Neutralität", schrieb die Neue Zürcher Zeitung über die Beteiligung Österreichs an den europäischen battle groups.

Die neue österreichische Aussenministerin, Ursula Plassnik, hat sich gegenüber Medienvertretern positiv über eine Beteiligung Österreichs an den geplanten Schnelleinsatztruppen der Europäischen Union geäussert. Es sei wichtig, sagte die Aussenministerin, dass sich Österreich aktiv an der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik beteilige. Das Konzept der rasch verfügbaren Einsatzkräfte sei Teil dieser Politik. In diesem Zusammenhang angesprochen auf die kürzlich von der regierenden Österreichischen Volkspartei - zumindest verbal - wieder aufgewertete Neutralität, sagte Plassnik, dass es «weder Bedarf noch Anlass» gebe, den «bewährten österreichischen Weg zu ändern». Für die Aussenministerin besteht demnach kein Widerspruch zwischen Neutralität und Beteiligung an einer EU-Eingreiftruppe.

Rückendeckung erhielt die Aussenministerin von österreichischen Verfassungs- und Völkerrechtlern. Grundsätzlich sehen diese keinen Widerspruch zwischen der österreichischen Neutralität und der Beteiligung an EU-Einsatztruppen. Mit dem EU-Beitritt habe sich Österreich zu einem solidarischen Mitwirken an der EU-Sicherheitspolitik verpflichtet. Es wird auf Artikel 23 f. der österreichischen Bundesverfassung hingewiesen, der grundsätzlich die Beteiligung Österreichs an internationalen Einsätzen der EU gutheisst. Doch, so wird unterstrichen, müsse Österreich im Einzelfall prüfen, ob der jeweilige Einsatz mit der Neutralität vereinbar sei.

Umstritten ist unter den Experten, ob zusätzlich ein Uno-Mandat notwendig sei. Grundsätzlich seien aus der österreichischen Neutralität drei Gebote abzuleiten: keine Stationierung ausländischer Truppen auf österreichischem Gebiet, kein Beitritt zu einem Militärbündnis und keine Beteiligung an einem Krieg. Eine Intervention mit Uno-Mandat, so die Argumentation einzelner Experten, sei nicht als Krieg im Sinne der traditionellen Definition zu betrachten.

Verteidigungsminister Platter äusserte sich zu den technischen Aspekten einer Beteiligung Österreichs an EU-Einsatztruppen. Neuerdings nennt der Minister das Jahr 2007 als Stichjahr für eine vollumfängliche Teilnahme; zuvor war noch die Rede von 2009 als frühestem Zeitpunkt. Die Vorbereitungen seien bereits angelaufen, sagte Platter. Österreich plane die Entsendung von 200 Mann aus einem Infanterie-Element, einer ABC-Abwehr-Einheit und von Pionieren. Vorgesehen sei die Beteiligung an einem Truppenverband mit Deutschland und Tschechien.

Neue Zürcher Zeitung, 23. November 2004

Kommentare

Die hiesigen Medien waren knauserig mit Kommentaren zu den Ergebnissen der EU-Konferenz. Die Militarisierung der EU wird ja auch kaum als Problem gesehen, viel eher als notwendige Maßnahme, um endlich in der Weltpolitik als global player mitspielen zu können. Und Politik bedürfe eben der "Drohung mit dem Militär". So sieht es etwa Martin Winter, der für die Frankfurter Rundschau kommentiert:

Wer sich Europa und seine vielfältigen eigenen Probleme von der Bildungsmisere bis zur Arbeitslosigkeit anschaut, der mag sich zweifelnd fragen, ob die EU nun auch noch Kampfeinheiten für den Einsatz in fernen Ländern braucht. Die Antwort ist vergleichsweise einfach: Ja.

Nicht weil die Europäer ihre Freiheit am Hindukusch verteidigen müssten, wie der deutsche Wehrminister einmal jenseits der Weltrealität und ihrer strategischen Bedingungen verkündete. Sondern weil die Welt gefährlich geworden ist, weil immer mehr Feuer vor der europäischen Tür glimmen und weil die alte Formel nicht mehr stimmt, dass es die USA schon in unserem Sinne richten werden. Und weil wir alle diese Bilder von marodierenden Banden, mordenden Kindersoldaten und Reitermilizen nicht ertragen können, die ganze Landstriche in Massengräber verwandeln. Wer nach einem Ende der Gewalt in Bunia oder in Darfur ruft, der muss auch bereit sein, der Gewalt ein Ende zu setzen. Die militärische Option ist dafür selten die einzige und nicht immer die beste. Aber manchmal die einzige, um wieder Platz zu schaffen für Politik. Und um tendenziell gewalttätige Regime einzudämmen.

Die EU ist ein Koloss gemessen an der Zahl ihrer Menschen, an ihrem zivilisatorischen und technischen Stand und an ihrer Wirtschaftskraft. Wer so groß ist, der muss in der Welt eine Rolle spielen. In dieser Welt geht das in Krisenregionen aber nur, wenn hinter diplomatischen Forderungen und politischem Druck im Fall des Falles die Drohung mit dem Militär steht. Im Balkankrieg nannte man das in den USA "robuste Diplomatie".

So weit wird der Eindruck noch nicht reichen, den die nun beschlossenen battle groups der EU machen können. Dafür sind sie zu wenige und ihrem Einsatz müssen immer alle 25 Mitgliedstaaten zustimmen. Und doch sind sie mehr als nur das Signal, dass die Europäer nicht nur reden. Kombiniert mit langfristigen Militäreinsätzen und mit den zunehmend ausgebauten Instrumenten zur zivilen Krisenbewältigung schält sich das Bild einer EU heraus, die Verantwortung für sich selbst übernimmt. Gemessen an der Dimension, um die es geht, sind die Einsätze gering. Wenn selbst die am Mangel an Geld zugrunde gehen, wird das in Zukunft viel mehr kosten, als man gegenwärtig sparen kann.

Frankfurter Rundschau, 23. November 2004

Jürgen Elsässer sieht das gewohnt anders und entwirft angesichts der gegenwärtigen Krise in der Ukraine ein utopisch anmutendes Szenario:

Der Kalte Krieg ist vorbei, denkt man. Rußland ist jetzt Partner der NATO, der EU, jedenfalls Deutschlands, denkt man. Der neue Feind heißt islamischer Terrorismus, denkt man. Der blutrünstige Osama hat den blutrünstigen Iwan ersetzt, denkt man.

Daß man das bei der NATO nicht ganz so sieht, hat Ende vorigen Jahres die neue Eliteeinheit des Bündnisses klargemacht, die im Herbst 2003 feierlich in Dienst gestellte Schnelle Eingreiftruppe (NRF). Bei ihrem ersten Manöver Ende Oktober 2003 waren mehr als 7000 Soldaten sowie 1750 Panzer und andere Fahrzeuge sowie 48 Hubschrauber beteiligt. Geübt wurde in Polen, auf dem Truppenübungsplatz Drawsko südöstlich von Sczeczin. Die FAZ (29.10.2003) berichtete damals über den Ablauf: »Nach dem Manöverplanspiel liegt Drawsko in einem fiktiven Staat namens Pommeria. Der Konflikt findet im südlichen Nachbarland Urania statt, das 1920 von dem weiter östlich gelegenen Lopena unabhängig wurde. Lopena hat ein undemokratisches Herrschaftssystem und befindet sich in einer tiefen wirtschaftlichen Krise. Es beginnt, Urania unter Druck zu setzen, und benutzt dazu die dort lebende lopenische Minderheit. Die uranische Regierung ruft die internationale Gemeinschaft um Hilfe.«

An Stelle der »internationalen Gemeinschaft« kommt wie selbstverständlich die NATO: Die NRF wird in Marsch gesetzt, um den lopenischen Stützpunkt Puma auszuschalten, weil dort – raten Sie mal – Massenvernichtungswaffen gelagert sind. Da Puma »weit hinter den feindlichen Linien« liegt, kann die NATO ihre Luftlandeeinheiten nicht vom pommerschen Drawsko aus starten lassen, sondern muß als logistisches Sprungbrett zunächst den Flughafen Babimost erobern. »Dort stehen sich zwei vom deutsch-niederländischen Korps geführte Divisionen und die Streitkräfte Lopenas gegenüber.«

Man reibt sich die Augen: NATO-Einheiten üben den Showdown mit russischen Verbänden – und das mehr als zehn Jahre nach der Auflösung des Warschauer Paktes und trotz des wortreichen Einvernehmens zwischen Washington und Moskau beim sogenannten Kampf gegen den Terror. Noch verblüffender: Trotz aller Herzlichkeiten zwischen Bundeskanzler Schröder und Präsident Putin ist die Bundeswehr am Aufbau dieser Drohkulisse nicht nur beteiligt, sondern hat sogar eine Leitfunktion inne. Kein Wunder: Das deutsch-niederländische Korps, das die Heimat – im simulierten Ernstfall – vor Babimost und zuvor – im vollen Struckschen Ernst – am Hindukusch verteidigt hatte, soll in der ersten Hälfte des Jahres 2005 die Führung der NRF übernehmen. Berlin und Den Haag wollen dafür jeweils 5000 Elitesoldaten abstellen. Innerhalb von fünf Tagen sollen sie an jedem Ort der Welt zuschlagen können. Zieht sich der Konflikt länger hin, könnte die gesamte NRF (21000 Mann, mit Rotations-Reserve 140000 Mann) zum Einsatz kommen.

junge Welt, 23. November 2004

In dieselbe Kerbe haut Olaf Standke in der linken Tageszeitung "Neues Deutschland" und wirft der Bundesregierung "Musterschüler"-Verhalten vor:

»Battle Groups« heißt das Zauberwort der EU-Militärs. Dahinter verbergen sich kleine hochmobile, schlagkräftige Kampftruppen, die schon ab 2005 innerhalb von zwei Wochen für weltweite »Kriseneinsätze« Gewehr bei Fuß stehen. 13 solcher multilateralen Verbände sollen es bis 2007 sein. Und Berlin präsentiert sich bei der Militarisierung der EU als Musterschüler; kein anderes Mitgliedsland will so viele Interventionskräfte stellen.
Vor fünf Jahren wurde dieser Brüsseler Panzerzug vom Gipfel in Helsinki auf die Schienen gebracht, gestern stellten die EU-Staaten die entscheidenden Weichen auf dem Weg zur Militärunion. Das vor vier Jahren verkündete Ziel, die Europäische Union mit der so genannten Lissabonner Strategie bis 2010 zur wirtschaftsstärksten Region der Welt zu machen, wird dagegen meilenweit verfehlt, wie die Staats- und Regierungschefs gerade eingestehen mussten. Dafür kann die EU schon bald tausende Kilometer von ihren Grenzen entfernt militärisch »eingreifen«. Wichtiges Einsatzgebiet soll der rohstoffreiche afrikanische Kontinent werden.
Mit Territorialverteidigung hat das alles nichts mehr zu tun. Da hilft es auch nicht, wenn in der EU-Verfassung die ursprünglich verankerte »Rüstungs«- inzwischen zur »Verteidigungsagentur« umbenannt wurde. Ihr sprach man jetzt 20 Millionen Euro für den ersten Etat zu. Auch die klamme Bundesregierung muss massiv in qualitative Aufrüstung investieren. Vom zügigen Aufbau eines EU-Friedenskorps war gestern in Brüssel nichts zu hören.

Neues Deutschland, 23. November 2004

Aus einer ganz anderen Richtung weht der Zeitungswind in Großbritannien. Auch der "Daily Telegraph" aus London kritisiert den Aufbau der europäischen Militärkapazitäten, aber aus einem ganz anderen und jedenfalls nicht pazifistischen Grund:

Was sich nun entwickelt, unterscheidet sich grundlegend von der bisherigen Zusammenarbeit. Wir erleben den Aufbau einer eigenständigen EU-Militärkapazität, die unabhängig von der Nato und den einzelnen Mitgliedsstaaten ist. Für Tony Blair bietet dies Gelegenheit, seine europäische Gesinnung unter Beweis zu stellen, obwohl sein Land nicht der Eurozone angehört. Doch für den Rest von uns bedeutet es, dass unsere wahren strategischen Interessen - besonders unsere Allianzen mit anderen freien, englischsprachigen Nationen - zugunsten eines europäischen Dogmas beiseite geschoben werden.

Zit. nach taz, 23. November 2004


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