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Ohne Linie und gemeinsame Strategie? Europäische Außen- und Sicherheitspolitik und der Libyenkrieg

Ein Beitrag von Christoph Prössl in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderation):
Sie sollte die außenpolitische Stimme der Europäischen Union sein – die britische Politikerin Catherine Ashton. Seit eineinhalb Jahren ist sie jetzt im Amt als sogenannte Hohe Vertreterin der EU-Außenpolitik. Im Falle einer Krise sollte sie die erste Ansprechpartnerin außer-europäischer Staats-Männer und –Frauen sein. Doch bislang blieb Catherine Ashton in ihrem neuen Amt merkwürdig blass. Ihre Stimme wurde oft von anderen Europäern übertönt. Das war vor allem während der Libyen-Krise nicht zu überhören. Christoph Prössl zu den Hintergründen:


Manuskript Christoph Prössl

Es war ihr letzter großer Auftritt vor der Sommerpause im Europaparlament. Catherine Ashton berichtete den Abgeordneten über ihre Politik vor allem in Nordafrika:

O-Ton Ashton
„Thank you very much Mr. President, honourable members, the last time I spoke in this parliament in early may I said, statements could and should be made but the priority was action.”

Politiker sollten Vorhaben ankündigen aber das wichtigste sei es, zu handeln. Die Europäische Union habe nun ein Kontaktbüro im libyschen Bengasi eingerichtet, fährt Catherine Ashton fort. So begann Ashton ihre Rede. Eine Rechtfertigung. Die Britin muss sich derzeit mit Vorwürfen auseinander setzen, sie sei zu zögerlich und versage im Amt. Immer wieder begleiten Rücktrittsgerüchte diese Kritik. Zu spät, zu zögerlich, das kann in einigen Punkten auch die grüne Europaabgeordnete Franziska Brantner bestätigen:

O-Ton Brantner
„Also sechs Monate nach der ersten erfolgreichen Revolution in Tunesien richtet sie eine Task-Force ein, die jetzt die Mitgliedstaten und die EU-Politik für Nordafrika koordinieren soll. Das finde ich schön, aber sechs Monate zu spät.“

Die Enttäuschung über die Außenbeauftragte der EU ist in Brüssel deswegen so groß, weil sich mit ihrem Amt so viele Hoffnungen verbunden hatten. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich in ihren Verhandlungen zum Lissabonner Vertrag auf einen starken Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik der Union. Ashton sitzt dem Rat der 27 Außenminister vor. Gleichzeitig ist sie in der EU-Kommission für die Außenpolitik zuständig und sie ist Vizepräsidentin der Kommission. Die Mitgliedsstaaten wollten genau diese starke Position schaffen. Zwei Hüte für eine Person. Europa sollte außenpolitisch mit einer Stimme sprechen und endlich der globale Akteur werden, der Europa wirtschaftlich betrachtet längst ist. Doch daraus wurde nichts: In der ersten großen Bewährungsprobe der gemeinsamen Außenpolitik zeigte sich die ganze Zerstrittenheit der Europäischen Union. In der Libyen-Krise preschten Frankreich und Großbritannien vor und setzten die Resolution der Vereinten Nationen für ein Flugverbot über Libyen schnell um. Deutschland stellte sich an den Rand: Enthaltung im UN-Sicherheitsrat, keine militärische Beteiligung. Catherine Ashton muss mit dieser Meinungsvielfalt umgehen. Der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff:

O-Ton Lambsdorff
„Sie ist die Chorleiterin eines Chors in dem 27 Sänger mit unterschiedlichen Notenblättern singen – das gibt keine schöne Musik.“

Dabei ist Lambsdorff Ashton noch wohl gesonnen. Ihr Amt sei keine Aufgabe, die ihr in die Wiege gelegt worden sei, sagt der FDP-Europaabgeordnete. Dazu komme: Ihr Posten verlange fast Übermenschliches: In den vergangenen Monaten musste sie einen Auswärtigen Dienst der EU aufbauen und Außenpolitik machen.

Wahrscheinlich eine Aufgabe zu viel. Der Leiter der Brüsseler Denkfabrik „Friends of Europe“, Giles Merritt, ist der Ansicht, Europa habe jetzt zwar ein Außenministerium, aber immer noch keine Außenpolitik. Als Hauptursache macht er auch die 27 Regierungen aus, die selten zu einer einheitlichen Position zusammen finden. Dabei sei die gemeinsame Außenpolitik für einen politischen Verbund, der rund 500 Millionen Menschen umfasse, wichtig, schreibt Merritt in einem Meinungsbeitrag. Es gehe schließlich um die Verteidigung europäischer Interessen. Doch an diesem Punkt illustriert Merritt bereits wieder das Grundproblem: Wie weit sollte denn die Verteidigung europäischer Interessen gehen? Auch bis hin zu einem Militäreinsatz? Beispielsweise um Handelswege zu sichern? Diese Frage ist in Deutschland so brisant, dass sie bereits zum Rücktritt eines Bundespräsidenten geführt hat. Andere Länder sind da deutlich abgebrühter. Europa ist eben ein Staatenverbund mit sehr unterschiedlichen Traditionen.

Das wurde auch mal wieder deutlich beim Treffen der Außenminister Mitte Juli in Brüssel. Ashton legte während der Zusammenkunft einen Vorschlag auf den Tisch. Darin setzt sie sich für ein EU-Militär-Hauptquartier ein, aus dem heraus Militäreinsätze der EU geführt werden sollen. Bislang benutzt die EU für ihre Einsätze die Kommandozentralen von Mitgliedsländern. Einen ähnlichen Vorschlag lehnten Großbritannien und die USA 2003 schon einmal ab – sie wollten keine Parallelstrukturen zur NATO. Doch die Zeiten haben sich geändert: Die USA wünschen sich wegen leerer Kassen mehr Engagement ihrer Verbündeten. Außerdem haben sie ja keine Stimme im Staatenverbund der EU. Doch beim Treffen Mitte Juli in Brüssel sprach sich der britische Außenminister William Hague gegen ein gemeinsames Hauptquartier aus. Die Briten verfolgen eine national ausgerichtete Verteidigungspolitik und scheuen derzeit zusätzliche Ausgaben. Ein Rückschlag für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und für Ashton.

Ihre schwierige Aufgabe ist, im Chor der unterschiedlichen Stimmen Gemeinsamkeiten zu suchen und Impulse zu setzen. Moderieren alleine reicht nicht. Der FDP-Europaabgeordnete Graf Lambsdorff:

O-Ton Lambsdorff
„Ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wo sie öfter mal die Initiative übernehmen muss und tatsächlich dieses Agenda-Setzen, Strategien entwickeln, dass sie dafür strategische Partner suchen muss. Beim Thema Ukraine wäre das zum Beispiel der polnische Außenminister, bei Marokko wäre es der spanische Außenminister man muss einfach gucken, wo auch die Mitgliedsstaaten besonders engagiert sind. Da muss man einfach schauen, dass sie cluster bildet, Gruppen bildet von Leuten, die an bestimmten Themen besondere Interessen haben, das muss noch besser werden.“

Besser werden muss Vieles. Beispielsweise auch die Personalpolitik von Catherine Ashton, sagt die grüne Europaabgeordnete Franziska Brantner. Ende Juni 2011 setzte Ashton den spanischen Diplomaten Bernardino Leon als Sonderbeauftragten für das Gebiet südlich vom Mittelmeer ein. Franziska Brantner:

O-Ton Brantner
„Was wir für Nordafrika bräuchten ist eine politische Figur also ein ehemaliger Außenminister oder Premierminister, auf jeden Fall jemand, der im politischen Umfeld sehr bekannt ist, der die direkten Durchwahlen hat zu den Herrschenden oder zur Opposition. Frau Ashton hat jetzt in zwei dieser Leitungspositionen Beamte ernannt, die zwar alle sehr gut sind, die kennen die Region gut, aber wenn wir schon einen Posten für einen Sonderbeauftragten schaffen, dann ist es ja genau dessen Aufgabe, diese Sonderaufgaben ausführen zu können, die der Rest der Verwaltung nicht machen kann und dann ist es eben nicht so logisch, da wieder einen Beamten drauf zu setzen.“

Fehlendes Fingerspitzengefühl plus übermenschliche Aufgabe, das ist das Fazit nach knapp 20 Monaten, die Catherine Ashton nun im Amt ist. Und weil ihre Aufgabe so groß ist, und der Widerstand der Staats- und Regierungschefs so gewaltig ist, vertritt in Brüssel kaum jemand den Standpunkt, dass Ashton gescheitert ist und mit ihr eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Vielmehr ist der Aufbau einer Europäischen Außenpolitik mit einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik eine Herkulesaufgabe. Dicke Bretter müssen lange gebohrt werden, ist ein beliebter Satz in Brüssel.

* Aus: NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien", 13. August 2011; www.ndrinfo.de


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