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Neokoloniale Ambitionen

Parlamentarierkonferenz von EU und ehemaligen europäischen Kolonien in Wiesbaden. Ein Schwerpunkt sollen bilaterale Freihandelsabkommen sein

Von Ann Friday *

In dieser Woche treffen sich in Wiesbaden Abgeordnete aus der EU und ehemaligen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (AKP). Auf der Tagesordnung der am Montag eröffneten Veranstaltung stehen neben der Situation in Simbabwe und der sudanesischen Provinz Darfur auch die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und den einzelnen AKP-Staaten. Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und soziale Bewegungen nehmen dies zum Anlaß, um gegen diese Abkommen (engl.: Economic Partnership Agreements, EPAs) zu protestieren. Solche Vereinbarungen sollen bis Ende 2007 zwischen der EU und 76 AKP-Staaten abgeschlossen werden.

EPAs sind Teil der Abmachungen, die zwischen EU und ehemaligen europäischen Kolonien im Rahmen des sogenannten Cotonou-Abkommens (benannt nach dem Unterzeichnungsort vom Juni 2000, der Hauptstadt von Benin) getroffen wurden. Bereits seit Bildung der EU als EWG existieren ähnlich geartete Vereinbarungen, die einerseits den früheren Kolonien privilegierten Zugang zum EU-Markt gewähren, andererseits den politischen und ökonomischen Einfluß Europas auf jene Staaten sichern sollten. Dem dienten sowohl die Abkommen von Yaounde (Hauptstadt Kameruns) von 1963 als auch Lomé I bis IV, deren erstes 1975 in der Hauptstadt Togos unterzeichnet worden war.

Im Rahmen der Lomé-Vereinbarungen wurde festgeschrieben, daß die AKP-Staaten nicht im gleichen (reziproken) Maße ihre Märkte für die EU öffnen mußten – im Gegenzug schotteten und schotten die EU-Staaten bis heute ihre Binnenmärkte gegen zahlreiche Agrarprodukte ab. Der erste Teil soll nun korrigiert werden. Als Begründung dafür dienen Bestimmungen der 1995 gebildeten Welthandelsorganisation WTO.

Unter falscher Flagge

Auf dem Papier dienen die EPAs der Armutsbekämpfung, fördern angeblich eine nachhaltige Entwicklung und schrittweise Integration der AKP-Staaten in die Weltwirtschaft – als reine Absatzmärkte, kritisieren viele Entwicklungsorganisationen. Die EU verlangt jetzt einen zollfreien Zugang zu über 90 Prozent der Märkte der früheren Kolonien im Gegenzug für den weiteren Zugang zu europäischen Märkten. Dies hätte aufgrund der Wirtschaftsmacht der EU-Konzerne katastrophale Auswirkungen. Industriebetriebe in Afrika, der Karibik und dem Pazifikraum könnten nicht konkurrieren. Gegen die Preise importierter, hochsubventionierter EU-Nahrungsmittel hätten Bauern in den AKP-Staaten keine Chance. Bereits bestehende neokoloniale Strukturen würden verschärft.

Ein Beispiel unter vielen aus Ghana: Billige importierte Tiefkühlhähnchen aus der EU haben dort die lokalen Märkte völlig zerstört. Mit Partnerschaft haben die Abkommen zwischen ungleichen Partnern nichts zu tun, die Dominanz der europäischen Konzerne würde verstärkt. Die EU versucht in den EPA-Verhandlungen zugleich Liberalisierungen durchzusetzen, die von den Ländern des Südens in sogenannten Welthandelsrunden bereits abgelehnt wurden. Nach dem Scheitern der WTO-Ministerkonferenz 2003 im mexikanischen Cancun sollten neue, WTO-konforme Handelsregeln in den Bereichen Investitionen, Wettbewerb, Handelserleichterungen, öffentliches Beschaffungswesen und im Dienstleistungssektor (einschließlich Trinkwasserversorgung) festgeschrieben werden.

Von EU abhängig

In der Vergangenheit waren die Kolonien einseitig auf die Bedürfnisse der Kolonialmächte ausgerichtet worden, beispielsweise den Export einiger weniger landwirtschaftlicher Produkte. Dieses Erbe macht es den jungen Staaten bis heute äußerst schwer, eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu setzen. Neokoloniale Praktiken, auch im Rahmen solcher Abkommen wie den Lomé-Vereinbarungen, taten ihr übriges. Auch heute ist die EU immer noch wichtigste Handelspartnerin der AKP-Staaten. 40 Prozent der Exporte aus diesen Ländern gehen in die EU. Zudem sind die ehemaligen Kolonien stark von Entwicklungshilfegeldern abhängig. 39 AKP-Staaten gehören zu den 50 ärmsten Ländern der Welt.

Dennoch versuchen sie, ihre Interessen in die EPA-Verhandlungen einzubringen und dem Quasi-EU-Diktat Widerstand zu leisten. So drohen durch die vorgesehene Abschaffung von Einfuhrzöllen Ausfälle für die öffentlichen Kassen der armen Länder. Zu den befürchteten Folgen für die Bevölkerung zählen steigende Erwerbslosigkeit, Vertiefung der sozialen Ungerechtigkeit, intensivierte Ausbeutung natürlicher Ressourcen, Gefährdung der Ernährungssicherheit. Bauern und Bäuerinnen droht der Verlust der Existenzgrundlage. So gerät z. B. der Fischfang in westafrikanischen Staaten immer stärker unter Druck. Einheimische Fischer mit ihren traditionellen Fangmethoden haben gegen Spaniens hochgerüstete Fangflotte vor ihrer Küste keine Chance. Immer häufiger sind junge Leute gezwungen, ihr Leben bei einer Flucht nach Europa zu riskieren.

Zahlreiche NGOs und Hilfssorganisationen kritisieren die EU-Entwicklungspolitik scharf. Sie stehe im gleichen Kontext wie die Versuche der entwickelten Industriestaaten, über WTO, Weltbank und Internationalen Währungsfonds, die neoliberale Globalisierung zu Lasten der ärmsten Staaten durchzusetzen. Der Widerstand gegen die EPAs war ebenso Teil der G-8-Proteste wie zahlreicher lokaler Aktivitäten in ganz Europa und Teilen Afrikas. Bereits 2004 wurde in Afrika und Europa die Stop-EPA-Kampagne gegründet. Am Bündnis EPA2007 beteiligen sich inzwischen mehr als 200 europäische Organisationen, um sich gegen den drohenden weiteren wirtschaftlichen Ausverkauf des afrikanischen Kontinents zu wehren.

* Aus: junge Welt, 27. Juni 2007

Parlamentarierversammlung von AKP- und EU-Staaten brachte keine Einigung zu Freihandelsabkommen

Von Ann Friday **


Am Donnerstag ging die Konferenz von Parlamentariern aus Ländern Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes (AKP-Staaten) und den 27 EU-Staaten in Wiesbaden zu Ende. Von den Medien nahezu unbeachtet, hatten die Abgeordneten u.a. zu den Themen Sudan, Simbabwe und bilaterale Freihandelsabkommen diskutiert. In einer Resolution wurde einstimmig jede Form von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Darfur und die Behinderung humanitärer Hilfe verurteilt. Gefordert wurde auch ein Stop der Waffenlieferungen. Eine Resolution zur Situation in Simbabwe kam nicht zustande, unter anderem weil Abgeordnete aus diesem Land nicht an der Konferenz teilnehmen konnten.

Die geplanten Freihandelsabkommen (Economic Partnership Agreements, EPAs) zwischen der EU und einzelnen AKP-Staaten werden von vielen der früheren europäischen Kolonien weiterhin mit Skepsis und Sorge betrachtet. Entwicklungsorganisationen warnten erneut nachdrücklich davor, diese Abkommen in der geplanten Form abzuschließen. Bereits vor Konferenzbeginn hatte ein ATTAC-Sprecher festgestellt, daß diese Freihandelsabkommen ein »tiefer Einschnitt in die demokratische Selbstbestimmung der AKP-Staaten« seien und »die Armut dort dramatisch verschärfen« würden. Zu Beginn der EU-Präsidentschaft Portugals in der kommenden Woche wollen EPA-Gegner einen offenen Brief an Ministerpräsident José Sócrates formulieren. Für den 27. September ist ein weiterer internationaler Aktionstag gegen die Abkommen geplant.

Kritik kam auch von der Linksfraktion im Bundestag. Deren entwicklungspolitische Sprecherin Heike Hänsel bezeichnete die Forderungen von EU-Kommission und der deutschen EntwicklungsministerinHeidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) nach »guter Regierungsführung und zivilgesellschaftlicher Beteiligung« der AKP-Partner als reine Farce. »Viele AKP-Parlamentarierinnen und -Parlamentarier zeigten sich von ihren Regierungen über die aktuellen EPA-Verhandlungen völlig uninformiert und kritisierten dies auch gegenüber der EU-Kommission.« Hänsel bemängelte, daß mehr als die Hälfte der 79 AKP-Länder nicht einmal Delegationen zu dieser Konferenz gesandt hätten. »Von Beteiligung der Zivilgesellschaft oder einer demokratischen Kontrolle kann hier überhaupt keine Rede sein. Zumal dieses Gremium keine Entscheidungen treffen, sondern lediglich Empfehlungen abgeben kann.« Die Linke fordere daher ein Moratorium der aktuellen EPA-Verhandlungen und eine echte Beteiligung der Abgeordneten sowie der »zivilgesellschaftlichen Gruppen am gesamten politischen Prozeß der AKP-EU-Verhandlungen«.

** Aus: junge Welt, 30. Juni 2007




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